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"Blyat..."

Russland richtete sich in seinem Bett auf und setzte sich mit einem leichten Schwung auf die Bettkante. Seinen Ellenbogen stützte er auf seinen Oberschenkeln ab, während er anschließend sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Er blieb eine Weile so sitzen und lauschte seinem eigenen Atmen so lange, bis dieser wieder einen normalen Rhythmus gefunden hatte. Vor seinen Augen tauchten die Bilder seines Traumes auf.

Er hatte tatsächlich von Deutschland geträumt.

Und... es war ein schöner Traum.

Frei von Sorge, frei von allem Negativen.

Russland wusste nicht mehr, wo sie sich befunden hatte, aber in seinem Traum saßen sie nah beisammen, ihre Hände waren ineinander verschränkt und sie sahen sich jeweils tief in die Augen. Es war die volle Dröhnung Romantik gewesen. Und er hatte jede Sekunde genossen. Das liebevolle Lächeln des Deutschen sah er immer noch vor sich.

Er hatte sich so wohl und geborgen gefühlt.

Es war eine Schande, dass er aufgewacht war und sich nicht länger in dieser wunderbaren Scheinwelt aufhalten konnte.

Mit seiner Hand rieb er sich über sein Gesicht. 


Я тебя так любила... (ich habe dich so sehr geliebt)


Ein undefinierbarer Schmerz durchzog wie ein Blitz seine Innereien. Jedoch war diese Pein genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war.

Russland drehte sein Gesicht zu seiner Armbanduhr, welche er auf der kleinen Nachtkonsole neben sich abgelegt hatte. Es war noch so verdammt früh.

Er seufzte kurz und stand auf. Es hatte keinen Sinn, sich wieder schlafen zulegen, da sein Herz nach wie vor aufgeregt in seiner Brust klopfte. Er legte sich seine Uniform an und blickte dabei auf sein Ehrenabzeichen. Er nahm es zwischen seine Finger und lachte kurz auf.

Was sollte diese Anstecknadel überhaupt beweisen? Dass er den Krieg überlebt hatte? Das er all die zahlreichen Leichen, Verstümmelungen und Folterungen gesehen und teilweise selbst durchgeführt hatte? Musste man sich dafür belohnen? War das so? Er legte seinen Kopf in den Nacken und fühlte sich mit einem Mal absolut ausgelaugt. Er fummelte an dem Verschluss herum und legte den Anstecker auf die Nachtkonsole.

Er schlüpfte in seine schweren Einsatzstiefel, zog seine Schnürsenkel eng und stramm zusammen und warf sich seinen Mantel über die Schulter. Leise trat er aus seinem Zimmer und schlich in den großen Saal, den er und seine Brüder für ihre Arbeit nutzten, während um ihn herum noch alles zu Schlafen schien. 

Eine zunehmende Verärgerung stieg sodann in Russland auf, als er auf das Chaos blickte. Sie hatten so viel zu tun, dass es sie beinahe darin zu ersticken drohten. 24 Stunden schienen für einen Tag nicht ausreichend für das zu sein, was sie zu erledigen hatten.

Kasachstan und Turkmenistan hatten sich dafür eingesetzt, das von Amerika belagerte Gebiet in ihrem neuen Land zu blockieren. Sämtlicher Güterverkehr zu diesem Gebiet wurde eingestellt. Teilweise gab es Befehle, noch intakte Straßen und Brücken zu sprengen, damit diese den amerikanischen Truppen ebenfalls nicht zur Verfügung standen. Nach dem gescheiterten Treffen war es Russland nur recht.

Sein Fokus fiel auf einen der handgeschriebenen Zettel, auf dem er zusammen mit seinen Brüdern unterschiedliche Formulierungen niedergeschrieben hatte. Sie waren so weit, dass sie eine Anfrage nach Unterstützungstruppen von ihren Kooperationsländern wie Ungarn und Tschechoslowakei starten wollten. Wenn Amerika nicht anders vertrieben werden konnte...

Aber Russland fing zögerlich an sich insgeheim stille Fragen zu stellen. Fragen, auf die er eigentlich keine Antworten hören wollte weil er befürchtete, dass die Wahrheit ihm den Boden unter den Füßen wegreißen könnte.

Dennoch schwirrten diese Fragen wie ein lästiger Mückenschwarm um seinen Kopf herum.

Gehörte das Land des Dritten Reiches wirklich gänzlich allein seiner Familie?

Sein Vater hatte es immer beharrlich so angegeben, dass Russland ihm zunächst ohne Scheu geglaubt hatte. Aber tief in seinem Hinterkopf keimten nun Zweifel aufn

War es nicht so, dass das Land theoretisch Deutschland zugeschrieben werden müsste? Er kam theoretisch als Nachfolger in Betracht.

Aber nein, Moment.

Deutschland hatte sich ja am Krieg beteiligt. Müsste ihm nicht das Recht auf Führung, so wie seinem Großvater entzogen werden? Aber damit das geschah, müsste er vor Gericht gezogen werden... und das war er bis jetzt nicht.

Aber... halt, nein. 

Auch nicht richtig.

Russland schüttelte mit seinem Kopf.

Deutschland war ja bei ihnen.

War er jetzt Teil seiner Familie? Dann würde wiederum das Land ja doch zu ihnen gehören. Das Gesetz des Landerbes.

Aber... Deutschland war ja nicht freiwillig bei ihnen. Oder doch? Nein, kann nicht sein.

Verwirrt ließ sich Russland auf einen der befindlichen Stühle sinken. Er rutschte mit seinem Rücken die Lehne entlang und lungerte wie ein nasser Sack auf dem Stuhl, während ihm weitere Fragen durch den Kopf schossen.

Gott... warum hatte er sich vorher nie mit Politik auseinandergesetzt?

Er hatte nie verstanden, warum sein Vater Deutschland mit ins Anwesen gebracht und nicht ins Gefangenenlager gesteckt hatte.

Папа...

Sein Vater schien sich in letzter Zeit zunehmend seltsamer zu benehmen. Er war gar nicht mehr präsent.

Anfänglich hatte er jeden verdammten Tag fernmündlich nach Russland verlangt und wollte über die aktuellen Geschehnissen in Kenntnis gesetzt werden. Er hatte ihn und seine Brüder mit neuen Forderungen und Anordnungen bombardiert, sodass sie selber wie aufgescheuchte Hühner ihren Offizieren die neuen Befehlen im Namen ihres Vaters weiterleiteten. Teilweise war es ein wildes Hin und Her.

Dann auf einmal kam nichts mehr. Keine Anrufe, keine in Papierform aufgelegten neuen Verträge und oder Handlungsweisen. Nichts.

Auch wenn seine Brüder noch bei ihm waren, fühlte sich Russland mit all der Verantwortung schlichtweg allein gelassen. Sie waren für dieses neue Land in Namen ihres Vaters zuständig. Und wie sollten sie das erledigen, wenn absolute keine Resonanz erfolgte? Zuerst hatte sich Russland um seinen Vater gesorgt, vielleicht war ihm etwas zugestoßen. Aber die Bediensteten im Anwesen hatte ihn darüber informiert, dass sich ihr Vater nach wie vor im Anwesen aufhielt. Aber Soviet hatte nicht mit seinen Söhnen sprechen wollen. Immer hieß es, er sei beschäftigt.

Russland wurde zunehmend wütender. 

Russland schnalzte mit seiner Zunge und fuhr sich mit einer Hand über seinen Hinterkopf.

Auf keinen Fall würden sie dieses Land wieder abgeben, aber Interesse an einem weiteren Krieg mit Amerika hatte er auch nicht. Auch wenn Amerika sein Bestes gab, sie in einen neuen Krieg zu drängen. Wo sollte das hinführen? In die atomare Vernichtung?? 

Russland verstand nicht, warum sein Vater ihn nicht mehr in diesem Fall unter die Arme griff. Warum, zum Teufel, meldete er sich nicht mehr?

Er konnte die Entscheidungen nicht alleine auf seinen Schultern tragen. Dafür hatte Soviet ihn auch gar nicht erzogen...


Aus heiterem Himmel fiel Russland der Spruch des alten Mannes wieder ein.

"Es gibt keine Sieger. Es gibt nur Verlierer und Verlust."

Stumm nickte er sich selber zu.


Er konnte in diesem Moment nicht wissen, dass der weiße Fleck auf seiner Stirn sich weiter markant ausgedehnt hatte. 

Countryhumans | Astrantia (RusGer)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt