Schwer atmend blieb ich vor der Haustür stehen. Ich war das letzte Stück gerannt, da die Sonne gerade untergegangen war und ich eigentlich zum Abendessen zurück sein wollte. Das Auto meines Vaters stand in der Garage, was bedeutete, dass meine Eltern zu Hause waren.
Leise öffnete ich die Tür und schloss sie vorsichtig hinter mir. Dann schlich ich durch den Flur und wollte schon die Treppe nach oben gehen als ich zurückgerufen wurde:„Serafina, komm mal her. Ich denke, wir müssen reden."
Die Stimme meines Vaters war ernst. Ich schluckte und ging ins Wohnzimmer, wo meine Eltern und mein Bruder saßen. Ryan warf mir einen aufmunternden Blick zu, der mich nur noch mehr beunruhigte. Sein Gesicht sah wirklich schlimm aus.
„Setz dich", befahl meine Mutter und deutete auf einen freien Sessel.
Langsam ließ ich mich auf ihm nieder und wartete, dass meine Eltern endlich zum Punkt kommen würden. Voller Unwohlsein kaute ich auf meiner Unterlippe herum.
„Hör mal, Serafina", fing mein Vater an. Seine blauen Augen bohrten sich in meine braunen. „Ich weiß, du kannst nicht immer auf deinen Bruder aufpassen, aber dass so etwas passiert und du nichts davon mitbekommt, ist schon seltsam, meinst du nicht auch?"
„Wir haben das Gefühl, du kümmerst dich nicht um Ryan. Dass du es gar nicht willst", mischte sich meine Mutter ein.
Ihre sonst so warmen braunen Augen schauten mich nun vorwurfsvoll an.
Ich wollte protestieren, aber Ryan kam mir zuvor:„Das stimmt nicht! Fina kümmert sich um mich, wo sie kann. Sie kann nichts dafür!"
Dankbar sah ich meinen Bruder an. Es rührte mich, wie er mich verteidigte. Er war einfach der beste Bruder, den man sich wünschen konnte.
„Wenn sie sich so sehr um dich kümmert, Ryan, warum hat sie dann keinem Lehrer Bescheid gesagt? Warum ist sie einfach mit dir nach Hause gegangen, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben? Schließlich seid ihr doch zusammen nach Hause gegangen, nicht wahr?", wollte mein Vater wissen.
„Ja, schon. Aber-"
„Siehst du!", unterbrach ihn meine Mutter.
„Er hatte seinen Kopf gesenkt, als er das Schulgebäude verließ. Ich konnte die Verletzungen nicht erkennen...", warf ich ein.
Abschätzend betrachteten meine Eltern mich. Unruhig rutschte ich in dem Sessel hin und her.
„Ryan, warum hast du denn deiner großen Schwester nichts gesagt?", fragte meine Mutter sanft.
Wütend blitzten Ryans Augen auf.
„Weil es eh nichts bringt. Kapiert das denn niemand?!"
„Was bringt nichts?"
Verwirrt fuhr sich mein Vater durch sein schwarzes Haar. Ryan hatte es von ihm geerbt, ebenso wie die eisblauen Augen. Ich dagegen kam nach unserer Mutter, mit meinen rotbraunen Haaren und den braunen Augen.
„Egal, wie häufig Xavier bestraft wird, er wird mich immer weiterärgern. Er hasst mich so sehr, dass es ihm mittlerweile egal geworden ist, was für Strafen er bekommt, solange ich noch in seiner Reichweite bin", erklärte er.
„Das ist schrecklich!", rief meine Mutter aus. Sie wandte sich an meinen Vater: „Henry, wir sollten sofort bei den Eltern dieses Xaviers anrufen."
„Ich weiß ja nicht, Evelyn. Wenn Ryan sagt, dass es nichts bringt, dann wird es wohl so sein", sagte mein Vater nachdenklich.
Einen Moment war es still. Da keiner etwas erwiderte, wagte ich zu sagen:
„Ich gehe nach oben, ja?"
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Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...