Du kannst nicht aussuchen wie du stirbst, oder wann. Du kannst nur entscheiden wie du lebst, jetzt.
Joan Beaz
An diesem Montagmorgen war alles anders. Ich war schon hellwach bevor mein Wecker klingelte, beim Frühstück hatte ich Appetit und sogar eines dieser nervenaufreibenden Gespräche mit meiner Mum wollte ich führen. Als Morgenmuffel, der ich nun einmal war, musste ich auch noch nie auf den Bus warten. Außer heute. Zu guter Letzt, erwischte ich mich auch noch dabei lächelnd die Schule zu betreten, wo ich doch ansonsten diese Anstalt so gut es ging vermied. Eindeutig musste ich diesen Tag in den Kalender eintragen, denn ich befand mich in der Schule, zwischen Menschen die ich nicht mochte und war trotzdem auf eine seltsame Art und Weise glücklich. Nie hätte ich es mir auch nur vorstellen können in diesen vier Wänden etwas Anderes als Trostlosigkeit zu empfinden und nun wurde ich eines Besseren belehrt.
Gerade als ich meine Bücher aus dem Schließfach geholt hatte begegnete ich Christian. Da man nur schwer übersehen konnte, dass meine Laune von Samstagabend ausging und damit unwiderruflich von ihm, wurde mein Lächeln automatisch breiter. Seit Samstag war ich mir sicher irgendwann so etwas Ähnliches wie eine Freundschaft zwischen uns aufbauen zu können. Zumindest wollte ich es auf alle Fälle versuchen. Im Vorbeigehen schenkte er mir ein kleines Lächeln, womit ich mich in meiner Vermutung, mit Christian eine Freundschaft eingehen zu können, bestärkt wurde. Was mich allerdings etwas traurig machte war, dass es an diesem Tag auch bei der einfachen Begrüßung blieb. Denn obwohl wir uns manchmal auf dem Flur sahen suchte er nie ein Gespräch oder ähnliches mit mir. Doch jetzt wo ich wieder zu Hause war und noch einmal über den Tag nachdachte, so wurde mir bewusst, dass es wahrscheinlich ziemlich komisch gewesen wäre, hätten wir plötzlich unsere Pausen miteinander verbracht. Wobei ich damit meine, dass es für mich eigenartig gewesen wäre, immerhin war ich die, die ihre freie Zeit alleine verbrachte und nie die Gesellschaft Anderer suchte. In dieser Hinsicht war Christian das genaue Gegenteil von mir. Er hatte, glaube ich, bis jetzt jede Pause mit irgendwelchen Mitschülern verbracht. Während diesem Gedanken schlich sich auch schon wieder ein leichtes Lächeln in mein Gesicht, weswegen ich zugleich beschloss wieder einmal zu zeichnen.
Nachdem ich die Hausaufgaben beendet hatte, schnappte ich mir meinen Zeichenblock und begab mich auf die Suche nach einem geeigneten Plätzchen. Völlig untypisch für mich, fand ich mich wenig später im Zentrum der Stadt vor einem Hochhaus wieder. Schon seit einigen Minuten konnte ich meinen Blick von eben diesem Gebäude nicht abwenden, weshalb ich kurzerhand beschloss auf das Dach zu gehen. Ich weiß nicht was genau es war, dass mich auf dieses Dach führte aber mein Gefühl sagte mir, dass es genau das war, was ich suchte. Trotz meines Wissens mit dieser Aktion Hausfriedensbruch zu begehen, kämpfte ich mich mit meinem Block in der Hand Stockwerk für Stockwerk hoch um wenig später, vollkommen außer Atem, am Rand dieses Daches zu stehen und auf die Menschen unter mir zu blicken. Ich wusste nicht mehr wie lange ich dort oben stand und die Menschen in ihrem hektischen Alltag beobachtete, doch als die Dämmerung einsetzte wusste ich, dass es Zeit war um nach Hause zu gehen.
Erst als ich wieder Zuhause angekommen war, hatte ich bemerkt, dass ich meinen Zeichenblock noch nicht einmal geöffnet hatte. Wo ich doch mit dem Ziel zu Zeichen das Haus verlassen hatte, hatte ich es noch nicht einmal geschafft auch nur einen einzigen Strich auf das Papier zu setzten. Normalerweise würde ich mich jetzt über mich selbst ärgern, doch dieses Mal war es anders. Ich war nicht enttäuscht von mir, dass ich mein Ziel nicht erreicht hatte. Im Gegenteil, es machte mir nicht aus. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt die Eindrücke dieses Tages Revue passieren und sie auf mich wirken zu lassen. Kurz bevor ich in dieser Nacht einschlief, nahm ich mir fest vor, am morgigen Tag wieder auf dieses Dach zu steigen. Denn an diesem Ort konnte ich alles um mich herum vergessen. Es wurde für mich ein Patz der Ruhe, in einem Viertel, dass hektischer nicht hätte sein können.
Und so kam es dann auch, dass ich mich auch heute Nachmittag wieder auf diesem Dach befand. Genauso wie gestern stand ich auch heute wieder am Rand dieses Daches, mit dem Unterschied aber, dass ich dieses Mal nicht das hektische Treiben der Menschen unter mir beobachtete, sondern heute nahm ich den gegenüberliegenden Gebäudekomplex ins Visier. Soweit ich erkennen konnte, handelte es sich um ein großes Büro. Ich beobachtete, wie ich vermutete, die Empfangsdame bei der pausenlos das Telefon klingelte, sowie ihre Kollegen, die mit irgendwelchen Akten von einen zum anderen Schreibtisch durch das Büro hetzten. An den jeweiligen Schreibtischen saßen wieder Mitarbeiter die wie wild auf ihre Tastaturen drückten. Und während ich all diese Menschen bei ihrer Arbeit zusah, driftete meine Gedanken wieder ab. Noch vor ein paar Tagen wollte ich später einmal genau das machen, wie die Menschen in diesem Büro. Meine Arbeit erledigen ohne von den Anderen groß beachtet zu werden. Ich wollte bei meiner späteren Arbeit nicht mit irgendwelchen Kollegen über private Dinge sprechen. Am liebsten wäre es mir sogar gewesen, gar nicht mit ihnen kommunizieren zu müssen. Doch jetzt wo ich dieses Leben aus der Ferne betrachten konnte, änderte sich diese Ansicht auf mein künftiges Arbeitsleben schlagartig. Plötzlich kommt es mir nicht richtig vor, jeden Tag mit denselben Menschen zusammen zu arbeiten, sich aber trotzdem völlig fremd zu sein. Will ich wirklich mein ganzes Leben alleine, von anderen abgeschottet verbringen?
Bis auch an diesem Tag die Sonne unterging und im gegenüberliegendem Gebäude längst kein Licht mehr brannte, saß ich auf diesem Dach und lies meine Gedanken um genau diese Frage schweifen. Will ich das wirklich mein ganzes Leben lang? Nein, definitiv nicht. Keinen einzigen Tag will ich mehr so verbringen. Und plötzlich war die Vorstellung jemanden im Leben zu haben, mit dem man über alles sprechen konnte, viel zu schön.

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In ewiger Liebe, Emely
Ficção AdolescenteFür Emely hatte das Leben schon immer Hindernisse breit. Da sie verschlossen und etwas ruhiger ist als gewöhnliche Teenager in ihrem Alter glauben ihre Eltern sie ist depressiv und schleppen sie gerne von Arzt zu Arzt. Dabei will Emely einfach nur i...