TWENTY-ONE - Bis ich sechzehn wurde - ✔️

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Aria POV

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„Wie hast du diesen Ort gefunden?", frage ich nach einer Ewigkeit, und verdrücke gerade den letzten Snack. Die Sonne ist mittlerweile schon lange untergegangen, aber weder Nicola noch ich denken überhaupt im Entferntesten daran, zurück zu gehen. Es ist viel zu schön und friedlich hier, um wieder in die kalte Mafiawelt zurückzukehren. Ich genieße es, mal nicht immer wieder von Gianmarco's Blicken erdolcht zu werden, und ich glaube, dass auch Nicola sich die letzten Stunden ziemlich entspannt hat.

Ja, Stunden – wir sitzen hier um genau zu sein seit zweieinhalb Stunden.

In dieser Zeit haben wir viel gesprochen, aber auch lange geschwiegen und einfach die Aussicht genossen. Ich bin meinen Gedanken nachgehangen, habe mir überlegt, wem ich diesen Ort gerne zeigen würde. Ich glaube, Liam wäre begeistert hiervon. Er liebt solche ruhigen Orte, an denen man einfach ungestört überlegen kann. An denen niemand einen stört, und man tun und lassen kann, was man will. Außerdem liebt er das Meer über alles. Im Gegensatz zu mir ist er überhaupt kein Stadtmensch, und hat Seattle nur deswegen in sein Herz geschlossen, weil an jeder Ecke Erinnerungen an uns und unsere Kindheit hängen.

„Ich habe mich mit Raffa gestritten und wollte alleine sein", fängt Nicola an, und ich fange schon an, etwas zu schmunzeln. Es passt, dass die beiden sich natürlich wieder mal in die Haare gekriegt haben.

„Ich habe mir das Ziel gesetzt, die Umgebung hier etwas besser kennenzulernen, und bin dann auf diesen Ort hier gestoßen. Ich wusste sofort, dass das hier mein Lieblingsort sein wird, mein kleines Versteck welches nur Raffa, du und ich kennen."

Ich lächle und schaue in die Ferne. „Wann war das?", frage ich leise nach, und Nicola scheint kurz zu überlegen. „Vor etwa vier Jahren", sagt er dann, und scheint selbst etwas erstaunt darüber zu sein. „Wir sind nur selten hierhergekommen, da es in Seattle eigentlich relativ sicher für uns ist. Aber manchmal müssen wir übervorsichtig sein, damit nichts passieren kann." Ich nicke und seufze. Ich frage mich, was mich in dieser Familie noch alles erwarten wird.

Zwar habe ich schon wirklich viel erlebt, aber irgendwas sagt mir, dass das noch lange nicht alles war. Dass ich noch viel mehr mit den Italienern erleben werde, und dabei wird bestimmt nicht alles positiv sein. Doch momentan konzentriere ich mich einfach auf das, was jetzt ist. Denn irgendwie muss ich lernen, endlich mit der Situation umgehen zu können. Ich muss lernen, sie zu akzeptieren und das Beste draus zu machen. Immerhin kann ich froh sein, dass ich noch am Leben bin, eine Freundin habe, und sogar ein eigenes Zimmer.

Gianmarco hätte mich auch einfach töten können, was er glaube ich auch getan hätte, wenn da Amy nicht wäre. Bei dem Gedanken daran, wie Amy ihre Familie unter Kontrolle hat, schmunzle ich leicht. Jeder hat Respekt vor ihr, dabei ist sie nur einen halben Kopf grösser als ich und ziemlich zierlich. Doch meine Güte hat diese Frau Feuer unterm Arsch! Ich frage mich wie sie es geschafft hat, dass Gianmarco so brav auf sie reagiert. Er tut quasi alles, was seine Frau ihm befiehlt, und dass, obwohl er so ein großer Sturkopf ist.

Wie lange hat Amy wohl dafür gebraucht, endlich seinen Respekt zu erlangen? Und überhaupt, wie hat eine Frau wie sie sich ausgerechnet für einen Mann wie Gianmarco entscheiden können? Ich meine, sie ist der Inbegriff von Frieden, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit. Und dann kommt ihr Mann, welcher skrupellos zum zweiten Mal ein Mädchen entführt und dann mit sich ringt, um es nicht zu töten, einfach, weil es einfacher wäre, wenn sie weg wäre. Ich schüttle leicht den Kopf und seufze, ehe ich einen Schluck Eistee nehme.

„Wie ist deine Kindheit eigentlich verlaufen?", frage ich Nicola leise, und er sieht kurz zu mir. „Relativ normal, bis ich sechzehn wurde", sagt er leise, und ich nicke. „Ich war glücklich, hatte einen großen Bruder, eine mich liebende Mutter und einen Vater, der mir alle Wege freiräumte, damit ich erfolgreich sein konnte. Und dann wurde entschieden, dass nicht nur Raffa, sondern auch ich seinen Posten einnehmen werde. Das war kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag. Ich wurde aus der Schule genommen und privat weiter unterrichtet, hatte viele Stunden Training, in denen ich schießen und kämpfen gelernt habe. Ich habe Einsicht in die Geschäfte meines Vaters bekommen, und mir wurde beigebracht, wie man verhandelt."

Nicola - ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt