Gähnend streckte ich mich auf meinem Handtuch aus. Die Sonne schien warm vom Himmel herab. Rauschend spülten Wellen gegen den Strand. Über meinem Kopf glitten Möwen durch die Luft und hielten nach besitzerlosem Essen Ausschau. Es war ein Tag wie jeder andere am Meer. Leider neigten sich die Sommerferien schon dem Ende zu. Seufzend richtete ich mich auf und suchte nach meinem kleinen Bruder. Er baute eine Sandburg, die bereits zwei Türme und eine große Mauer mit vielen Fenstern hatte. Als Ryan bemerkte, dass ich ihn ansah, stand er eilig auf und lief auf mich zu.
„Endlich bist du wach, Fina. Gehen wir schwimmen?", fragte er mich mit leuchtenden Augen.
Lächelnd nickte ich, woraufhin er in die Hände klatschte. Ich konnte ihm einfach nichts abschlagen. Wir liefen zum Wasser. Kalt umspülte es meine Knöchel und während ich noch den Moment genoss, sprang Ryan bereits hinein. Er drehte sich um, schaufelte Wasser in seine Hände und warf es auf mich. Im ersten Augenblick war das Wasser eisig, aber ich ließ mich nicht beirren.
„Das gibt Rache", schwor ich grinsend und nahm meinen Worten damit die Schärfe.
Ich rannte zu Ryan ins Wasser und verfolgte ihn durch die Wellen. Er lachte und rief:
„Du kriegst mich nie!"
„Das werden wir noch sehen."
Mit einem Satz tauchte ich unter die Wasseroberfläche und schwamm mit kräftigen Armzügen auf ihn zu. Da das Wasser etwa Brusthoch war, konnte ich mich ihm unbemerkt nähern. Im nächsten Moment zog ich ihm die Beine weg, sodass er untertauchte. Als Ryan wieder auftauchte, funkelte er mich an.
„Hey!"
Ich grinste ihn nur an und streckte ihm meine Hand hin. Er packte sie und zog so kräftig daran, dass ich ebenfalls untertauchte. Prustend kam ich wieder hoch und sah ihn vorwurfsvoll an.
„Komm, lass uns noch ein bisschen schwimmen gehen", schlug ich vor und schwamm ein Stück vor.
Dann ließ ich mich entspannt auf den Wellen treiben. Das Wasser schien mich förmlich zu tragen. Hier, am Meer, fühlte ich mich einfach am wohlsten. Plötzlich hörte ich einen Aufschrei, der aus vielen Kehlen erwidert wurde.
„Hai!"
Ängstlich drehte ich mich um und schwamm Richtung Strand. In diesem Augenblick merkte ich, dass mein Bruder nicht an meiner Seite war. Am Strand konnte ich ihn nirgends entdecken, nur panische Leute, die sich gegenseitig anrempelten, um den Strand möglichst schnell zu verlassen. Wo war Ryan?
„Fina! Hilfe!"
Ich fuhr herum und sah ihn nur wenige Meter entfernt. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, er schlug um sich und schrie ununterbrochen nach Hilfe. Neben ihm sah ich eine Haifischflosse aus dem Wasser ragen. Das Blut gefror in meinen Adern. Das durfte nicht wahr sein.
„Ryan!", rief ich und watete auf ihn zu.
Ich durfte meinen Bruder nicht im Stich lassen. Als ich bei ihm ankam, schrie ich auf. Im Wasser konnte ich den Körper eines vier Meter langen Hais erkennen. Oh mein Gott. Der Hai hatte sich in Ryans Seite verbissen und ließ ihn nicht los. Was sollte ich bloß tun? Blut mischte sich mit dem Salzwasser. Die Wunde musste höllisch wehtun.
„Halte durch, Ryan."
So schnell ich konnte, war ich bei ihm. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, schlug ich auf den Hai ein, doch er ließ nicht locker. Ryan verlor das Bewusstsein. Wieso half denn niemand?
„Lass ihn los, du Mistvieh!", brüllte ich den Haifisch an.
Auf einmal ließ er Ryan los und starrte mich an. Seine schwarzen Augen bohrten sich tief in meine und hielten meinen Blick fest. Dann schwamm er schnell davon aufs offene Meer hinaus. Viel Zeit, ihm fassungslos hinterher zu schauen, hatte ich nicht, denn Ryan sackte in sich zusammen. Ich packte ihn und brachte ihn zurück zum Ufer, halb schwimmend, halb watend. Am Strand angekommen, nahm mein Vater Ryan entgegen, während meine Mutter den Notarzt anrief. Nach wenigen Minuten, die mir wie Stunden vorkam, ertönte eine laute Sirene und kurz darauf traf der Krankenwagen ein. Mein Bruder wurde sofort behandelt und in die Notaufnahme gebracht.
Ryan überlebte, aber ab diesem Tag war er nicht mehr derselbe.
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Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...