Ein Tag in Dortmund

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Obwohl die kühle Märzbrise mich frösteln liess, flimmerte die Luft über dem Turnierplatz. Leute in Reithosen und Stiefeln, Frauen in schicken Kleidern, Mädchen in Jeans und T-Shirts mit Pferdemotiven, allerhand Menschen traf man heute hier an. Dieser Ort hatte etwas Besonderes, eine ganz besondere Energie, das musste ich Andrea lassen.
Sie hatte uns die Karten besorgt und mir stolz damit unter der Nase herumgewedelt. „Schau mal, Joelle, was ich für dich ergattert habe!" Meine Reaktion war verständlicherweise überglücklich ausgefallen. Dass Andreas kleine Schwester Emilie als Pferdepflegerin in Michael Jungs Stall arbeitete, wusste ich, und ich hatte für den Tag gelebt, an dem ich den Triumph, sie zu kennen, wenn auch nur flüchtig, ausspielen konnte. Und heute war dieser Tag: Karten für die vorderste Reihe am CSI4* Dortmund, das erlebte man nicht alle Tage.
Heute und morgen wären ich und Andrea hier und würden der Weltklasse des Springsports zuschauen. Vielleicht würde morgen auch noch Andreas Schwester zu uns stossen. Ich solle es geniessen, hatte meine Mutter gesagt. Schliesslich käme ich der Springelite nie wieder so nahe. Ihre Worte hatten mich etwas gekränkt, auch wenn ich es nicht zugeben wollte, aber sie hatte es ja nicht böse gemeint. Und ja, ich genoss es wirklich. Oder hatte es zumindest genossen, bis Andrea mich losgeschickt hatte, um diese blöden Hot Dogs zu holen.
In Menschenmassen hatte ich mich noch nie wohlgefühlt, ich hatte immer das Gefühl, meine Arme schützend an meinen Körper pressen zu müssen und fürchtete den Moment, an dem ich der ersten Person auf die Füsse trat. Bei jemandem, der so ungeschickt war wie ich, passierte das relativ schnell, weshalb ich nach wenigen Sekunden im Getümmel bereits von allen Seiten böse Blicke erntete. „Entschuldigung, entschuldigen Sie bitte", murmelte ich pauschal vor mich hin und schob mich so durch die Leute. Wo war nur wieder dieser verfluchte Stand mit den Esswaren? Für meinen Orientierungssinn würde ich wohl nie eine Auszeichnung bekommen.
Eine junge Frau mit einem Dackel an der Leine rempelte mich an und lief ohne sich zu entschuldigen weiter. Mir entfuhr ein schier lautloses Uff und ich bereitete mich auf ein unangenehmes Kribbeln in der rechten Seite vor, doch ich hatte Glück und es blieb aus. Deshalb hasste ich Menschenmengen: Für mich bedeutete es schmerzhafte Rempler.
Endlich kam der Stand in Sicht und ich atmete hörbar aus. Die Zehn-Euro-Note hielt ich schon so lange zwischen den Fingern, dass sie ganz zerknittert war. Mir fröstelte erneut, diesmal vor wohligem Behagen, als ich vor den Stand trat und mir eine warme Woge entgegenwallte, die angenehm nach Würstchen und Ketchup roch.
Ich hatte mich geweigert, die dickere Jacke anzuziehen, weil meine Wetter-App beim Nachschauen ein Sonnensymbol ausgespuckt hatte, und ich jetzt schon genau wusste, dass ich das rasante Finale im Stechen mit glühenden Wangen und schwitzigen Händen erwarten würde. Schon vor dem Fernseher konnte ich kaum stillsitzen, wenn ich einem Christian Ahlmann oder einem Darragh Kenny zusah, wie er den verkürzten Parcours in halsbrecherischem Tempo ritt, live war es nochmals etwas ganz anderes.
„Zweimal Hot Dogs, einmal mit allem, einmal nur mit Mayo, bitte!", verlangte ich, möglichst nahe am Stand stehend. Der junge Mann, der die Bestellung entgegennahm, sah aus, als wäre er nur hier, weil er sonst seine Semestergebühren nicht zahlen konnte. „Dunkles oder helles Brötchen?", fragte er mich desinteressiertem Gesichtsausdruck. Für einen Moment entglitten mir meine Züge. „Was, es gibt jetzt auch dunkle Brötchen?", fragte ich leicht dümmlich. Der Mann sagte nichts und zog nur einen Mundwinkel spöttisch nach oben. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und meinte: „Äh, nein, in dem Fall trotzdem beide hell, bitte."
Während dem die Hot Dogs gemacht wurden, liess ich meinen Blick über das Gelände schweifen. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Alles wirkte so professionell, so wichtig, so geschäftig. Selbst hier, ausserhalb der grossen Halle, in der das Turnier ausgetragen wurde. Ich hätte auch einen Stand im Gebäude drin suchen können, aber ich hatte das Gefühl gehabt, dort drin zu ersticken. Keine Fenster, keine frische Luft. Nur noch einmal etwas Sonnenlicht tanken, bevor die Prüfung startete. Andrea würde wohl denken, ich hätte mich verirrt, weil ich so lange wegblieb.
„Hier bitte, zweimal Hot Dogs mit hellen Brötchen, einmal alle Saucen, einmal nur Mayo", erklang es hinter mir und ich drehte mich um. „Danke!", murmelte ich und streckte dem jungen Mann eine zerknitterte Note entgegen. Das Wechselgeld nahm ich schweigend entgegen und machte mich dann auf den Rückweg zur Halle. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich noch gut zehn Minuten Zeit hatte. Sollte reichen. Zügig schlängelte ich mich zwischen den Menschen hindurch.

Keep Dreaming - Ich werde reitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt