Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst. Aber du kannst nicht dein Herz verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst.
Johnny Depp
Heute bin ich mal wieder auf dem Weg zu Dr. Mayer und mache mir Gedanken darüber, was ich ihm erzähle. Meine Aufgabe war ja, meine Gefühle und Empfindungen, obwohl ich nebenbei erwähnt, den Unterschied noch immer nicht verstehe, aufzuschreiben.
Das habe ich auch gemacht. Es ist ja auch nicht wirklich was passiert. Es war alles wie sonst auch. Naja außer der Abend mit unseren neuen Nachbarn. Und genau über diesen Abend denke ich nach. Soll ich ihn erwähnen? Ich meine, der Abend selber ist mir eigentlich egal. Was mich aber beschäftigt war eine der Personen, die ebenfalls an diesem Abend anwesend war. Der, der sich angeblich darüber freuen würde, würde er mit mir in einer Klasse sein. Der, der mich an diesem Abend mit seinen Worten und seinen Gesten verwirrt hatte. Christian.
Der Freitag nach besagtem Abend verlief normal. Ich bin morgens aufgewacht und hatte mich für die Schule fertig gemacht. Der Tag verging wie alle anderen Freitage zuvor. Sogar das Zuspätkommen meines Englisch Professors war wie immer. Ich war auch stolz auf mich, da mich Christians Verhalten nicht mehr verwirrte und ich mir auch keinerlei Gedanken mehr über ihn machte.
Das Wochenende verging relativ schnell. Wie immer habe ich nachdem ich meine Hausaufgaben erledigt hatte, gezeichnet. Tja und dreimal dürft ihr raten, es wurde wieder nichts. Wie immer als ich fertig war, fehlte etwas. Und wie immer kam ich einfach nicht darauf, was fehlte. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, als wäre ich seit dem Unfall von meinem Dad noch weiter von einer Lösung entfernt. Mir kam es vor, als würde es immer mehr Fehler bekommen. Manchmal frage ich mich sogar, ob ich mir das Ganze auch einfach nur einbilde, um von meiner eigenen Unfähigkeit abzulenken.
Aber zurück zum eigentlichem Thema. Ich habe also auch das ganze Wochenende keinen einzigen Gedanken an Christian verschwendet. Das Ganze ging so bis Montag.
Montag bin ich dann nichtsahnend und mit meinen Gedanken bei meinen Bildern durch die Schule sparziert, als ich ihn plötzlich sah. Seelenruhig saß er da in meiner Klasse, genau eine Reihe hinter meinem Platz. Als ich da also zwischen Tür und Angel meiner Klasse stand und darüber grübelte, wie ich ihm nun gegenübertreten sollte, hob er seinen Kopf und sah mir genau in meine Augen. Und gerade als ich vorsichtig meinen Arm heben und ihn begrüßen wollte, wendete er sich ab und tat so als ob er mich nicht kennen würde. Völlig vor den Kopf gestoßen aber gleichzeitig auch verwirrt, lies ich mich schlussendlich auf meinen Platz fallen.
Und plötzlich fühlte ich etwas, das ich definitiv nicht fühlen sollte. Immerhin habe ich ja ganz genau gewusst, dass er an dem Abend nur höflich war und sich sicherlich nicht darüber freute oder wie er es sagte: Es schön fände, würde er mit mir in einer Klasse sein. Und trotz dieses Wissens, fühlte ich etwas, dass ich definitiv nicht fühlen sollte. Es war eine Mischung aus Traurigkeit, Enttäuschung und Einsamkeit. Kurz nach dieser Erkenntnis ärgerte ich mich aber auch schon wieder über mich selbst. Immerhin machte ich mir über diesen Jungen, den ich noch nicht mal richtig kannte, viel zu viele Gedanken. Und mit diesen unzähligen Gedanken, kommen Gefühle, die ich definitiv nicht haben wollte. Und am meisten ärgerte mich die Erkenntnis, dass ich noch nicht einmal weiß, warum mir all diese Dinge so nahe gingen.
Und da ich mittlerweile vor Dr. Mayers Tür angekommen bin und ich jetzt die letzten Tage noch einmal überdenken konnte, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich es satt habe mich über mich selbst zu ärgern. Außerdem habe ich es satt, mir Gedanken über Christian, der mich übrigens ganz nebenbei erwähnt, die letzten Tage über, gekonnt ignoriert hat, zu machen. Und genau deshalb, werde ich jetzt mit dem Kapitel Christian abschließen. Und bevor ich all dies noch einmal überdenken konnte, klopfte ich bei Dr. Mayer.
"Wie war deine Woche, Emely?" Ich musste schmunzeln, als ich bemerkte, wie er die übliche Frage: Wie geht es dir? übersprang. "Wie immer eigentlich." "Warum nur eigentlich?" "Naja, so wie immer, mit dem Unterschied, dass wir neue Nachbarn haben." Es kam wirklich nicht oft vor, dass ich mich am liebsten selbst schlagen könnte, aber genau jetzt war es so. Wie konnte ich nur so blöd sein, das Abendessen und auch Christian zu erwähnen? Als er dann die nächste Frage stellte, wurde mir klar, dass er nicht so schnell von dem Thema abweichen wollte und genauere Informationen von mir wollte. Was mir aber auch bewusst wurde und noch viel schlimmer war, war die Tatsache, dass egal was er wissen wollen würde, ich ihm auch eine Antwort geben würde.
"Wie hast du sie kennen gelernt?" Ich könnte jetzt noch einen letzten erbärmlichen Versuch starten und ihm zu sagen, dass ich ihnen nur zufällig auf der Straße begegnet war. Allerdings weiß ich, dass mich Dr. Mayer sofort durchschauen würde. Ich weiß zwar nicht wie er das immer schaffte, doch er schaffte es. "Meine Mum hat sie zum Essen eingeladen." "Und wie war der erste Eindruck von ihnen?<" "Nett. Sie waren im Prinzip nett." "Deine Mutter hat mir erzählt, dass der Sohn deiner neuen Nachbarn, zur selben Schule geht wie du."
Eine Weile blieb ich ruhig. Ich war etwas verwirrt, dass er diese Aussage einfach so im Raum stehen lässt. Als er mich allerdings nach einigen Sekunden noch immer nicht aus den Augen ließ, wurde mir erst bewusst, dass er wollte, dass ich ihm etwas über ihn erzähle.
"Mhm, schon möglich. Meine Schule ist groß."
Obwohl er merkte, dass ich ihm mit meiner letzten Aussage nicht die Wahrheit gesagt hatte, wechselte er das Thema. Und um ehrlich zu sein, war ich über diese Tatsache wirklich erleichtert. Er merkte, dass ich darüber nicht sprechen wollte und dass er diesen Wunsch von mir akzeptierte. Gleichzeitig aber hoffte ich auch, dass er dieses Thema in den nächsten Sitzungen nicht wieder ansprechen wird.
"Erzähl mir doch etwas über den Rest der Woche."
Und so kam es dann auch, dass ich ihm all die unwichtigen Dinge der letzten Woche erzählte. Ich berichtete ihm von der Schule. Sogar das Zeichnen habe ich angeschnitten. Allerdings habe ich den Teil weggelassen, der preisgibt, dass ich keines meiner Bilder als fertig ansehe. Geschweige denn, dass meine Bilder immer das gleiche Motiv haben.
Irgendwann, war dann die Sitzung auch vorbei und den nächsten Termin haben wir auch gleich auf den kommenden Mittwoch gelegt. Bis dahin soll ich mir weiterhin Notizen machen. Allerdings nur in Situationen die mir selbst als relevant erscheinen. Seine genauen Worte waren: Schreib mir doch für das nächste Mal all deine Empfindungen, die du in für dich wichtigen Momenten gefühlt hast, auf.
Was ich allerdings nicht ganz weiß ist, woher ich wissen soll, welche Momente mir als wichtig erscheinen sollen. Immerhin laufen doch all meine Tage gleich ab. Naja, zumindest werde ich es versuchen. Und sollte mir kein Moment als wichtig erscheinen, bleibt eben mein Blatt leer.

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In ewiger Liebe, Emely
Novela JuvenilFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...