"Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere, aber wir sehen meist so lange mit Bedauern auf die geschlossene Tür, dass wir die, die sich für uns geöffnet hat, nicht sehen."
Alexander Graham Bell
Wenn ich seinen Blick richtig gedeutet hatte, war er wohl ebenso überrascht von meinem Verhalten wie ich. Aus großen Augen sah er mich an und begrüßte mich mit einem etwas verspäteten "Hallo Emely." Mein Gesicht fühlte sich an als würde es glühen, während mein Herzschlag sich verdoppelte, wenn nicht sogar verdreifachte. Mit einer viel zu unsicheren Stimme bracht ich gerade noch ein leises "Hey" zustande. Wie blöd ich doch sein kann. Schnurstraks auf ihn zulaufen und dann noch nicht einmal eine normale Begrüßung zustande zu bringen. Damit hatte ich mich nicht nur vor Christian blamiert, nein ich hatte mich vor allen Schülern zum Deppen gemacht, die auf diesem Flur stehen. Denn wirklich jeder hatte sich zu uns umgedreht, um einen Blick zu erhaschen, wen gerade ich, die die nie auch nur ein Wort freiwillig mit jemand anderen wechseln, ansteuere. Somit hatte ich uns mit dieser Aktion ungewollt ins Rampenlicht und gleichzeitig zum heutigen Gesprächsthema Nummer eins gemacht. Und da mir nach gefühlten Stunden der Blamage noch immer nicht eingefallen war, wie ich mit ihm ins Gespräch kommen sollte, blieb mir nichts Anderes übrig als meinen hochroten Kopf einzuziehen und mich schnellst möglich den Blicken der restlichen Schüler in diesem Gang zu entziehen. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass Christian mir meinen Auftritt nicht übelnahm und ich mir die Möglichkeit auf eine Freundschaft mit ihm, nicht vollkommen verbaut hatte.
Als ich später nach Hause kam, raste mein Herz immer noch. Am liebsten hätte ich mich in meinem Bett verkrochen bis alle, einschließlich mir, den heutigen Vorfall vergessen hatten. Leider aber war das Schicksal, wie schon so oft in meinem Leben, nicht auf meiner Seite. Ich war noch nicht einmal an der Küche vorbei, als ich die Stimme meiner Mum vernahm. "Emely?" "Ja?" "Wieso bist du denn schon zu Hause?" Eigentlich hatte ich gehofft, dass es ihr nicht auffällt, dass ich die letzte Stunde ausfallen lies, doch da hatte ich sie wohl wieder einmal falsch eingeschätzt. "Mir gehts nicht so gut." "Was hast du denn? Kann ich die etwas bringen? Tee oder willst du lieber eine Suppe?" "Nein danke, Mum. Ich werde mich einfach etwas hinlegen und schlafen." Und nie wieder aufstehen, fügte ich in Gedanken hinzu. "Ist gut. Aber melde dich bitte, solltest du irgendetwas benötigen." Als ich mit einem leichten Nicken zu ihr aufsah, fiel mir auf, wie traurig sie war mir nicht helfen zu können. Wobei ich glaube, dass sie die Tatsache, dass ich ihr nicht anvertraute, warum es mir nicht gut ging, der wahre Grund für ihre Traurigkeit war. Ich bin mir nämlich sicher, dass sie genau wusste, dass es mir Gesundheitlich gesehen, gut ging. Es tat mir leid, dass ich sie mit meiner Verschlossenheit wieder einmal verletzte, aber die Wahrheit konnte ich ihr trotzt alledem nicht sagen. Zumindest jetzt noch nicht.
Als sich meine Zimmertür öffnete und meine Mum eintrat, lag ich wohl schon einige Stunden wach in meinem Bett. Aus Reflex heraus, drehte ich ihr den Rücken zu und sah direkt durch mein großes Fenster in unseren Garten. Im nächsten Moment spürte ich auch schon, wie das Bett hinter mir nachgab und mir meine Mum die Hand auf meinen Oberarm legte. "Du weißt, du kannst mit mir reden, Emely. Egal wo, egal wann. Ich werde immer für dich da sein." Ich konnte förmlich spüren wie sehr es sie verletzte, dass ich ihr darauf keine Antwort, geschweige denn eine Reaktion zeigen konnte. Es legte sich eine Stille über uns die wie es schien, durch nichts zerbrochen werden konnte. Ich wollte sie so gern durchdringen, nur um meiner Mum etwas Hoffnung geben zu können, damit sie wusste, dass all ihre Mühen nicht umsonst sind und dass ich es zu schätzen weiß, was sie Tag täglich für mich macht. Denn eigentlich wusste ich schon immer, dass sie für mich da war. Egal wo, egal wann. Ich wusste es schon bevor sie es mir sagte. Doch obwohl ich es schon immer wusste und auch immer noch weiß, ist da etwas, dass mich davon abhält mich ihr anzuvertrauen. Es fühlt sich an wie eine unüberwindbare Hürde. Sobald ich versuchte meiner Mum auch nur ein kleines Stück entgegen zu kommen, ist es als ob eine Tür zufällt, die ich nicht wieder öffnen kann. Und als ich Mum im nächsten Moment aufseufzen hörte, wollte ich nichts sehnlicher als diese verfluchte Tür zu öffnen. Doch ich konnte nicht. "Die Mikalsons haben uns heute zum Essen eingeladen. Ich weiß nicht, aber vielleicht willst du mitgehen? Es könnte dir guttun mal aus dem Haus zu kommen." Ich weiß, dass sie sich eine Antwort erhoffte, gleichzeitig weiß ich aber auch, dass sie bereits wusste, dass ich auch auf diese Frage nicht reagieren würde. "Naja, vielleicht überlegst du dir es ja noch. Ich werde in etwa einer Stunde zu ihnen hinüber gehen."
Erst als ich die Zimmertür zufallen hörte, drehte ich mich wieder um und bemerkte, dass sie mir eine Tasse Tee mitgebracht und auf mein Nachtschränkchen abgestellt hatte. Sogleich überrollte mich auch wieder mein schlechtes Gewissen. Sie bemühte sich so sehr und ich konnte ihr noch nicht einmal ein kleines bisschen Dankbarkeit zeigen. Warum war ich nur so verkorkst? Noch vor ein paar Wochen konnte ich nicht sehen wie sehr ich sie und meinen Dad mit meinem Verhalten immerzu verletzt hatte. Ich sah damals keinen Grund sie in mein Leben zu lassen. Jetzt aber sehe ich nicht nur einen Grund, sondern gleich mehrere. Warum also konnte ich Mum noch immer nicht in mein Leben lassen obwohl ich es doch so gern möchte? Und als ich dann auch die Haustür zufallen hörte, wusste ich, dass ich sie wieder verletzt hatte und ich somit auch meine Chance, ihr zu zeigen wie dankbar ich ihr war, verloren hatte.

DU LIEST GERADE
In ewiger Liebe, Emely
Teen FictionFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...