3.0: d a y t h r e e

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„Ich freue mich, zu hören, dass die gestrige Teamarbeit so wunderbar funktioniert hat", eröffnete Ben Winston unsere heutige Sitzung und ich verzog kaum merklich das Gesicht.

Wie gut die Teamarbeit geklappt hatte, hatte man ja gesehen ... Harry lag währenddessen quer ausgestreckt auf dem Sofa. Ihn plagten heute Kopfschmerzen – offiziell, da er den plötzlichen Wetterwechsel von sonnig auf regnerisch nicht vertrug, aber ich argwöhnte, dass es wohl eher der Kater war, der ihn plagte. Noch nie hatte ich jemandem seine Kopfschmerzen so sehr gegönnt, wie ich es bei Harry tat.

„Und, wie war es wirklich bei dir?", flüsterte mir das blonde Mädchen, Lena hieß sie, wenn ich mich richtig erinnerte, ins Ohr und ich zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ich lebe noch", entgegnete ich trocken und sie kicherte leise. Sie hielt meine Aussage wohl für einen Scherz.

Ich wollte ihr nicht sagen, was für ein Horror der letzte Tag gewesen war, denn ich hatte eine winzige Hoffnung, dass sich Harry nüchtern doch noch als erträglich entpuppen würde und wir letztendlich einigermaßen gut zusammenarbeiten konnten. Deshalb wollte ich ihm seinen Ruf bei den anderen noch nicht sofort zerstören.

„Und bei dir?", tat ich interessiert.

Sie zuckte mit den Achseln.

„Liam scheint nett zu sein", entgegnete sie, „ganz im Gegensatz zu Louis. Amira war den ganzen Abend lang bei mir und hat sich über seine unmögliche Art ausgelassen! Die Arme – sie muss heute schon wieder mit ihm zusammenarbeiten. Und wir werden in den kommenden Tagen wohl auch noch drankommen ..."

Ich nickte und verzog meine Miene, jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass es schlimmer als bei Harry gewesen war. Amira war einfach gut darin, sich über alles und jeden aufzuregen.

„Hat Rotschopf nochmal mit dir geredet?", erkundigte sich die Brillenträgerin neben mir und ich schüttelte den Kopf. 

Den restlichen Tag hatte ich gestern damit verbracht, in meinem Zimmer zu sitzen und mit mir selbst zu streiten, ob ich noch einmal zu Harry gehen und versuchen sollte, die Sache zu regeln – diese Idee hatte ich jedoch schon bald wieder verworfen, wenn ich an seinen alkoholischen Atem und die widerlichen Anmachen dachte –, Harrys Verhalten trotz allem bei Ben Winston melden oder den Job einfach hinschmeißen und das Ganze vergessen sollte. Nichts von alldem hatte ich letztendlich getan, es war nur ein sehr träger, langer Tag geworden, doch zum Rausgehen hatte ich mich auch nicht bereit gefühlt. Schließlich hätte das Boyband-Mitglied mir auf meinem Weg begegnen können.

„Annie und Harry hatten eine wunderbare Idee, das Musikvideo mit einer Szene des Aufwachens zu beginnen", riss mich Mr Winston aus meinen Gedanken.

Um genau zu sein waren es nicht seine Worte, sondern Harrys Reaktion, die mich aus meinen Träumen holte.

Er sprang wie ein geölter Blitz von der Couch und sah erst den Regisseur, dann mich mit einem furiosen Blick an.

„Das ist nicht dein Ernst, oder?", zischte er mir zu und ich lächelte scheinheilig.

„Was ist denn los, Harry?"

Er holte hörbar Luft und griff sich an seinen wohl noch schmerzenden Kopf. Verdient hatte er sie, seine Kopfschmerzen. Jede einzelne Sekunde!

„Du kannst dich vielleicht nicht mehr an alles erinnern, was wir gestern besprochen haben", meinte ich zuckersüß, ein gekonnter Seitenhieb, der auf seinen Zustand am Ende unseres Treffens anspielte, „aber wir hatten uns auf meinen Vorschlag geeinigt."

„Ich kann mich an alles erinnern, was gestern passiert ist, Süße", knurrte er und durchbohrte mich scheinbar mit seinem Blick.

Amira schnappte hinter mir nach Luft. Man konnte die Spannung zwischen uns förmlich spüren.

„Tut mir leid", gab ich ruhig zurück, „dann habe ich da wohl etwas missverstanden. Was war nochmal deine Idee gewesen? Der Versuch gestern war ja nicht gerade erfolgreich."

„Ja?", lachte Harry. „Mir hat es Spaß gemacht, Schätzchen."

„Es war wohl ein sehr einseitiges Vergnügen. Ich würde es fast mit Körperverletzung gleichstellen", knirschte ich. Seine Belästigungen wollten mir nicht aus dem Kopf gehen und meine Hoffnungen waren völlig umsonst gewesen. Er war immer noch dasselbe Arschloch wie zuvor.

Als nun auch Mr Winston sich räusperte, sah ich auf und bemerkte erschrocken, dass das Gespräch für einen Dritten mehr als falsch klang. Und dass Harry hinter nahezu jeden seiner Sätze einen Kosenamen geschoben hatte, die für mich jedoch nur abwertend und erniedrigend geklungen hatten, machte es nicht gerade besser.

Mein Gesicht musste verraten haben, dass ich die Zweideutigkeit begriffen hatte und Harrys spöttisches Grinsen sagte mir auch, dass er es schon viel länger überrissen hatte.

„Gib es doch zu, es hat dir auch Spaß gemacht", sagte er und zog dabei einen Mundwinkel nach oben, sodass eines seiner Grübchen erschien. „Aber wenn du willst, werde ich beim nächsten Mal mehr darauf achten, was ich mache und dafür sorgen, dass es uns beiden gefällt."

Eine Bumsmatratze. Man würde mich als eine totale Schlampe abstempeln, und das nach nicht einmal einer Woche. Mir wurde übel und alle Farbe wich aus meinem Gesicht.

An seinem Blick, der mir direkt in die Augen starrte, erkannte ich, dass er sich der Wirkung seiner Worte auf mich und die anderen vollkommen bewusst war.

„Hör auf", wisperte ich und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „Bitte hör auf damit!"

Von meiner sonstigen kühlen Stärke war nichts mehr zu sehen, denn ich schämte mich über alles. Was mussten die anderen von mir denken? Ich musste hier raus. Der Raum beengte mich, ich bekam keine Luft mehr und Tränen stiegen mir in die Augen.

„Du ...", meine Stimme zitterte und brach ab, ich stürmte zur Tür und rannte so schnell ich konnte hinaus. Ich wollte weg von den Menschen, die mich mit Sicherheit für ein Flittchen erklären und hinter meinem Rücken über mich lästern würden. Und an allem war Harry schuld, Harry Styles, Mitglied der bekanntesten Boyband überhaupt: One Direction.

Er hatte die Aufmerksamkeit und das Geld garantiert nicht verdient.

Am Ende des Ganges konnte ich die Tränen schließlich nicht mehr aufhalten. Schniefend trat ich hinaus in die frische Luft und spielte nun wirklich mit dem Gedanken, ein Taxi zu rufen, meine ganzen Sachen, den Job und die Leute hinter mir zu lassen und nach Hause zurückzukehren.

Annie || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt