14.0: d a y f o u r t e e n

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Zum dritten Mal in der letzten halben Stunde räumte ich meine Klamotten aus dem Koffer, um sie neu anzuordnen. Wie auch immer ich es anstellte, es wollte einfach nicht alles passen. Vielleicht würde ich einen Rucksack mitnehmen müssen, in den ich das restliche Zeug stopfen konnte.

Mein Kopf schmerzte, meine Augen waren ein wenig geschwollen und ich fühlte mich schrecklich. Ich hatte in der Nacht kaum geschlafen, dafür aber sehr viel geweint und mir noch mehr Gedanken gemacht. Nun aber war es Zeit, die Tränen wegzuwischen und sich den Tatsachen zuzuwenden: Der Dreh war hervorragend gelaufen und wir würden heute abreisen. Ich musste Harry nach dem heutigen Tag also nie wiedersehen – und das würde das Ganze vereinfachen. Wenn ich nur noch diesen einzigen Tag überstand, hatte ich es geschafft.

Liams Worte waren mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Seltsamer noch: Ich glaubte ihm sogar.

Harry und ich waren so verschieden, wie hatte ich jemals davon ausgehen können, dass wir beide zusammen funktionieren konnten? Nicht nur, dass er in einer komplett anderen Welt als ich lebte, er hatte auch eine völlig andere Einstellung zu vielen Dingen.

Ich musste mich zusammenreißen. Immerhin kannte ich ihn gerade einmal vierzehn Tage lang, das war nicht genug Zeit, um sich überhaupt zu verlieben.

Meine Unterlippe begann unweigerlich zu zittern und meine Sicht wurde von einem Tränenschleier getrübt. Sich verlieben. Harry war nicht meine erste Beziehung gewesen – wenn man das, was wir hatten, überhaupt Beziehung nennen konnte, es war alles so unglaublich schnell gegangen – und ich wusste nur zu gut, wie sich eine Trennung anfühlte.

Ich erinnerte mich an meinen allerersten Freund zurück, mit dem ich zum Abschlussball der Schule gegangen war. Auf der Terrasse des Gebäudes hatte er mir seine Liebe gestanden, doch letztendlich hatte die Beziehung nicht länger als drei Monate gehalten, bevor wir uns darauf geeinigt hatten, dass wir als „nur Freunde" besser zusammenpassten. Danach war ich im Laufe der Zeit an zwei weiteren Männern interessiert gewesen, wovon ich einen Korb kassiert hatte und der andere bis heute noch nichts von der heimlichen Schwärmerei erfahren hatte. Ich hatte selbst einen Kumpel gefriendzoned und mit meinem letzten Freund Schluss gemacht, weil wir uns einfach auseinander entwickelt hatten.

Aber verdammt noch mal, keine dieser Enttäuschungen, keine der Trennungen hatte so geschmerzt wie jetzt. Mein Herz zog sich so fest zusammen, dass ich meinte, ersticken zu müssen und keuchend ließ ich mich auf mein Bett sinken. Vierzehn Tage reichten aus, um mein Herz schneller schlagen und darauf zerbrechen zu lassen.

Bestimmt eine Viertelstunde saß ich mit glasigem Blick auf der Bettkante und versuchte, mit all der Trauer klarzukommen, die sich in mir breit machte. All die Träume, die ich gehabt hatte, all die schönen Vorstellungen, die mich wie auf Wolken durch den Tag getragen hatten, waren verschwunden und nun wurde mir der Verlust erneut in Erinnerung gerufen. Ich würde Harry nie beibringen, wie man Schlittschuh lief. Er würde nie ein Lied schreiben, von dem nur wir beide wussten, dass es über uns ging. Denn das einzige, was ich mit absoluter Sicherheit sagen konnte, war, dass ich eine Beziehung, wie Harry sie im Sinn hatte, nicht führen wollte. Besser war es, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen, statt ihm mein Herz zu schenken und nichts dagegen tun zu können, dass er es ständig brach. Wir beide konnten uns nicht so sehr für einander ändern, deshalb war es gesünder für uns, es sein zu lassen, abzureisen und das Ganze zu vergessen.

Als ich mich schließlich wieder aufrappelte, um einen neuen Versuch zu starten, meinen Koffer zu packen, waren meine Wangen nass. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, es nicht zu tun, hatte ich wieder geweint. Kraftlos knüllte ich jegliche Kleidung, die ich finden konnte, zusammen und warf sie in den Koffer hinein. Je schneller ich von hier weg war, desto besser.

Es klopfte und ich wischte mir hastig über die Augen, was allerdings nicht sonderlich viel brachte, da sie trotzdem rot und geschwollen waren. Mittlerweile war es mir egal. Sollten sie denken, was sie wollten, ab morgen würde ich sie nicht mehr sehen müssen. Also griff ich zur Klinke und öffnete.

Harry stand vor mir. Seine Haare waren unordentlich, sein Gesichtsausdruck müde. Dennoch sah er erleichtert aus, dass ich geöffnet hatte und zwang sich zu einem Lächeln. Liam oder Louis mussten ihm gesagt haben, was mit mir los war.

„Annie, ich-", setzte er an, doch da hatte ich die Tür schon wieder zugeschlagen.

Mit wackeligen Beinen lehnte ich mich von meiner Seite dagegen und ließ mich langsam zu Boden gleiten. Meine Atmung ging schnell und mein Herz pochte wild in meiner Brust, während ich das prickelnde Gefühl im Bauch hatte, als würde ich fallen. Und das tat ich auch. Ich raste mit großer Geschwindigkeit auf den Boden zu, wo mich niemand auffangen würde. Und trotz allem konnte mein Herz nicht anders, als sich nach dem Menschen zu sehnen, der es so verletzt hatte und der kaum einen Meter von mir entfernt war, nur durch eine Tür getrennt.

„Bitte mach auf, Annie", hörte ich seine Stimme und begann zu schluchzen.

Ich winkelte meine Beine an, umarmte sie fest mit meinen Armen und vergrub meinen Kopf darin, in der Hoffnung, den Schmerz irgendwie abschalten zu können. Seine Anwesenheit ließ die Wunden in meinem Inneren wieder bluten.

„Annie, lass uns darüber reden."

Ich antwortete nicht und betete, dass er weggehen würde.

„Ich flehe dich an, gib mir eine Chance, es zu erklären!"

Die Erklärung kannte ich bereits und ich war nicht einmal wütend auf ihn, nur verletzt. Außerdem hatte ich meine Entscheidung gefällt: Ich musste ihn gehen lassen, um mich selbst zu schützen.

Mein Herz protestierte schmerzhaft gegen diesen Entschluss.

„Es tut mir leid, Annie", hörte ich ihn sagen und darauf ein Geräusch an meiner Tür, das kein Klopfen war, sondern sein Körper, der dagegen sank. Der Spalt zwischen Tür und Boden verdunkelte sich und ich wusste, dass er, genau wie ich, mit dem Rücken an die Tür gelehnt dasaß.

Ganz leise vernahm ich ein heftiges, stoßartiges Schluchzen, das Einzige, was mir sein Weinen verriet.

Und so saßen wir dort, Rücken an Rücken, durch eine Tür von einander getrennt und beide weinend, in dem Wissen, dass wir uns verletzen würden, wenn wir bleiben. Trotzdem verharrten wir dort, um wenigstens für einen einzigen Moment noch die Anwesenheit des anderen zu spüren, bevor wir uns von einander abwenden mussten.

Zum zweiten Mal brach er mir das Herz – und dieses Mal noch schmerzhafter als zuvor.

Annie || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt