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-Ende Juli 1941 -

Nachdem er die Grenze passiert hatte, hatte er sich durch die ersten ausgebrannten Dörfer und Bauernschaften geschlagen. Der Anblick war schrecklich und verstörend gewesen und er konnte immer noch den feurigen Rauch in dem Stoff seiner Kleidung riechen. An diesen Orten gab es einfach nichts mehr. Die Häuser waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt und keine einzige Menschenseele war mehr zu sehen. Zerstörte Pferdekarren konnte er am Straßenrand in weiteren Trümmern wahrnehmen und vereinzelt sah er Spuren im Dreck, von denen er nicht wusste, ob sie von der fliehenden Bevölkerung oder von den einmarschierten feindlichen Soldaten stammten. Auf jeden Fall entschied sich Russland dafür, seinen Weg in einem dicht bewucherten und dunklen Wald fortzusetzen. Er kannte die Umgebung und man konnte wochenlang durch die Wälder seines Landes wandern. Es war zwar ein Umweg, aber es war immer noch besser als den Soldaten auf offenem Feld in die Arme zu laufen. Oder von versteckten Truppen in besetzten Häusern hinterrücks erschossen zu werden. Der Wald bot wenigstens etwas Schutz. Aber natürlich würden sich auch hier die Truppen des Dritten Reiches aufhalten. 

Er hatte keine große Wahl.


~


Der kleine Vogel in Russlands Händen schlug mit seinen feinen Flügeln panisch gegen seine Handflächen. Er hatte den Vogel bestimmt schon vor 5 Minuten mit seinen Händen gefangen, doch das Tier wollte sich nicht beruhigen. Immer wieder fühlte er den zappelnden Flügelschlag auf seiner Haut. Russland hatte die letzten zwei Tage kaum geschlafen, weil er sich nirgends sicher gefühlt hatte. An einem Tag war er auf einen Baum geklettert und hatte sich im Geäst versteckt und dort für wenige Stunden vor sich hin gedöst. Doch die Angst, hinunterzufallen oder schlafend entdeckt zu werden war einfach zu groß. Im Wald Knirschte und Knackte es immer aus irgendeiner verdächtigen Ecke. Also war er wieder aufgestanden und weiter gelaufen obwohl alles in ihm nach einer Ruhezeit schrie.

Und dann fiel der verdammte Hunger gierig und gnadenlos wie ein Tier über ihn her. Ein Hunger, so stark, dass ihm der Magen beim Gehen weh tat und er deswegen Pausen machte musste. Die Rationen (zwei hartgekochte Eier und ein halbes Laib Brot), welches ihm der alte Kauz noch in die tiefen Taschen seines Umhangs zugesteckt hatte, waren seit langem aufgebraucht.

Russland war glücklich gewesen als er das unachtsame Tier zwischen seinen Händen gefangen hatte. Es war mehr Glück als Verstand gewesen. Und nun saß er einfach auf dem Boden und wartete. Er war sich selber gar nicht im Klaren worauf er eigentlich wartete. Sein Magen ließ ein lautes, verzweifeltes Knurren von sich und Russland krümmte sich leicht nach vorne. Verdammter Hunger!

Beiß ihm einfach den Kopf ab - dachte er sich.

Dann hast du was zu essen. Die Beeren die du gegessen hast, können deinen leeren Magen nicht füllen.

Er schloss kurz seine Augen und zog einen seinen Mundwinkel hoch.

Er musste etwas essen.

Er hatte solchen Hunger.

Welchen Weg würde es sonst geben?

Er hatte bereits versucht Pflanzen zu essen, von denen er wusste, dass sie nicht giftig waren. Aber sie schmecken scheußlich und er hatte sich an den scharfen Kanten die Zunge aufgeschnitten.

Würde das kleine Tier ihn überhaupt satt machen? Mit Sicherheit nicht. Aber sein Magen wäre etwas gefüllt. Und vielleicht würde er dann weniger Schmerzen verspüren.

Ein verängstigtes Piepen erklang aus dem Hohlraum seiner zusammengepressten Hände.

Sein Magen knurrte erneut flehend auf.

Countryhumans | Astrantia (RusGer)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt