10.1: d a y t e n

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Der Dreh fand im Flur statt. Ein ziemlich langweiliger Ort, wie ich fand, weshalb ich noch gespannter war, wie Mr Winston die Szene aufbauen würde, damit sie trotzdem interessant wurde.

Neben mir war auch Eleanor heute anwesend. Wahrscheinlich sah sie den Jungs ebenfalls nur zu, denn ich glaubte nicht, dass sie eine Rolle im Video haben würde. Sie saß lässig auf einem der Sessel, die am Ende des langen Ganges aufgestellt worden waren, ließ die Beine über die Armlehne baumeln und hatte ihr Handy herausgeholt, schielte jedoch manchmal darüber hinweg, um die Jungs, und vor allem Louis, zu beobachten.

Wenn ich die Blicke sah, die sie des Öfteren austauschten, war ich mir sicher, dass Louis ihre Rückkehr besser aufgenommen hatte als Harry.

Da ich ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, ging ich geradewegs auf den anderen Sessel zu und setzte mich.

Sie warf mir ein scheues Lächeln zu.

„Hi", sagte sie nach einer Weile.

„Hi", sagte auch ich.

Smalltalk war noch nie meine Stärke gewesen, was die Situation unnötig unangenehm machte.

„Du schaust heute also auch nur zu?", fragte sie mich dann, nachdem sie bemerkt hatte, dass von meiner Seite aus keine Anregung zu einem Gespräch kommen würde.

„Sieht wohl so aus", murmelte ich und sah zu Harry hinüber, der gerade Mr Winston zuhörte, welcher ihnen Anweisungen für den bevorstehenden Dreh gab.

„Annie, richtig?", fragte sie dann und ich nickte.

„Genau."

Ich hatte ein Talent dafür, Gespräche im Keim zu ersticken, auch, wenn das eigentlich gar nicht meine Absicht gewesen war.

Aber da sie nichts mehr darauf sagte und ich ebenfalls nicht wusste, worüber ich mit ihr reden sollte, beobachtete ich die Jungs ganz einfach dabei, wie sie hintereinander Aufstellung nahmen.

Louis war der Erste in der Reihe, was mich vermuten ließ, dass er in der Szene singen würde.

„Ich weiß nicht, was dir Harry über mich erzählt hat, aber es ist nur seine Sicht der Dinge", begann Eleanor irgendwann erneut.

Sie hatte mein Schweigen scheinbar als Ignoranz interpretiert.

„Das weiß ich", erklärte ich ihr deshalb, um sie zu beruhigen.

Sie lächelte traurig. „Er hat sicherlich kein sonderlich gutes Bild von mir."

Gerne hätte ich ihr etwas anderes gesagt, aber das wäre gelogen, weshalb ich letztendlich einfach nickte.

Harry hasste Eleanor und ich war mir nicht sicher, ob sich das jemals ändern würde.

„Louis und ich waren eine ganze Zeit lang zusammen", fing sie dann an zu erzählen. Ich war mir nicht sicher, ob sie meinte, mir eine Erklärung schuldig zu sein, aber ich wollte ihre Version der Geschichte gerne hören. Daher ließ ich sie reden. „Er ist die Liebe meines Lebens."

Sie sah mich aus ihren dunklen Augen an und ich erkannte die Aufrichtigkeit darin.

„Ich weiß nicht, ob du so etwas schon einmal erlebt hast", meinte sie und ich bildete mir ein, dass sie dabei zu Harry sah, „aber ich würde alles für Louis tun. Alles."

Sie warf dem Braunhaarigen einen liebevollen Blick zu. „Ich war noch nicht allzu lange mit ihm zusammen, als die Presse und auch viele Fans davon Wind bekamen und mich dafür hassten, dass ich mit Louis zusammen war. Natürlich sagt man immer, dass man sich diesen Hass nicht zu Herzen nehmen darf, aber es ist etwas ganz anderes, wenn man selbst in der Situation ist, als wenn man nur davon hört. Und wenn dir das halbe Internet Tag für Tag einredet, du seist zu dumm, zu hässlich, zu fett oder alles zusammen, fängt man irgendwann selbst an, zu zweifeln."

Sie sah mich unsicher an und ich lächelte leicht, um ihr zu zeigen, dass sie fortfahren sollte.

„Wie du vielleicht weißt, bin ich Model. Bevor ich Louis kannte, lief es auch mit meiner Karriere nicht so gut. Wenn ich nicht seine Freundin gewesen wäre, hätte ich vermutlich nicht mehr lange davon leben können. Jetzt sagte man mir natürlich nach, ich sei nur mit ihm zusammen, um meiner Karriere einen ordentlichen Schub zu verpassen. Dazu noch die ganze Kritik an meinem Äußeren. Weißt du, ich habe mich irgendwann wirklich gefragt, ob ich meine ganzen Aufträge nur bekomme, weil ich Louis' Freundin bin und sonst kein Talent für den Job habe. Also habe ich angefangen, abzunehmen. Immer weiter, so lange, bis ich deswegen irgendwann ins Krankenhaus musste."

Sie presste die Lippen aufeinander und blinzelte einige Male heftig. Ihr Blick wich meinem aus, glitt zur Wand und eine Sekunden lang herrschte zwischen uns beiden Stille, während sie um Fassung rang und ich mir überlegte, was ich wohl in ihrer Situation gemacht hätte.

Wäre ich selbstbewusst genug, um den Hate an mir abprallen zu lassen?

„Ich habe gesehen, was es mit Louis gemacht hat, mich leiden zu sehen", fuhr Eleanor letztendlich fort, ihre Stimme zitterte dabei. „Es ging ihm noch viel schlechter als mir. Er hat sich Vorwürfe gemacht, dass er daran schuld sei. Er hat sogar überlegt, aus der Band auszusteigen, doch das hätte den Hass mir gegenüber wahrscheinlich sogar noch gesteigert. Und als ich mich selbst dann so im Krankenhaus gesehen habe, ist mir klar geworden, dass ich nicht stark genug bin. Ich wäre daran irgendwann zerbrochen und wenn das geschehen wäre, dann hätte ich damit auch Louis zerstört. Also bin ich gegangen."

Eine einzelne Träne kullerte ihr über die Wange. Sie machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen.

„Es war das Beste, was ich tun konnte. Die Zeit danach war hart für ihn, aber er hatte ja wenigstens noch Harry und auch Liam und Niall. Ich konnte den Tod seiner Mutter ja nicht voraussehen, er hat ihn nochmal stark mitgenommen."

„Ich verstehe", sagte ich irgendwann leise und ihr Kopf schoss zu mir herum. „Aber du bist stärker geworden, oder?"

Sie nickte. „Deshalb bin ich zurückgekommen. Es ist noch nicht zu spät für Louis. Er kann gerettet werden."

Sie schwieg eine Zeit lang. „Und für Harry ist es auch nicht zu spät. Vielleicht hat er seine Rettung ja auch schon gefunden."

Nun sah sie unverkennbar mich an.

Hatte sie recht? War ich diejenige, die Harry aus seinem Loch ziehen konnte?

War ich stark genug dafür?

Annie || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt