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As soon as I saw you, I knew an adventure was going to happen.

Winnie the Pooh

Das letzte Wochenende verging, wie soll ich sagen, relativ normal. Was für mich in etwa so viel bedeutet, wie mich in meinem Zimmer verschanzen zu können und dies nur für die gemeinsamen Mahlzeiten mit meiner Mum zu verlassen. Und Mum war das Wochenende damit beschäftigt, die Sachen meines Dads zu sortieren. Da er, so wie wir bei der Offenlegung seines Testaments erfuhren, kleinere Besitztümer wie z.B. Klamotten oder CD an Bedürftige spenden wollte. Also hat meine Mum alle seine Sachen, die noch zu gebrauchen waren, in Kisten gepackt und abholen lassen. Ganz nach Dr. Mayers Hausaufgabe, habe ich die komplette Situation ausführlich aufgeschrieben und natürlich auch meine derzeitige Gefühlslage zu Papier gebracht. Ich denke in der nächsten Sitzung gibt es bestimmt schon genug Gesprächsstoff allein durch dieses Wochenende.

Mittlerweile hatten wir schon wieder Mittwoch. Wobei die ersten Schultage nach dem Unfall meines Dads nicht wirklich aufregend waren.

Montag hatten wir den ganzen Tag Prüfungen. Was mir allerdings nur allzu recht war. Immerhin hatte so jeder mit sich selbst genug zu tun und es sah mich somit niemand mit einem bemitleidenswerten Blick an. Versteht mich nicht falsch, im Prinzip habe ich nichts gegen meine Mitschüler. Allerdings war ich vor dem Unfall nur die, die mit niemanden etwas zu tun haben wollte. Und genau so sahen sie mich auch an und mich störte das auch nie, denn ich wollte auch immer alleine sein. Und aus diesem Grund hätte ich es doch als etwas heuchlerisch empfunden, hätten sie mich jetzt als die Arme abgestempelt und mich mit bemitleidenden Blicken angesehen.

Naja und dann kam Dienstag. Wir hatten unseren alljährlichen Sport-Tag und ich hatte, wie sollte es auch anders sein, diesen Tag schon immer gehasst. Man muss dabei anmerken, dass ich, nett ausgedrückt, nicht unbedingt die sportlichste Person auf unserer Schule war. Um ehrlich zu sein, lässt mich meine Ausdauer schon im Stich, wenn sich mein Ziel im zweiten Stock befindet und in dem Gebäude kein Aufzug vorhanden ist. Das einzig Positive an diesem Tag war, dass ich, anders als die Jahre zuvor, von größeren Peinlichkeiten verschont wurde. Allerdings hatte genau dieses Positive einen bitteren Beigeschmack. Denn der einzige Grund, warum ich verschont wurde, war Mitleid.

Es kam mir vor wie ein Fluch, von dem meine Lehrer besessen sein mussten. Den ganzen Tag wurde ich mit Samthandschuhen angefasst. Ständig wollten sie von mir wissen, ob ich eine Pause brauche oder ob sie die Übungen für mich einfacher gestalten sollen. Doch auf den Gedanken, dass es mir besser gehen würde, wenn sie einfach so weiter machen würden wie bisher, kamen sie natürlich nicht. Es wäre auch zu schön gewesen, wäre das Schicksal einmal auf meiner Seite.

Tja und heute war Mittwoch. Der erste normale Schultag in dieser Woche und bis jetzt auch Ereignislos. Naja, ausgenommen die kleinen Auseinandersetzungen von Claire, unserer selbst gewählten Schulkönigen, und unseres Mathelehrers Prof. Hendrik. Sie wollte einfach die Strafarbeit, wegen der vergessenen Hausaufgabe, nicht akzeptieren. Mit der Begründung, dass sie die Hausaufgabe nur nicht habe, weil ihr, ihr Friseur die Haare falsch gefärbt hätte und sie dadurch den ganzen Tag auf der Suche nach jemanden war, der ihr Haardilemma beseitigen konnte. Wahrscheinlich hätte Prof. Hendrik, bei ihrer Unschuldsmiene, ihr diese schlechte Lüge sogar abgekauft, hätte sie die Aufgabe nicht schon letzte Woche aufbekommen.

Als ich dann am Abend nach Hause kam, stand meine Mum gerade in der Küche. Normalerweise kein ungewöhnlicher Anblick, würde sie da nicht in einem eleganten Kleid und schwarzen Pumps stehen. "Hallo Spätzchen! Wie war die Schule?" begrüßte sie mich. "Gut." "Schön. Wir haben neue Nachbarn bekommen und ich habe sie zum Essen eingeladen. Sie haben einen Sohn. Er dürfte ungefähr in deinem Alter sein." "Mum", unterbrach ich sie. "Zieh dir doch bitte etwas Hübsches an. Sie dürften bald hier sein." Naja zumindest hatte ich es versucht. In Momenten wie diesen, musste ich sie immer wieder bewundern, wie gut sie doch jemanden ignorieren konnte, wenn sie wollte. Und genau deswegen fand ich mich kurze Zeit später schon vor meinem Kleiderschrank wieder und suchte, ganz nach dem Wunsch meiner Mum, etwas Schönes heraus. Ich zog mir eine schwarze Hose und eine locker sitzende Bluse an. Mir war natürlich bewusst, dass es meiner Mum nicht schön genug war, aber in dieser Hinsicht, konnte ich sie genauso ignorieren wie sie mich noch vor wenigen Minuten in der Küche.

Als ich dann wenig später die Treppe hinunter ging und das leichte Kopfschütteln meiner Mum registrierte, wusste ich, dass ich Recht behalten hatte. Allerdings klingelte es schon an unserer Tür, bevor sie mich, mit der Bitte mich umzuziehen in mein Zimmer schicken konnte. Und somit konnte dieser, Achtung Ironie, wundervolle Abend beginnen.

Nach einer überschwänglichen Begrüßung, bei der ich erfuhr, dass es sich bei den Besuchern um Magret und ihrem Mann Bruno handelte. Und der Sohn der Eheleute hörte auf den Namen Christian. Was ich bis jetzt beurteilen konnte, war, dass sie sehr freundlich waren und Margret zudem noch offen. Für meinen Geschmack vielleicht etwas zu offen.

Wir waren gerade beim Nachtisch angekommen und bis jetzt konnte ich mich noch sehr gut aus den Gesprächen raushalten. Meine Mom hingegen unterhielt sich angeregt mit den Mikalsons. Sie redeten über alles Mögliche. So erfuhr ich zum Beispiel, dass Bruno ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann ist und Margret ihn in allen Situationen unterstützt. Ihr Sohn sollte nach dem Studium in die Fußstapfen seines Vaters treten. Christian allerdings hielt sich bei diesem Thema völlig raus. Naja, eigentlich, hatte er sich genauso wie ich aus allen Unterhaltungen rausgehalten und hat nur etwas gesagt, wenn er direkt angesprochen wurde. Von daher glaube ich, wurde er mit dem Essen genauso überrascht und demnach genauso wenig begeistert von dem Ganzen war wie ich.

"Emely, deine Mutter hat mir erzählt, du gehst in die Abschlussklasse der St. Claires High School?" sprach mich Margret auch schon an. Und ich dachte schon, ich hätte Glück und würde nicht in ihre Gespräche verwickelt werden. "Ja das stimmt." antwortete ich ihr darauf höflich und hoffte gleichzeitig, dass diese Frage, die erste und gleichzeitig die letzte war, die an mich gerichtet wurde. "Das ist doch toll. Wir haben Christian nämlich auf der St. Claires angemeldet. Vielleicht kommt ihr ja sogar in die gleiche Klasse. Wäre das nicht schön, Christian?" sprach sie nun weiter wobei letzteres Gott sei Dank nicht mehr an mich gerichtet war. "Ja, das wäre wirklich schön." antwortete nun Christian seiner Mutter während er mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ansah. Und so schnell konnte meine Erleichterung verschwinden und Platz für Verwirrung machen. Den mit dieser Antwort und -vor allen Dingen- mit diesem Lächeln, verwirrte er mich. Ich meine den ganzen Abend hat er nicht ein Wort mit mir gewechselt und plötzlich lächelt er mich an und sagt es wäre schön mit mir in einer Klasse zu sein. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich im Grunde dazu nicht äußern dürfte, da ich mich genauso wenig wie er an einem Gespräch beteiligt hatte. Aber selbst wenn hätte ich auf alle Fälle niemals mit einem Lächeln auf meinen Lippen behauptet, dass es schön wäre, mit ihm in einer Klasse zu sein. Immerhin kennt er mich doch gar nicht. Oder aber er kennt mich doch schon und will sich einfach nur einen Spaß mit mir erlauben. Und vielleicht sollte ich besser aufhören, darüber nachzudenken. Denn wahrscheinlich hatte er es auch nur gesagt, um freundlich zu sein und einen guten Eindruck zu hinterlassen. In Wirklichkeit hofft er, und da bin ich mir mehr als nur sicher, mir nie wieder über den Weg laufen zu müssen.

Ich meine jeder Blinde sieht, wie unterschiedlich wir sind. Immerhin war ich schon immer der typische Einzelgänger, der in der Schule meist alleine sitzt und in den Pausen die Stille in einer Welt, die nie aufhört zu reden, genießt. Er hingegen, war derjenige der bei den Beliebten sitzt. Der, der gerne im Mittelpunkt steht und für den jeder alles tut, nur um von ihm eventuell zu einer seiner Partys eingeladen zu werden. Ich weiß, ich sollte ihn nicht so schnell in eine Schublade stecken, besonders wo ich doch die bin, die es überhaupt nicht leiden kann, in eine Schublade gesteckt zu werden. Aber wenn man ihn so ansieht, passt er in diese Kategorie wie die Faust aufs Auge.

Mittlerweile war es schon später Abend und unsere Gäste, um genau zu sein Mums Gäste, hatten sich gerade verabschiedet. Margret hatte Mum und mich gleich in eine Umarmung gezogen, ich sag ja offen, wohingegen Bruno, der mir immer sympathischer wurde, sich mit einem Händedruck von uns verabschiedete. Christian hingegen lächelte uns nur leicht an und verschwand kurz darauf schon in ihrem Haus auf der anderen Straßenseite. Dies bestätigte also gleich meine Vermutung, dass er vorhin nur höflich gewesen war und mit mir wirklich nichts zu tun haben wollte. Für gewöhnlich wäre ich jetzt erleichtert, dass er nichts mit mir zu tun haben wollte, da ich schon immer gerne für mich war. Allerdings blieb dieses Gefühl nun aus und als wäre das nicht schon genug, war sogar das Gegenteil der Fall. Aus einem mir undefinierbaren Grund, war ich bei Christian ganz und gar nicht erleichtert. Versteht mich nicht falsch, es hatte mir nicht wehgetan, dass sich meine Vermutung bestätigt hatte. Es war einfach nur ein komisches Gefühl. Anders kann ich es auch nicht beschreiben.

Noch den restlichen Abend habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Um genau zu sein, war ich schon kurz vorm Einschlafen, als ich beschloss, dass ich einfach viel zu viel in die ganze Sache hineininterpretiert hatte. Und kurz nachdem ich diesen Entschluss gefasst hatte, fiel ich endlich in einen entspannten Schlaf.

In ewiger Liebe, EmelyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt