6. Seltsame Anziehung und Entdeckungen

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Als ich Montag wieder die Schule betrat, hatte ich das Treffen mit Silvan am Samstag schon fast vergessen. Der Sonntag hatte mich abgelenkt. Mit Ryan und meinen Eltern hatte ich „Mensch ärger dich nicht" gespielt und wir hatten den ganzen Tag etwas unternommen, so wie jeden Sonntag. Sonntag war Familien-Tag.
Aber als ich dann das Schulgebäude betrat, kam alles wieder zurück. Dort stand er. Silvan Victory. Er unterhielt sich mit Wesley und ignorierte die vier Mädchen, die hinter ihm standen und ihn anhimmelten. Ich wollte schon umdrehen und einfach auf dem Schulhof auf den Stundenanfang warten – auch um nicht die feindseligen Blicke der Mädchen abzubekommen –, als mich Silvans Blick traf. Seine grünen Augen bohrten sich in meine und ließen mich nicht los. Wesley bemerkte mich ebenfalls und kam mit Silvan an seiner Seite auf mich zu. Jetzt spürte ich doch die bitterbösen Blicke der Mädchen.

„Hey, Fina!", begrüßte mich mein Freund. „Weißt du, wo Lyra ist?"

Ich lächelte Wesley an. Seine Gefühle zu ihr würden sich wohl nie ändern.

„Ich habe keine Ahnung. Hat sie denn nichts geschrieben?"

„Nein. Ich hatte gehofft, du wüsstest, wo sie ist. Sonst ist Lyra doch immer die Pünktliche von uns."

Bevor ich etwas Beruhigendes zu Wesley sagen konnte, ertönte eine Stimme hinter mir:

„Hallo, Serafina."

Der Duft nach Kiefernadeln und Waldluft stieg mir in die Nase. Unwillkürlich atmete ich tiefer ein. Als ich mich umdrehte, sah ich Silvan in die Augen. Wie kam er denn jetzt hinter mich? Hatte er sich mit Absicht dort hingestellt?

„Hallo..."

Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut. Konnte er nicht weggehen? Das würde Cléo gar nicht gefallen. Bevor ich Abstand zwischen uns bringen könnte, klingelte es zur ersten Stunde. Wo war Lyra?

„Hey, Leute", keuchte jemand. „'tschuldige, dass ich so spät bin."

„Lyra!"

Erfreut umarmte ich sie.

„Ich-", fing Lyra an, aber Wesley unterbrach sie.

„Herr Roberts kommt."

Wir machten uns schnell auf zum Klassenraum und kamen noch pünktlich an.

*

„Treffen wir uns heute Nachmittag und gehen ins Café?"

Lyra sah uns beide nacheinander an. Silvan war schon gegangen.

„Gerne. Um 15 Uhr?", erkundigte ich mich.

„Ja, ich hab Zeit", antwortete Wesley.

„Gut, dann treffen wir uns am Strand, ja?"

„Ja, bis dann!"

Mit einer schnellen Umarmung verabschiedete sich Lyra von uns und stieg in den Bus. Kurz darauf kam Ryan und Wesley und ich machten uns auf den Weg.
Hoffentlich würde Silvan nicht wieder auftauchen. Er war schon so häufig dort aufgetaucht, wo ich auch war. Das gefiel mir gar nicht.

*

Ich wartete seit geraumer Zeit auf Lyra und Wesley. Hätten Sie nicht schon längst hier sein müssen? Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es erst 15:03 Uhr war. Ich war einfach sehr früh gekommen. Nervös trat ich von einem Bein auf das andere. Hoffentlich würde ich nicht Silvan begegnen. Der schien sich ständig in meiner unmittelbaren Nähe zu befinden. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Silvan nicht hier war, entspannte ich mich wieder. Das beruhigende Rauschen der Wellen trug auch dazu bei.

„Sie ist es. Ich bin mir sicher", sagte eine leise Stimme.

Stirnrunzelnd wandte ich mich um, doch ich konnte keine Person ausmachen, die das gesagt haben könnte. Bildete ich mir schon Stimmen ein? Erst in der Bucht und jetzt hier am Strand.

Ruf des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt