Groll mit uns herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle, in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich nur selbst dabei.
Buddha
Schon seit einer Weile standen wir nun in meinem Zimmer. Keiner sagte ein Wort. Während ich noch immer in der Nähe der Tür war, musterte Christian meine Wände. Zumindest tat er so, als ob. Nach einer geraumen Zeit des Schweigens, hielt ich es einfach nicht mehr aus. "Du musst nicht so tun als würdest du dich dafür interessieren." Sofort drehte er sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck wirkte, für einen kleinen Moment, fast so, als wäre er überrascht, dass dieser Satz an ihn gerichtet war.
"Das war gerade das erste Mal, dass du mich direkt angesprochen hast." Fassungslos starrte ich ihn an. War das sein ernst? Es stimmt zwar, dass ich ihn zum ersten Mal angesprochen hatte, allerdings hörte sich es bei ihm an, als wäre daran ich alleine schuld. Bestimmt hätte ich schon mehrere Male mit ihm gesprochen, hätte er mich nicht immer ignoriert.
"Liegt nicht an mir." konterte ich ihm deshalb zugegebener Maßen kalt. Plötzlich kam er mir schnellen Schrittes näher und blieb erst stehen, als nur noch wenige Zentimeter zwischen uns lagen. Von dieser Nähe völlig überrumpelt wich ich zurück und blieb erst stehen, als ich gegen meine Zimmertür stolperte. "Was soll das heißen? Das ich daran schuld bin, dass du keine Gespräche führen kannst!?" antwortete er mir zwischen zusammengebissenen Zähnen herablassend. Mit dieser Antwort ging er eindeutig zu weit. Was glaubt er eigentlich wer er ist? Er kann doch nicht einfach in mein Leben treten, mich ignorieren und zu guter Letzt, die Frechheit besitzen, mir in meinem eigenen Zimmer meine angebliche Unfähigkeit Gespräche zu führen, zu unterstellen. "Ich habe keineswegs Probleme Gespräche mit Menschen zu führen. Das einzige Problem, das ich habe, bist du. Immerhin ignorierst du mich die ganze Zeit über und besitzt dann auch noch die Frechheit mich als unfähig zu bezeichnen. Das ist doch echt das Letzte. Nein du bist das Letzte."
Vielleicht war es ein Fehler, es so direkt zu ihm gesagt zu haben, denn jetzt sieht er aus, als würde er gleich vor Wut platzen. "Du bist doch selber schuld, dass ich dich ignoriert habe. Immerhin hast du dich bei dem allerersten Essen aufgeführt, als wäre ich es nicht wert mit dir an einem Tisch zu sitzen. Du warst so arrogant, dass du mich nicht einmal ansehen konntest, geschweige denn mit mir sprechen konntest. Ganz offensichtlich wolltest du nichts mit mir zu tun haben. Also sag mir, warum hätte ich dich nicht ignorieren sollen?"
Während seiner Worte ist er mir so nahegekommen, dass jedes Mal, wenn ich tief eingeatmet hätte, meine Brust die seine berührt hätte. Seine Atmung ging schnell. Es wirkte, als hätte er sich zusammenreißen müssen, nicht auszurasten. Sein Gesichtsausdruck lies mich erstarren. Er war eine Mischung aus Verwirrung, Fassungslosigkeit, Aggressivität und Wut. Und obwohl ich ihn schon des Öfteren heimlich beobachtet hatte, kannte ich diesen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht. Er wirkte in diesem Moment wie ein völlig Fremder auf mich.
Als ich dies feststellte, änderten sich allerdings seine Gesichtszüge und ich glaubt etwas Trauriges in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben.
"Dachte ich mir es doch." Mit diesen Worten schob er mich von der Tür weg und öffnete sie um das Zimmer zu verlassen. "Übrigens interessieren mich deine Bilder sehr wohl. Ich find sie sogar toll." Die Worte waren so leise, dass ich mir nicht einmal sicher war ob sie an mich gerichtet waren.
Erst als die Tür ins Schloss fiel, wurde mir bewusst, dass ich die ganze Zeit über meinen Atem angehalten hatte.
Noch eine ganze Weile, ich weiß nicht genau wie lange, stand ich an demselben Platz, an dem mich Christian zuvor geschoben hatte und starre meine Zimmertür an. Verarbeitete dabei jedes Wort, das er zu mir sagte und jeden einzelnen Gesichtsausdruck, den er mir schenkte. Ich versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war. Die gesamte Situation lies ich immer und immer wieder vor meinem inneren Auge abspielen um auch wirklich sicher sein zu können, dass ich nicht alles einfach missverstanden hatte. Allerdings war es egal, wie oft ich es noch durchdachte, es würde immer ich Schuld haben, dass er mich ignorierte. Und zwar nicht weil ich, wie ich zuvor dachte, nicht gut genug war, sondern weil ich ihm das Gefühl gegeben hatte, ich wolle nichts mit ihm zu tun haben.
Und plötzlich fühlte ich mich schlecht. Schlecht weil er recht hatte. Zu Anfang wollte ich wirklich nichts mit ihm zu tun haben. Dass ich meine Ansicht in der Schule, als wir uns wiedersahen, geändert hatte, konnte er ja schließlich nicht wissen.
Als mich diese Einsicht traf, beschloss ich mich sofort für mein Verhalten ihm gegenüber zu entschuldigen. Deshalb stürzte ich auch aus meinem Zimmer, hinunter ins Esszimmer und musste sogleich feststellen, dass sie schon gegangen waren und auch meine Mum schon ins Bett gegangen sein musste, da das Esszimmer und die Küche aufgeräumt waren und auch alle Lichter ausgeschaltet waren.
Ein Blick auf die Küchenuhr verriet mir auch den Grund dafür. Immerhin war es schon mitten in der Nacht. Folglich blieb mir also nichts Anderes übrig als ins Bett zu gehen und meine Entschuldigung auf Montag zu verschieben.
In dieser Nacht lag ich noch viel zulange wach und konnte meine Gedanken einfach nicht von Christian losreißen. Immer wieder musste ich das Gespräch durchgehen und immer wieder legte ich mir neue Worte für meine Entschuldigung zurecht. Bis ich dann irgendwann in den frühen Morgenstunden eingeschlafen sein musste.

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In ewiger Liebe, Emely
Teen FictionFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...