Vertraue dem Menschen, der drei Dinge an dir bemerkt: den Kummer hinter deinem Lächeln, die Liebe hinter deinem Zorn und den Grund deines Schweigens.
T.S. Eliot
Christian und ich trafen uns jetzt schon seit mehreren Wochen regelmäßig und heute war wieder eines dieser Treffen. Allerdings war heute etwas anders. Zum ersten Mal trafen wir uns nicht bei mir, so wie auch sonst immer, sondern bei ihm zuhause. Und von dem abgesehen war ich nervös, da ich ihm heute etwas zeigen wollte. Etwas, dass ich noch nie jemanden gezeigt hatte.
Glücklicherweise hatte ich heute nach Schulschluss noch einen Termin bei Dr. Mayers. Ansonsten hätte ich wahrscheinlich schon wieder einen Rückzieher gemacht. Meine Nervosität konnte er mir aber leider nicht nehmen. Naja, es wäre auch ein kleines Wunder gewesen, wenn er es gekonnt hätte. Immerhin war das was ich Christian zeigen wollte, mir überaus wichtig. Und noch viel wichtiger war es mir, was Christian davon hält. Natürlich hatte ich Dr. Mayers nicht erzählt, was ich Christian zeigen wollte. Immerhin sollte Christian der erste sein, der es zu sehen bekommt und von dem abgesehen, brauchte Dr. Mayers es nicht wissen um mir helfen zu können.
Zuhause angekommen schnappte ich mir nur noch kurz meine Mappe und schon lief ich auf das nebenan liegende Haus zu. Und als ich dann klingelte, stieg meine Nervosität schier ins unermessliche. Aber jetzt war es ohnehin schon zu spät für einen Rückzieher, da die Haustür schon geöffnet wurde und mir Christian entgegen lächelte. Wenig später standen wir dann auch schon in seinem Zimmer das sich im obersten Stockwerk befand. Sein Bett stand ganz genau unter einem Dachfenster. Ich wette, dass der Ausblick auf die Sterne unglaublich schön sein musste. Schon immer hatte ich es geliebt nachts gegen den Sternenhimmel zu blicken. Um ehrlich zu sein war die Nacht schon immer meine Lieblingszeit. Ich musste mir eingestehen, dass ich fast neidisch wegen dieses Fensters wurde. Zumindest bis mir wieder einfiel, dass dieses Fenster Christian gehörte. Und er war die einzige Person der ich so einen Ausblick gönne.
"Em? Was ist los? Du bist heute so anders." Bis er mich das fragte, war mir gar nicht aufgefallen, dass mein Blick starr auf das Fenster gerichtet war und ich mein Gewicht ständig von dem einen Bein auf das Andere verlagerte. Ok, jetzt oder nie. Also atmete ich noch einmal tief durch und holte das Blatt Papier aus meiner Mappe und reichte es Christian. "Das ist los. Naja wohl eher deine Reaktion auf das hier." Flüsterte ich mehr als das ich es sagte.
Christian betrachtete es genau. Es schien, als ob er seinen Blick von diesem Stück Papier, das es nach den letzten Monaten endlich zu einer Zeichnung schaffte, nicht mehr abwenden konnte. Immer wieder ließ er seine Augen von dem einem zum anderen Ende des Blattes wandern. Zu gern würde ich wissen, was im an der Zeichnung am meisten gefällt. Vielleicht sind es die Bäume und Büsche, die rund um den See verteil sind. Vielleicht ist es aber auch einfach nur der See selbst. Oder aber es sind die kleinen Entchen, die im Wasser badeten. Genauso gut könnte es aber auch das Mädchen sein, das am Ufer sitzt und sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche sucht. Vielleicht ist es aber auch der Schatten, der sich in einer schützenden Haltung hinter das Mädchen gestellt hatte.
Weitere Minuten vergingen in denen Christian das Bild musterte und mit jeder Minute die verstrich, wurde ich nervöser. Was wenn es ihm nicht gefällt? Hätte ich es ihm vielleicht doch besser nicht gezeigt?
Doch bevor mir noch weitere solcher Gedanken durch den Kopf gehen konnten, hob er seinen Blick und sah mir direkt in meine Augen. "Hast du das gemacht?" Als Antwort konnte ich nur nicken. Viel zu angespannt war ich, sodass ich ein Wort über meine Lippen brachte. "Wow Em, ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Das ist, das ist einfach unglaublich. Wunderschön."
Mir fielen gefühlte tausend Steine von Herzen und augenblicklich formten sich meine Lippen zu einem Lächeln. "Wann hast du das gemacht?" Man konnte ihm ansehen, dass er seine Neugierde darauf nicht zurückhalten konnte. "Naja, eigentlich habe ich schon vor langer Zeit damit angefangen aber in dieser Woche wurde es zu dem, dass ich mir vorgestellt hatte." Etwas abwesend nickte er so leicht, dass man nur schwer erkennen konnte, dass er ihn überhaupt bewegte. Er schien einen Klinsch mit sich selbst zu führen. Zumindest wirkte es auf mich so, da er ganz verbissen und mit gerunzelter Stirn auf einen Punkt starrte.
"Emely?" So fragend wie jetzt habe ich ihn noch nie meinen Namen sagen hören und mit sofortiger Wirkung breitete sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. "Wenn ich dir eine ziemlich persönliche Frage stellen würde, würdest du sie dann beantworten?" Das war eine gute Frage. Kann ich es denn? Ich meine ich würde gerne aber was, wenn es eine Frage ist, auf die ich selber keine Antwort habe, könnte ich sie dann überhaupt beantworten? Doch bevor ich meinen inneren Dialog überhaupt beenden konnte, erwischte ich mich dabei, wie ich ihm zunickte. Dies war dann wohl der Moment von dem Dr. Mayers gesprochen hatte, als wir über Vertrauen gesprochen hatten. Damals sagte er, dass ich es irgendwann einfach wissen würde ob ich Christian vertrauen konnte oder nicht. Und nun wusste ich, dass ich mich ohne es überhaupt zu merken für das Vertrauen entschieden hatte.
"Kann es sein, dass das Mädchen auf dem Bild du bist und der Schatten dein Dad?" Überrascht davon, dass er sofort zu wissen schien um was und vor allen Dingen, um wen es sich bei den Personen in dem Bild handelte, musste ich mir erst einen Moment Zeit nehmen um meine Gedanken zu sortieren damit ich ihm eine ehrliche Antwort geben konnte. Immerhin war es das erste Mal, dass ich mit ihm über Dad sprach. Um ehrlich zu sein, ist er grundsätzlich die erste Person, mit der ich direkt über Dad sprach.
"Kurz nachdem er " noch einmal musste ich tief Luft holen um den Kummer, der in mir aufsteigen wollte, zu verdrängen. "Nachdem er verstorben war, habe ich damit angefangen. Zu dieser Zeit wusste ich selbst nicht genau was ich zeichnen wollte, doch sobald ein Blatt voll war, warf ich es weg. Keines von ihnen war so wie ich es wollte. Kein Einziges zeigte das, was ich fühlte. Und das obwohl ich selber nicht einmal genau wusste was ich fühlte, geschweige denn was ich eigentlich wollte. Ich hatte es bis zu diesem Bild immer wieder versucht aber es gleichzeitig immer noch nicht gewusst. Aber gestern, da hatte ich es dann plötzlich gewusst. Gewusst was ich fühlte und gewusst was fehlte. Ich weiß nicht warum, ich weiß nur das es ebenso ist."
Für einen Moment war es still. Er schien all das noch verarbeiten zu müssen und keines Falls wollte ich ihn dabei unterbrechen.
"Bitte sag es mir wenn ich falsch liege, aber ich habe da eine Theorie." Etwas verwirrt sah ich ihn an, nickte aber dann doch, was ihn dazu veranlasste weiter zu sprechen. "Vielleicht ist es dir ja auch jetzt erst bewusst geworden, dass auch wenn er jetzt nicht mehr bei dir ist, er immer hinter dir stehen wird." Und da er mit seiner Theorie wahrscheinlich ziemlich richtig lag, ich ihm aber das noch nicht sagen konnte, wechselte ich das Thema. "Und wie war dein Tag?" Christian lachte darauf nur auf und schüttelte belustigt seinen Kopf. "Gut, und ich habe recht." Ab da an redeten und alberten wir wieder wie immer. Mit dem einzigen Unterschied, dass es mir ab da an noch ungezwungener vorgekommen war als sonst. Plötzlich musste ich nicht mehr überlegen, wie ich ihm was sagte. Ich sagte es einfach. Es war für mich nichts seltsames mehr, ich empfand es als normal. Vielleicht lag es an unserem Gespräch, dass es jetzt anders war. Oder vielleicht lag es auch daran, dass ich merkte, dass ich ihm nun vertrauen konnte. Genauso gut hätte es aber auch sein können, dass ich nur erleichtert war, mein Bild fertig gestellt zu haben. Das Einzige was ich wusste war, dass ich es nicht wusste und es war mir schlichtweg egal. Alles was ich wollte war das Gefühl nicht wieder zu verlieren. Es sollte sich für immer so normal anfühlen.

DU LIEST GERADE
In ewiger Liebe, Emely
Teen FictionFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...