Manche Wunden heilen nie

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Ich hatte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde. Zurück ins Leben zu kommen, in das Leben, das ich gehabt hatte vor Ludger Beerbaum und dem Springreiten. Ein Leben, das ich damals nicht haben wollte und jetzt um jeden Preis zurücksehnte.

Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam, erwartete mich eine völlig aufgelöste Familie Engel. Mama hatte Oma Elisa aus Wolbeck wieder herbeordert und diese hatte Opa gleich mitgebracht. Ich hatte nichts gegen die beiden, im Gegenteil, aber ich wollte einfach nur alleine sein. Ich wollte alleine sein, um zu vergessen. Vergessen, wie viel ich gerade davongeworfen hatte, vergessen, was beinahe mit mir passiert wäre. Für alles andere hatte ich keine Kraft.

Entgegen meinem Protest schickte Mama mich schon mittwochs wieder in die Schule. Ich solle wieder unter Leute kommen, mich nicht nur verkriechen und wieder ein bisschen lebensfroher werden. Genau das wollte ich nicht. Aber ich hatte ihr nichts entgegenzusetzen als heiseres Fluchen. Also ging ich am Mittwoch, sechs Tage nach meinem Unfall in Herford, wieder in die Schule.

Wie ich erwartet hatte, starrten mich alle an, als wäre ich ein Einhorn mit drei Köpfen, aber niemand sagte etwas. Man machte mir auf der Treppe glotzend Platz, damit ich mich mit steifen, krampfenden Beinen und zwei unter die Schultern geklemmten Krücken hochschleppen konnte, nur um oben schier zusammenzuklappen.

Die Lehrer verloren kein Wort über das, was sie dachten und liessen mich still schweigend gewähren, wenn ich vom Stuhl auf den Boden runterrutschte und mich dort zusammenkrümmte wie ein geprügelter Hund.

Meine Mitschüler starrten mich mit einer altbekannten Mischung aus Mitleid, Misstrauen und Hilflosigkeit an, nicht sicher, ob sie mich aufheben oder zucken lassen sollten.

Als ich am Mittag wie ein Geist in die Kantine runterhumpelte, drehte sich mir bereits der Magen um. Allein der Geruch nach Essen rief in mir den Instinkt wach, umzudrehen und wegzurennen. Seit meinem Unfall hatte ich nicht mehr als einen Müsliriegel und einen Apfel gegessen. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Und offen gesagt wollte ich auch nicht. Deshalb überlegte ich mir schon, einfach wieder zu gehen, als Alma mich von einem Tisch am Fenster zu sich rüberwinkte.

Mit halb geschlossenen Augen wankte ich zu ihr hin und liess mich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen. „Soll ich dir einen Teller holen? Sie haben Schnitzel und Spätzle. Und Schokopudding. Das magst du doch", schlug sie vor, die Hamsterwangen durch ein erzwungenes Lächeln noch runder als sonst.

„Nein, danke", murmelte ich krächzend. Mein Magen hob sich, als ich auf ihr Tablar schaute und einen Moment lang rechnete ich im Kopf aus, wie lange ich wohl auf Krücken bis zu den Toiletten brauchte und ob das reichen würde. Dann beruhigte sich mein Bauch wieder und ich zückte mein Handy, um mich von den ganzen Düften abzulenken.

Vier Anrufe von Ludger. Zwei von Martin. Einer von Linda. Fünf Nachrichten von Charlotte. Eine von Ronja. Sogar eine von Levin. Bestimmt deshalb, weil Alessia ihm erzählt hatte, was ich getan hatte. Keine davon beachtete ich. Eine Benachrichtigung sagte, dass ich auf Instagram getaggt worden war. Stirnrunzelnd klickte ich auf die App und sah ein Foto von Sereina.


sereina.pignatelli_official

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Keep Dreaming - Ich werde reitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt