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People inspire you or they drain you. Pick them wisely.

Hans F. Hansen

Samstag. Samstag geht eindeutig als schlimmster Tag meines Lebens in die Geschichte ein. Es fing schon am Morgen an, als mich meine Mum noch vor meinem Wecker weckte. Sie war der festen Überzeugung, dass uns ein Mutter-Tochter-Tag helfen würde, uns wieder zu finden. Bis dahin wusste ich noch nicht einmal, dass wir uns überhaupt verloren hatten. Aber wie schon erwähnt, sie war der festen Überzeugung.

Kurz darauf befanden wir uns auch schon in einem nahe gelegenen Café beim gemeinsamen Frühstück. Mum erzählte gerade irgendeine Geschichte von ihrer Arbeit, als ich bei meiner zweiten Tasse Kaffee ankam und somit auch langsam wach wurde.

"Spätzchen? Hörst du mir zu?" "Ja klar, Mum. Ich bin nur noch etwas müde." antwortete ich ihr mit leiser Stimme. Ich habe zwar keine Ahnung was sie kurz zuvor gesagt hatte, aber nach ihrem Gesichtsausdruck zufolge, sollte ich es wissen. "Und was sagst du dazu? Ist doch eine tolle Idee." fuhr sie weiter. Als Antwort nickte ich ihr nur zu und trank hoffend nicht die falsche Antwort gegeben zu haben, meinen Kaffee aus. Offensichtlich gab sie sich damit zufrieden da sie ebenfalls ihren Kaffee austrank und nebenbei bezahlte.

Als nächstes stand shoppen auf dem Programm. Sie erzählte mir auf dem Weg ins Einkaufszentrum, dass sie dringend ein neues Kleid braucht und ich ihr unbedingt bei der Suche helfen sollte. Da ich nicht wirklich eine andere Wahl hatte, befand ich mich in dem nächst besten Laden mit ungefähr zwanzig Kleidern auf dem Arm, wieder. Mum wollte alle Kleider durchprobieren. Deshalb war sie trotz der gefühlten tausend Kleider auf meinem Arm noch immer mit Suchen beschäftigt.

Nach einigen Minuten, die mir aber wie Stunden vorkamen, befanden wir uns dann endlich vor den Umkleidekabinen und nach weiteren Stunden des Anprobierens wurden wir dann endlich fündig. Wobei ich glaube, dass sie nur Mitleid mit mir hatte, da sie mindestens zehn der ausgesuchten Kleider nicht mehr anprobiert hatte. Nach einem Blick auf die Uhr, wurde mir bestätigt, dass es nicht nur gefühlte Stunden waren, da es mittlerweile schon Nachmittag war. Wir waren also noch eine Kleinigkeit Essen und begaben uns dann endlich auf den Weg nach Hause und ich konnte es kaum mehr erwarten, endlich meinen freien Tag genießen zu können.

Dort angekommen, machte ich mich also sofort auf den Weg in mein Zimmer, setzte mich an meinen Schreibtisch und begann zu zeichnen. Immer wieder brach ich mittendrin ab, nur um dann mit einer anderen Farbe wieder neu zu beginnen. Dass alles ging so lange, bis mich das Klopfen an meiner Tür unterbrach.

"Emely, kommst du bitte und hilfst mir den Tisch zu decken?" Etwas verdutz darüber, dass sie meine Hilfe brauchte, folgte ich ihr.

Als ich den Tisch mit zwei Tellern zusteuerte, mischte sich meine Mum kopfschüttelnd ein "Wir brauchen noch drei Teller mehr. Und bitte ins Esszimmer." Mit einer leisen Vorahnung drehte ich mich zu ihr um. "Warum drei Teller mehr?" "Das haben wir doch heute erst besprochen, Emely. Du hast es für eine gute Idee gehalten. Ich habe die Mikelsons eingeladen. Wie kannst du das nur so schnell vergessen?" "Die Mikelsons?", fragte ich bewusst ihre Frage ignorierend. "Ja, die Mikelsons. Margret, Bruno und Christian." Und diese Antwort, war wie ein Schlag ins Gesicht. Wieso habe ich ihr nicht zugehört? Dann würde ich jetzt immer noch in meinem Zimmer sitzen und meine Ruhe haben. Stattdessen muss ich mich nun wegen meiner eigenen Dummheit auf ein Treffen mit Christian vorbereiten. Als hätte der Tag nicht schon genug meiner Nerven geraubt.

Wissend, dass ich aus der Sache nicht mehr rauskommen kann, holte ich also noch um drei Teller mehr und deckte den Esstisch, in der Hoffnung, dass Christian vielleicht doch nicht mitkommt. Immerhin konnte es ja sein, dass er schon etwas Anderes vorhatte. Oder vielleicht hat er sich auch in der Schulcafeteria eine Lebensmittelvergiftung eingefangen. Bei dem was sie uns da auftischen ist das nicht einmal weit hergeholt. Und wie es immerhin bekannt ist, stirbt die Hoffnung als letztes. Wenig später musste ich allerdings feststellen, dass sie, wenn auch als letzte, trotzdem stirbt. Denn als meine Mum das Esszimmer dicht gefolgt von Christian und seinen Eltern betrat, konnte ich nur noch den Tatsachen ins Auge sehen.

Das Essen verlief bis zum Nachtisch ganz ruhig. Über kleinere Gespräche wie Arbeit, kamen sie bis dato zu meinem Glück nicht hinaus. Ich hatte gerade die Hälfte meines Tiramisus geschafft, als sich genau dies änderte und meine Mum Christian nach der Schule fragte. "Wie gefällt es dir auf der Westmound High, Christian?" "Ganz gut Mrs. Heathrow.", antwortete er meiner Mum mit demselben leichten Lächeln auf den Lippen wie beim ersten Essen. "Das ist schön. Aber nenn mich doch bitte Claire."

Zu meiner Erleichterung war dieses Thema nach einem kurzen Nicken seinerseits wieder abgehackt. Was mir nun ermöglicht mein Dessert in Ruhe und in meinen Gedanken vertieft aufzuessen. Zumindest so lange, bis mich Brunos tiefe Stimme zurückholte. "Wir waren einmal, als Christian noch kleiner war, in Venedig auf Urlaub. Dort gab es diese Gasse, durch die wir immer laufen mussten um vom Hotel ins Zentrum zu kommen. Scheinbar hatten in dieser Gasse alle Straßenkünstler Venedigs ihre Bilder ausgestellt und Christian war hellauf begeistert. Am liebsten hätte er wohl den ganzen Urlaub in dieser Gasse verbracht." Margret und Mum stimmten in Brunos leichtes Lachen ein und auch ich konnte mir bei der Vorstellung vom kleinen Christian ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Allerdings verschwand dieses leichte Schmunzeln sofort, als ich die Worte meiner Mum wahrnahm. "Emely zeichnet ständig in ihrem Zimmer. Leider hat sie mir die Bilder, die sie seit einigen Monaten zeichnet noch nie gezeigt, aber ich weiß, dass sie wunderbar sind. Ihr müsst wissen, sie hat als Kleinkind schon schöner gezeichnet als ich. Ihr ganzes Zimmer ist so voll von diesen Bildern, dass kein Stück Tapete mehr sichtbar ist. Emely, du könntest sie doch Christian zeigen. Meinst du nicht auch, dass das eine gute Idee ist?" "Mum du weißt, dass ich nicht gerne Besuch in meinem Zimmer habe, geschweige denn meine Bilder gerne zeige." antwortete ich ihr etwas geschockt darüber, dass sie diesen Vorschlag überhaupt machen konnte. Sie wusste doch selbst am besten, dass ich es nicht leiden kann, wenn sich jemand meine Bilder ansieht. Sie sind für mich so persönlich, wie von anderen das Tagebuch. Mir kommt es vor als würden meine Bilder anderen all das zeigen können, dass ich von ihnen versteckt halten möchte. "Du kannst ihm ja die zeigen, die du als Kind gezeichnet hast, sie hängen doch sowieso in deinem Zimmer und die Anderen hast du, wie ich kenne, gut verstaut. Und wir trinken in der Zwischenzeit noch ein Glas Wein." Mit dem letzten Satz, wendete sie sich wieder an Margret und Bruno, was für mich so viel hieß, dass diese "Diskussion" beendet war und ich sie bitter verloren hatte.

Wiederwillig stand ich vom Tisch auf und begab mich zur Treppe. Nicht nur, dass mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen konnte und ich Christian außerhalb der Schule nicht mehr sehen wollte, so musste ich heute den ganzen Abend mir ihm an einem Tisch sitzen. Bis jetzt hat er mich den ganzen Abend, wie auch sonst immer in der Schule, gekonnt ignoriert. Ich weiß zwar, dass ich eigentlich erleichtert darüber sein sollte, dass ich mich mit ihm wenigstens nicht auch noch unterhalten musste, aber irgendwie blieb dieses Gefühl aus. Und als hätte ich an diesem Tag nicht schon genug gehabt, darf ich ihm jetzt auch noch mein Zimmer zeigen. Gerade ihm. Wo es mich doch sowieso schon wurmte, dass ich ständig an ihn denken musste und es mir, obwohl ich noch nicht genau weiß warum, dann doch nicht ganz so egal ist, was er über mich denkt. Mein Zimmer sollte er doch nie zu Gesicht bekommen. Eigentlich sollte das niemand. Immerhin ist es mein Zufluchtsort. Es ist genau das, was mich ausmachte. Und gerade Christian sollte, wenn es nach mir ginge, niemals erfahren, was mich ausmacht.

Mittlerweile waren wir ohne ein Wort gewechselt zu haben an meiner Zimmertür angekommen und nachdem ich noch einmal tief ein und ausgeatmet habe, öffnete ich diese und betrat ,gefolgt von Christian, mein kleines Reich.

In ewiger Liebe, EmelyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt