The best way to find yourself is to loose yourself in the service of others.
Mahatma Gandhi
Als Christian dann am nächsten Tag wirklich vor meiner Tür stand, konnte ich es fast nicht glauben. Heute Morgen hatte ich es noch für einen Traum gehalten. Doch jetzt, jetzt steht er genau vor mir und ich ihm mit einem breiten Grinsen gegenüber. "Hey, komm doch herein." Dabei trat ich zur Seite um ihm den Zutritt zu ermöglichen. Nachdem wir uns noch etwas zu trinken aus der Küche holten, machten wir uns auf den Weg zu meinem Zimmer.
Schon beim Eintreten merkte ich, wie interessiert Christian die Bilder, die an meiner Wand hingen, begutachtete. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht allzu neugierig auf weitere Bilder von mir war. Denn wüsste ich nicht, was ich ihm sagen sollte oder besser gesagt konnte. Vielleicht kann ich es irgendwann, aber nicht heute und definitiv auch nicht in nächster Zeit.
Mittlerweile stand Christian schon in meinem Zimmer. Ich allerdings konnte mich noch nicht von der Tür wegbewegen. Viel zu faszinierend war es für mich, ihn zu beobachten, wie er sich wie selbstverständlich durch mein Zimmer bewegte. Es wirkte so als wäre er schon mehrere hundert Male hier gewesen. Was mir in diesem Moment allerdings Kopfzerbrechen machte, war die Tatsache, dass es mir rein gar nichts ausmachte, dass er sich in meinem Zimmer nicht wie ein Gast benahm, sondern eher so, als wäre es sein zweites Zuhause. Noch vor wenigen Tagen hätte ich mir nicht erträumen können, entspannt sein zu können, während jemand anders sich in meinem Zimmer umsah. Eigentlich wäre ich nicht einmal entspannt gewesen, hätte er auch nur einen kurzen Blick vom Flur hereingewagt. Aber jetzt, konnte ich mir nichts Normaleres mehr vorstellen. Vielleicht lag es daran, dass er genau zu wissen schien, was er sich genauer ansehen konnte und was nicht.
Als er dann wenig später mit seiner kleinen Besichtigungstour fertig war und zu meiner Erleichterung kein Wort über meine Bilder verlor, lies er sich, entgegen meiner Erwartungen nicht auf mein Bett nieder, sondern auf meinen Schreibtischstuhl. Man könnte denken, ich hätte beruhigt sein müssen, dass er sich nicht unbedingt auf mein privatestes Möbelstück setzte, doch um ehrlich zu sein, war ich es nicht. Ich war sogar eher enttäuscht. Ich wusste zwar nicht genau warum ich enttäuscht war, doch dieses Gefühl kannte ich mittlerweile einfach zu gut als, dass ich mich irren hätte können. Vielleicht war ich einfach nur von mir enttäuscht, dass ich ihn in so vielen Hinsichten völlig falsch eingeschätzt hatte. Oder aber vielleicht auch, weil er nicht bemerkt hatte, dass entgegen wahrscheinlich aller anderen Menschen das Bett nicht mein persönlichstes Möbelstück war, sondern eben genau dieser Stuhl auf dem er nun saß. Ich weiß das es komisch klingt, aber auf diesem Stuhl habe ich schon viel zu viele Stunden verbracht. Die besten Stunden sowie sie schrecklichsten Stunden meines Lebens habe ich auf diesem einfachen Stuhl gesessen. In mein Bett hingegen, lege ich mich nur um zu schlafen oder in den Momenten in denen ich meinen Stuhl verfluche, weil er mich daran erinnert, dass ich dieses verfluchte Bild noch immer nicht malen konnte.
Seit wir uns nun in meinem Zimmer befanden, hatten wir noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Ich glaube wir beide hingen einfach viel zu sehr unseren Gedanken nach und ordneten gleichzeitig die neuen Eindrücke. Zumindest schien das für Christian so, denn kurz nachdem er sich setzte, brach er das Schweigen.
"Ich liebe das Bild mit der maroden Brücke." "Danke, aber warum?" Ich war überrascht, dass ihm genau dieses gefiel, immerhin war es genau das Bild, über das meine Mum immer sagte, dass es zu trostlos sei.
Leicht zuckte er mit der Schulter eher er antwortete. "Weißt du noch als meine Mum bei einem Abendessen über den Urlaub in Italien sprach?" Natürlich konnte ich mich daran erinnern. Doch was hatte das mit meinem Bild zu tun? Immerhin ging es in dieser Geschichte um eine Gasse. Nur zögerlich nickte ich ihm zu. "Sie erzählte, dass ich mich dort von einer kleinen Gasse voller Kunstwerke nicht trennen konnte." Als er mit seinen Augen direkt in die meinen blickte, war es für mich wie eine unausgesprochene Frage. Weshalb ich ihm zunickte um ihm zu bedeuten weitersprechen zu können. "Nun ja, das stimmt nicht ganz. Zwar haben mir wirklich alle Kunstwerke in dieser Gasse gefallen, doch nur eines hatte mich nicht nur fasziniert, sondern gefesselt. Ich weiß nicht genau warum, aber dein Bild erinnert mich an dieses."
Und als hätte dieses eine kleine Gespräch das Eis zwischen uns gebrochen, unterhielten wir uns plötzlich über alles Mögliche und manchmal musste ich dabei so viel lachen, dass ich sogar Tränen in den Augen hatte. Und ehe wir uns versahen, begann es draußen auch schon zu dämmern. Als er sich dann von mir verabschiedet hatte, war ich etwas traurig, dass der Tag so schnell vergangen war. Hoffte allerdings gleichzeitig, dass noch viele weitere solcher Tage auf mich warteten. Und das taten sie auch. Immer öfter trafen wir uns bei mir und sprachen über belagloses. Und wenn wir uns aus irgendwelchen Gründen einmal nicht sahen, so telefonierten wir abends. Manchmal sogar über Stunden hinweg.
Die Nachmittage, die ich nicht mit Christian verbrachte, verbrachte ich dann meist auf meinem Dach. Und ja, ich nenne es mittlerweile mein Dach, weil es sich einfach so anfühlt, als ob es nur für mich da wäre. Ich weiß, dass klingt komisch, aber es ist nun einmal so.
In den folgenden Therapien sprachen Dr. Mayers und ich meist von den Treffen zwischen Christian und mir. Und hin und wieder, wenn ich mal nichts über Christian zu erzählen wusste, redeten wir auch über die Beziehung die ich zu meiner Mum führte. Mittlerweile hat auch diese sich schon um einiges gebessert. Sie war in den letzten Wochen um einiges harmonischer geworden. Eigentlich wurde sie immer besser, seitdem ich mich mit Christian traf. Woran das lag, wusste ich nicht. Dr. Mayers aber war drauf und dran, dieses Rätsel für mich zu lösen.
Und wenn nach diesen beiden Themen noch etwas Zeit mit Dr. Mayers übriggeblieben war, redeten wir noch über meine Zukunft. Ich glaube aber, dass wir nicht wegen seinem Interesse an meinem Berufswunsch darüber redeten. Mittlerweile glaube ich, dass er auch darüber reden will, damit ich herausfinden kann, welcher Mensch ich später einmal sein will.
Es ist schon eigenartig wie ich mich anfangs gegen die Stunden mit Dr. Mayers gesträubt hatte und jetzt - jetzt will ich genau diese nicht mehr missen müssen. In den letzten Wochen habe ich gemerkt, wie ich mich mit jedem Mal besser fühlte, wenn ich mit jemanden reden konnte, der mich nicht dazu drängt. Ohne dass sich mein Gegenüber eine Meinung über mich bilden würde. Okay, wahrscheinlich bildete sich Dr. Mayers auch eine Meinung über mich, aber er behält sie für sich und was noch viel wichtiger ist, er gibt mir das Gefühl, dass jeder Fortschritt und sei er noch so klein, großartig ist. Wobei ich ohne ihn meine Fortschritte gar nicht bemerken würde. Sie fielen mir immer erst dann auf, wenn ich in der Therapiestunde mit Dr. Mayers darüber sprach.

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In ewiger Liebe, Emely
Roman pour AdolescentsFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...