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The trouble is, you think you have time.

Buddha

Normalerweise bin ich wie ein ganz normaler Teenager. Demnach freute ich mich genauso auf das Ende eines Schultages, wie jeder andere in meinem Alter auch. Doch heute, heute wollte ich lieber, dass die Schule nie endet. Ich bettelte sogar darum nachsitzen zu müssen, nur damit die Schule für heute kein Ende finden musste. Nur leider – wie sollte es auch anders sein – fand sie an diesem Tag ein viel zu schnelles Ende und somit hatte ich keinen triftigen Grund mehr meine sogenannte Gruppenstunde ausfallen lassen zu können. Sobald ich in dieser Gruppe erscheine, werde ich abgestempelt, als den Menschen, der ich niemals sein wollte und als der Mensch, den meine Eltern seit Wochen in mir sehen. Eine Verrückte. Warum muss immer mir so etwas passieren? Konnte nicht jemand anders, wenn auch nur für einen kleinen Moment, meinen Part übernehmen?

Bis jetzt war das alles noch so surreal für mich. Ich dachte, wenn ich es nicht in meinen Kopf lasse, dann würde es auch nicht geschehen und alles wäre einfach nur ein schlechter Traum gewesen. Tja die Realität sieht wohl ganz anders aus.

Nun saß ich hier im Bus auf dem Weg zu meinem, wie ich es ab jetzt nenne, Verderben. Ich hatte schon überlegt, eine Haltestelle früher oder später auszusteigen, allerdings wusste ich auch, dass mir das nur Ärger mit meinen Eltern einbringen würde. Sie würden zuerst mich bestrafen und sich dann gegenseitig anschreien, wer von den beiden Schuld an meinem Verhalten hatte. Auf was sie aber niemals kommen würden ist, dass es nicht ihre Schuld gewesen wäre. Verdammt, ich habe immerhin auch einen eigenen Kopf, den ich – so unglaublich sich das auch anhören mag - gelegentlich auch zum Denken verwende. Ich hasste es, wenn sie sich stritten, wegen Sachen, die ich verbockt hatte.

Doch so sehr ich es auch hasste, wenn sie sich stritten, war ich mir nicht sicher darüber, ob es nicht doch besser wäre, sie täten es. Denn sobald sie sich einmal nicht wegen mir stritten, schlichen sie nur noch um sich herum. Immer darauf bedacht den jeweils Anderen nicht zu stören oder gar mit ihm ein normales Gespräch führen zu müssen. In diesen Momenten habe ich sie schon oft beobachtet. Sie blickten sich noch nicht einmal mehr an, keiner von Beiden schenkt den Anderen ein Lächeln. Es ist als wären sie zwei Fremde, die nur zweckmäßig zusammenwohnen. Insgeheim denke ich, dass sie schon lange nicht mehr zusammen wären, wäre ich nicht da. In solchen Momenten frage ich mich, ob es nicht einfach besser wäre, wenn ich nicht mehr da wäre. Immerhin könnten sie dann wieder ihr eigenes Leben, wenn ach getrennt, führen. Und vor allem, hätten sie die Möglichkeit endlich wieder einmal glücklich zu sein.

Mittlerweile habe ich das Gebäude, in dem mein Verderben stattfinden soll, erreicht. Es war ein einfacher grauer Betonblock, dass weder etwas Fröhliches noch Einladendes an sich hatte. Und genau in so einem Gebäude sollte man seine Depressionen ablegen?! Es sieht eher so aus, als wollten sie mit dem Gebäude erreichen, dass man in eine Depression fällt.

Nichts desto trotz – als hätte ich eine echte Wahl nicht zu gehen - betrat ich nach einem kurzen Blick auf die Uhr den Betonblock und machte mich auf die Suche, nach den richtigen Raum. Raum 207, erinnert mich an den Anfang eines Horrorfilms, der sich hoffentlich als Komödie oder zumindest zu einem Thriller verwandelt. Noch ein letztes Mal tief eingeatmet und schon hatte sich meine Hand zum Klopfen erhoben.

Nun sitze ich hier in dieser Gruppe und höre mir die Probleme der anderen an. Es sollte uns helfen uns unseren Ängsten und Problemen zu stellen, damit wir gemeinsam gegen sie ankämpfen können. Sagt zumindest der Gruppenleiter, Mr. Westwood.

Als ich bemerkte, dass nur noch eine Person vor mir war, fing ich an zu überlegen, wie ich es schaffen kann, meine sogenannten Probleme, nicht offenbaren zu müssen. Es ist nicht unbedingt so, dass ich etwas zu verbergen hätte. Es ist nur so, dass ich nicht wüsste, was ich ihnen sagen soll. Ich meine, wie soll ich mit jemanden über meine Probleme sprechen können, wenn ich sie doch selbst nicht mal kenne. Ich könnte nur das wiederholen, was meine Eltern und meine Ärztin sagen, aber das will ich nicht, denn es stimmt einfach nicht.

"Miss Heathrow?" riss mich Mr. Westwood aus meinen Gedanken. "Wollen Sie uns denn nichts erzählen?" "Es tut mir leid, aber ich weiß nicht wirklich was ich Ihnen erzählen könnte." Ich versuchte es mit der Wahrheit, vielleicht würde er diese ja schätzen und mit dem Nächsten weiter machen. Nur leider hatte ich da, wie ich schmerzlich feststellen musste, die Rechnung ohne ihn gemacht. "Warum fangen Sie nicht damit an, uns zu erzählen, warum sie hier sind." dabei lächelte er mich an. Also wenn das sein aufmunterndes Lächeln sein sollte, musste er definitiv noch daran arbeiten. "Nun ja, ich bin hier, weil mich meine Eltern und meine Ärztin hergeschickt haben. Sie denken ich habe Probleme mit denen ich alleine nicht klar komme. Das einzige Problem ist allerdings, dass ich nicht weiß welche Probleme das sein sollen." Erklärte ich ihm, noch immer in der Hoffnung, dass er mich endlich in Ruhe lässt. Mr. Westwood schenkte mir ein kleines Lächeln und fuhr dann auch wirklich mit meinem Sitznachbar fort. Nur leider trat das erhoffte Gefühl von Erleichterung nicht ein. Im Gegenteil, ich fühlte mich nur noch unwohler und wollte, dass diese Sitzung endlich ein Ende fand.

Als der letzte fertig war, wurden wir dann zum Glück entlassen. Naja, zumindest alle außer mir. Mr. Westwood teilte mir mit, dass er mit meinen Eltern und meiner Ärztin ein persönliches Gespräch führen wollte, und ich so nett sein soll und sie bitte darauf vorwarnen soll. Ich verstand zwar den Sinn dahinter nicht, immerhin würde er mit ihnen so oder so reden, vollkommen egal, ob ich sie vorwarne oder nicht. Nichts desto trotz, wollte ich aber so schnell wie möglich aus diesem Gebäude, weshalb ich ohne nachzufragen oder darüber nachzudenken mit einem stummen Nicken antwortete. Wenig später befand ich mich auch schon auf dem Parkplatz wo ich endlich wieder tief durchatmen konnte.

In ewiger Liebe, EmelyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt