Kapitel 26

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Daemon

Meine Gedanken werden immer schwammiger und ich bereue den Alkohol schon jetzt. Langsam driftet mein ganzer verstand von dannen...

In ihren Augen erlöscht der letzte Funke von ihrem normalen Ich. „Und weisst du noch etwas?" Sie sieht mich an. Ich fühle mich immer schlechter. Was ist, wenn sie das alles niemandem erzählen möchte. 

„Ich will nicht sterben." Sie lacht, es ist zwar trocken, aber sie lacht. „Aber ich kann nicht mehr." Was soll ich tun? 

Jetzt ist wahrscheinlich der einzige Moment, in dem ich erfahre, wie ich ihr helfen kann. Andererseits, was ist, wenn sie es mir erzählt und es nachher bereut? Es dauert nicht lange bis ich mich entschieden habe. 

Ich muss ihr helfen, auch wenn dabei unsere Freundschaft zerbrechen sollte. „Weshalb wolltest du springen. Zweimal?" 

„Ich weiss nicht recht, ob ich das erzählen soll..." Man kann erkennen, wie es in ihrem Hirn arbeitet. „Ich zeige es dir einfach." Sie steht auf, dabei schwankt sie nicht einmal. 

Sie öffnet die Tür, hinter der ich erfahren habe, wer sie wirklich ist. „Was wollen wir hier drinnen?" „Setz dich." Ihre Stimme ist nur noch ein Flüstern. Ich setze mich neben sie vor den Computer. 

Sie drückt auf den kleinen Pfeil, der das Video startet und spult vor, bis ein ziemlich grosser Mann vor einer riesigen Menschenmenge steht. Im Hintergrund ein Bild von der 7-Jährigen Claire. 

Ich schlucke, ich weiss, dass dies ihre Beerdigung ist. Diese wurde damals live ausgestrahlt. Sie ist ruhig, den ganzen Abschnitt über. 

Die Rede von dem Mann ist unglaublich gut. Sogar jetzt noch bekomme ich Gänsehaut dabei. Sobald der Mann das Podest verlässt, drückt sie erneut den kleinen Pfeil und augenblicklich stoppt das Video. 

Sie weint im Stillen. Wie sie dasitzt, gekränkt und ängstlich, bricht mir das Herz. Aber ich verstehe nicht ganz, warum sie mir genau diesen Ausschnitt gezeigt hat. Nachfragen muss ich aber nicht, denn sie beginnt schon zu sprechen: 

„Er hat gesagt, er würde ihnen so gerne helfen. Mich ihnen zurückbringen, aber es liege nicht in seiner Hand. Er hatte es in der Hand. Ich war in seinem Gott verdammten Keller. Aber vor der Presse spielt er den Trauernden. 

Und seine Frau soll bei einem Autounfall gestorben sein? Dass ich nicht lache! Er hat sie erschossen, weil sie mich nicht verletzen wollte." 

Das soll der Entführer sein? Der Mann, dessen Rede die schönste von allen war. „Du glaubst mir nicht?" Nichts als Enttäuschung liegt in ihrem Blick und in ihrer Stimme. 

„Natürlich glaube ich dir." Sie sieht nicht überzeugt aus. Sie steht auf und geht in ihr Schlafzimmer. Unschlüssig, ob ich ihr folgen soll, bleibe ich zuerst sitzen. 

Ich höre jedoch einen dumpfen Schlag. „Vee? Vee?" Keine Antwort. Schnell öffne ich die Tür. Sie liegt am Boden. „Hey." Sie lacht. Was ist denn jetzt los? Vorhin ging es ihr noch so schlecht. „Was schaust du mich so dumm an? Habe ich was im Gesicht?" 

Erneut lacht sie. Sie sieht so glücklich aus, so habe ich sie noch nie gesehen. „Kannst du auch sprechen?" Verwundert sehe ich sie an, dann erkenne ich eine weitere Flasche die schon fast leer ist... Scheisse! 

„Wow, du hast tolle Augen." Ich habe was? Sie steht auf und geht auf mich zu. 

„Toll! Als würde die Sonne aus ihnen scheinen." Verlegen kratze ich mir meinen Nacken. „Ähm, Danke?" 

Sie strahlt mich an. Ihr Lächeln ist wunderschön, sie sollte es öfter machen. „Komm, lass uns im Meer schwimmen gehen." Sie nimmt meine Hand und zieht mich zum Fahrstuhl. 

Die Narben der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt