„Sie darf nicht noch einmal springen!", flüsterte ich fast lautlos, mehr zu mir selbst, und schwang mich mit zusammengebissenen Zähnen über den Lattenzaun. Ludger rief verwirrt meinen Namen und Schmerz flammte in meinem Arm auf, aber ich ignorierte beides und rannte über den Sandplatz zu dem dritten Hindernis, auf welches sich Sereina und Zidane gerade zubewegten. Raunen ging durch die Zuschauer.
„Stopp! Halt das Pferd an!", schrie ich und legte einen etwas unbeholfenen Spurt hin, um es noch rechtzeitig zu schaffen. Sereina starrte mich entsetzt an, doch ich stellte mich trotzdem vor den Steilsprung und hielt die Arme hoch in die Luft.
„Parier' ihn durch!", befahl ich ihr und wollte schon die Augen schliessen, in der Angst, sie könnte mich mit dem Braunen umrennen. Doch im letzten Moment liess sie Zidane aus dem vollen Galopp stoppen und musste ihn harsch abwenden, um mich nicht doch noch zu rammen.
Keuchend sah ich zu, wie sie den Wallach im Schritt zu mir lenkte. Jeder Zuschauer, jeder Reiter, absolut jeder, der heute gekommen war, um sich das Zeitspringen anzusehen, beobachtete mich perplex. Am meisten weh tat Ludger Beerbaums Blick. Der Springreiter duckte sich unter dem Zaun hindurch und kam auf mich zu.
„Was fällt dir ein, du dumme Kuh!", fuhr Sereina mich so laut an, dass Zidane zusammenzuckte, „Du hast mir meine ganze Runde kaputtgemacht! Denkst du, dass er jetzt noch da rüberspringen wird?!" Immer noch atmete ich schwer, teils vor Anstrengung, teils vor Schmerz, teils vor Aufregung. Ludger kam bei uns an.
„Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung dafür!", knurrte er. Seine Augen waren böse auf mich gerichtet. Dachte er, ich hätte Sereina gestoppt, weil ich sie sabotieren wollte? „Sie darf nicht mehr mit ihm springen. Er lahmt vorne links", erklärte ich schnaufend.
Selbst in meinen eigenen Ohren klang es naiv, aber es war die Wahrheit. Ich hatte es doch selbst gesehen. „Hat das denn niemand anderes bemerkt?" Unsicher sah ich in die Runde, doch ich sah nur verwirrte Gesichter. Allen voran das von Ludger.
„Das Pferd geht nicht lahm. Hast du ihn etwa humpeln sehen?", bohrte er nach, die Augen zusammengekniffen. Ich rollte mit den Augen. In meinem rechten Schulterblatt brannte es wie Feuer. „Nein, er hinkt nicht, aber...aber er stolpert und geht etwas unrein. Lassen Sie mich ihn an der Hand vortraben oder setzen Sie sich selbst drauf, aber glauben Sie mir bitte!", schwor ich.
Es entstand eine peinliche Pause, in der ich einfach nur schwer atmete, Ludger mich ratlos ansah und Sereina brodelte. Schliesslich durchbrach sie das Schweigen und zischte: „Aus dem Weg, ich beende jetzt meine verdammte Runde! Deine Lügen glaubt doch echt niemand!"Unter meinem ungläubigen Blick galoppierte Sereina Zidane wieder an und ritt eine Volte, um eine passende Distanz zu bekommen. Erneut stolperte der braune Wallach. Und diesmal sah es auch Ludger.
Er sog scharf Luft ein, zog mich jedoch nur noch mit einem einzigen Ruck aus dem Weg, denn Sereina kam mit ungnädigem Blick angeprescht. In Zidanes Augen sah ich das Weisse und sein linker Vorderlauf trat nun sichtbar kürzer als der rechte. Noch bevor er sprang, wusste ich, was passieren würde.
Mit einem lauten Schnauben stemmte er alle vier Beine in den Sand und schlidderte geradewegs in das Hindernis hinein. Laut krachend flogen die Stangen zu Boden und Zidane kippte vornüber hinein.
Ein Aufschrei seitens der Zuhörer erklang, als Sereina aus dem Sattel katapultiert wurde und über den Hals des Braunen, welcher schon fast im Sand lag, stürzte. Sie kam verhältnismässig weich auf und rappelte sich gleichzeitig mit Zidane wieder auf.
Der Wallach schüttelte sich und blieb, den Kopf leicht gesenkt und die Beine breit, stehen, als wüsste er nicht, was gerade wirklich passiert war. Bin ich jetzt echt gestürzt? Mit einem unangenehm kribbelnden Gefühl im Bauch eilte ich zu dem völlig perplexen Pferd hinüber und nahm seine Zügel in die Hand. „Schon gut, nichts passiert!", besänftigte ich ihn und tätschelte ihm den sandigen Hals, doch der Braune blieb auch ohne mein Zutun verhältnismässig ruhig. Es war vielleicht nur der Schreck, aber ich glaubte, ihn leicht zittern zu sehen.
Während dem ich in die Hocke ging und sein linkes Bein befühlte, beobachtete ich voller Genugtuung, wie Sereina sich Sand von den weissen Reithosen wischte, die Lippen zu einer einzigen Linie zusammengepresst. Ihr dunkles Haar hing unter ihrem Helm hervor und auch dort war Sand zu sehen. Sie schien sich, bis auf ihren Stolz, nicht verletzt zu haben.
Ludger kam zu mir rüber und ging ebenfalls in die Hocke. „Ist da was?", fragte er mich. Zögerlich nickte ich. „Ja, das Röhrbein und die Fessel sind etwas warm und unter der Gamasche vielleicht angeschwollen, ich bin mir nicht ganz sicher. Ein Tierarzt sollte das Bein überprüfen", antwortete ich. Er biss sich auf die Unterlippe und tätschelte Zidane die Schulter.
„Okay, wird gemacht. Führ' ihn vom Platz und geh ihn absatteln, wenn dir das nichts ausmacht. Danach komm auch gleich, ich schlage vor, wir spritzen seine Beine kühl ab, bis der Tierarzt kommt. Ich rufe jetzt gleich an", murmelte er.
Eifrig nickte ich erneut und streifte Zidane die Zügel über den Kopf. Der Wallach brummelte tief und stupste mich sanft mit seinem Maul an. Ich musste lächeln. Er hätte Sereina deutlich schlimmer abladen können, aber er hatte sich entschieden, es nicht zu tun. Das sprach durchaus für ihn.
Ludger stand auf und wandte sich Sereina zu. „Du kannst gehen", befahl er mit kalter Stimme. Mir und Sereina war klar, was das zu bedeuten hatte. Die Chance auf einen Trainingsplatz in den LB Stables hatte sie verspielt. Ich schmunzelte triumphierend, sie senkte den Blick.
DU LIEST GERADE
Keep Dreaming - Ich werde reiten
Ficção AdolescenteDas Springreiten ist ihre Leidenschaft, seit sie denken kann. Eine Leidenschaft, die zwei Jahre lang gewartet hat, wieder geweckt zu werden. Denn seit jenem schicksalshaften Frühling, seit jenem Unfall, seit sie auf einmal krank geworden ist und ni...