13.2: d a y t h i r t e e n

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Heiße Tränen rannen mir über die Wangen, als ich mit wütenden, harten Schritten auf die Sitzgruppe zustapfte. Energisch wischte ich sie weg. Ich wollte nicht, dass er sah, wie sehr er mich verletzte. Diese Genugtuung wollte ich ihm nach allem, was er mir angetan hatte, nicht gönnen. So wenig war ich ihm also wert? Dass er sich bei der nächstbesten Gelegenheit eine Neue krallte?

Ich versuchte, meine Gedanken trotz allem zu sortieren, denn ich hatte Angst, andernfalls vor ihm zu stehen und einfach nur zu weinen, ohne zu wissen, was ich ihm sagen wollte. Ich war enttäuscht, nein, mehr als nur enttäuscht. Ich war verletzt von ihm und hatte jegliches Vertrauen mit einem einzigen Schlag verloren. In so kurzer Zeit hatte er mir mein verdammtes Herz gebrochen, das so hartnäckig an ihm gehangen hatte. Was hatte ich mir die ganze Zeit eigentlich gedacht? Dass ich ihn bessern konnte? Dass sein komplettes anfängliches Verhalten nur gespielt gewesen war? Es hatte schließlich einen Grund gegeben, warum ich ihn zu Anfang gehasst hatte und niemals hätte ich zulassen sollen, dass sich daran etwas ändert.

Ich hatte nicht mal die Hälfte des kurzen Weges zu ihm zurückgelegt, als mich Louis abfing, den ich bis dahin völlig ausgeblendet hatte.

„Hey", meinte er leise und legte seine Hände auf meine Schultern, womit er mich vom Weitergehen abhielt.

„Was willst du?", fauchte ich unhöflich und wischte mir abermals die Tränen weg.

Meine Hände waren schwarz von der verschmierten Mascara. Nun würde Harry sicherlich bemerken, dass ich geweint hatte. Auch gut, dann würde er sich wenigstens schlecht fühlen. Oder kümmerten ihn meine Gefühle überhaupt? Scheinbar ja nicht. Bei diesem Gedanken begann ich erneut zu schluchzen.

„Hey", sagte Louis nochmals, seine Stimme nahm einen beruhigenden Tonfall an, „ist ja gut. Shh, nicht weinen."

Voller Schmerz und Verzweiflung presste ich meine Hände gegen die Augen und versuchte vergeblich, den nicht endenden Tränenfluss zu stoppen. Louis führte mich währenddessen sanft zum Ausgang. Ich ließ es zu, denn mit einem Mal wollte ich gar nicht mehr mit Harry reden. Ich wollte nicht sehen, dass meine Vermutung bestätigt wurde und es ihm völlig egal war, wie ich mich fühlte.

„Du solltest das nicht ansehen, Annie. Komm, wir gehen nach draußen", murmelte er mir mitfühlend zu. So viel Feinfühligkeit hätte ich von ihm nicht erwartet. „Es wird einfacher mit der Zeit, glaub mir. Aber am Anfang ist es nie schön, dabei zu sein. Lass ihn heute Abend einfach in Ruhe", riet er mir, stieß die Tür auf und hielt sie für mich offen. Die Musik dröhnte mir in den Ohren.

„Es wird einfacher?!", wiederholte ich mit piepsiger Stimme, „Es ist vorbei!"

Seine Miene blieb unverändert, nur in seinen hellblauen Augen sah ich die Überraschung. „Du wusstest doch, worauf du dich einlässt."

„Anscheinend wusste ich das nicht", schluchzte ich schon wieder los, lehnte mich gegen die Wand der VIP-Lounge und ließ mich daran herunterrutschen, sodass ich auf dem Boden kauerte, denn mit einem Mal zitterten meine Beine so stark, dass ich nicht mal mehr stehen konnte.

Wie konnte er nur? Ich hatte ihm alles gegeben, alles, und so dankte er es mir? Indem er mich betrog, bevor unsere Beziehung überhaupt richtig angefangen hatte?

Ich wusste nicht, wie er hergekommen war, aber als ich aufsah, stand Liam vor mir und Louis war verschwunden. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen reichte mir der Braunäugige eine Hand. Sein Mund bewegte sich, als würde er etwas sagen, aber es war unmöglich, das bei der hier herrschenden Lautstärke zu hören.

Vor nicht einmal einer halben Stunde hatte mir Harry das Tanzen beigebracht und mich dazu gebracht, Dinge auszuprobieren, die ich sonst nie gemacht hätte. Wie weit entfernt das nun von uns lag.

„Lass uns rausgehen", sagte plötzlich jemand dicht an meinem Ohr, es war Liam, der sich zu mir heruntergebeugt hatte. „Ich denke, es gibt einiges, was ich dir sagen muss."

Hatte er etwa davon gewusst? Oder noch schlimmer: War die Blonde nicht die Erste gewesen?!

Immer mehr krampfte sich mein Herz zusammen, ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so sehr schluchzte ich, doch ich wollte endlich die ganze Wahrheit wissen, deshalb ergriff ich Liams Hand trotz allem und ließ mich von ihm hochziehen. Er machte sich auf den Weg zur Terrasse des Clubs und ich stolperte hinterher.

Tatsächlich war es draußen sehr viel leiser, sodass ich Liam verstehen konnte, wenn er in normaler Lautstärke redete. Er war leicht heiser vom vielen lauten Reden, als er mich fragte: „Du hast mit Harry nie wirklich über eure Beziehung geredet, oder?"

„Wie meinst du das?", fragte ich mit zittriger Stimme und zog die Nase hoch.

Hier draußen standen einige Bänke, auf eine davon setzte ich mich.

Er folgte mir. „Klingt es dumm, wenn ich sage, dass alles nur ein Missverständnis ist?"

Schon wieder weinte ich los. Immer, wenn ich meinte, mich beruhigen zu können, brachte mich irgendetwas erneut zum Weinen. „Das war kein Missverständnis! Und sag mir bitte nicht, dass es eine Verwandte war, das kaufe ich dir nicht ab."

Durch den Tränenschleier sah ich ihn mit dem Kopf schütteln. Noch viel heftiger schluchzte ich, sodass sich mein ganzer Körper dadurch schüttelte, denn irgendwie hatte ich trotzdem auf diese Erklärung gehofft, auch wenn sie noch so unwahrscheinlich war.

„Ich glaube, Harry und du habt euch nie wirklich ausgesprochen, was für eine Beziehung ihr überhaupt führen wollt", schlussfolgerte Liam und hob die Hand, als ich ihn unterbrechen wollte, als Zeichen, dass er noch nicht fertig war. „Was Harry bisher immer geführt hat – und ich gehe davon aus, dass er es auch jetzt führt, auch, wenn ihr vielleicht nicht darüber gesprochen habt –, ist eine offene Beziehung. Sex bedeutet für ihn nicht gleich Liebe, Annie."

„Ach nein? Wie überaus beruhigend", brachte ich hervor.

Liams Erklärung war mehr als unzureichend. Ich wollte keine offene Beziehung und egal wie, Harry hätte es mir sagen müssen, bevor er es einfach so machte. Ich war ihm wohl nicht so viel wert, dass er für mich von seinen alten Gewohnheiten abließ.

„Das was zwischen Harry und dir ist, ist völlig anders, Annie!", beteuerte Liam. „Ich sehe doch, wie es ihm geht, wenn du bei ihm bist und ich sehe doch, wie glücklich er bei dir ist. Aber man kann Menschen nun mal nicht ändern. Man kann sie nur lieben."

„Deine abgedroschenen Sprüche helfen mir nicht weiter, Liam", wimmerte ich, zog die Beine an meinen Oberkörper heran und umschlang sie mit den Armen.

„Ich weiß, er hätte es dir sagen müssen", redete Liam sanft weiter, ohne auf mich einzugehen, „aber ich denke, es ist für ihn so natürlich, dass er es für selbstverständlich annimmt. Auch, wenn es sein Verhalten nicht entschuldigt. Ich bitte dich, Annie, denk wenigstens darüber nach. Er braucht dich, gerade eben jetzt."

Das mochte vielleicht die Wahrheit sein, aber ich konnte nicht für ihn da sein, wenn er mich dabei immer wieder so verletzte.

Annie || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt