7. Beim Sterben gestört zu werden ist überhaupt nicht schön

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Die Schritte wurden lauter. Ein Zweig zerbrach knackend. Nur noch wenige Sekunden und Silvan würde uns entdecken. Dann würde er wissen wollen, warum wir hier waren und wieso wir uns versteckten. Und dann würde ihm klar werden, dass wir ihm gefolgt waren und sein Gespräch belauscht hatten. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, bis auf die Situation, wenn er uns entdecken würde. Mein Atem ging stoßweise und mein Herz pochte so laut, dass ich glaubte, er müsse es hören. Im nächsten Moment verstummte das Rascheln der Blätter unter Silvans Schritten. Er musste jetzt direkt vor unserem Versteck stehen. Gleich würde er hinüberschauen und uns entdecken. Ich hielt die Luft an und versuchte, mich möglichst nicht zu bewegen, um ja kein Geräusch zu machen.

„Was bildet er sich eigentlich ein? Immer muss ich für ihn die Arbeit erledigen. Soll er doch selbst sehen, wie er es schaffen kann", murmelte Silvan zu sich selbst.

Dann setzte er sich wieder in Bewegung und seine Schritte wurden leiser, bis sie schließlich ganz verschwanden. Jetzt waren wir aber wirklich allein. Erleichtert seufzte ich auf. Wesley lugte über den Baumstamm und sagte:

„Die Luft ist rein."

Er grinste.

„Das hatte ich schon immer mal sagen wollen. Und zwar in Reallife."

Ich erhob mich kopfschüttelnd und streckte meine steifen Beine. Lyra stand auch auf.

„Ich frage mich, was das wohl zu bedeuten hat. Und welche Rolle du darin spielst, Fina", sagte sie nachdenklich.

*

Am nächsten Tag in der Schule ließ sich Silvan nichts von dem Gespräch anmerken. Er wirkte wie immer. Auch bekam er keine Anrufe mehr oder verschwand in den Wald. Die Woche neigte sich dem Ende zu, aber Silvan machte nichts Merkwürdiges. Am Freitag kurz nach der Schule kam er auf mich zu und fragte:

„Treffen wir uns heute Nachmittag am Strand?"

„Äh... Ich..."

„Gut, ich warte dort auf dich."

Grinsend drehte er sich um und verschwand um eine Kurve. Sprachlos starrte ich ihm nach. Idiot. Ich würde nicht kommen. Sollte er doch bis in alle Ewigkeit auf mich warten!

„Warum schaust du denn so griesgrämig, Fina?"

Ryan sah mich aus großen Augen an.

„Und wer war dieser Junge? Ist er dein fester Freund?"

Jetzt starrte ich ihn sprachlos an. Silvan mein fester Freund? Dass ich nicht lachte. Ihn kannte ich gerade mal eine Woche.

„Nein, ist er nicht. Er ist einfach nur ein Klassenkamerad", erwiderte ich mürrisch.

„Wer hat einen festen Freund?"

Marley, Ryans bester Freund, stellte sich neben ihn und sah uns fragend aus seinen grünblauen Augen an.

„Fina", antwortete mein Bruder.

„Nein, hab ich nicht."

Genervt verdrehte ich die Augen.

„Ouh", sagte Marley und wackelte mit den Augenbrauen.

Es sah einfach nur komplett bescheuert aus.

„Kommt Marley mit zu uns?", wollte ich wissen.

Die beiden nickten eifrig.

„Marley hat so ein cooles, neues Video-Spiel, das wir ausprobieren wollen", erklärte Ryan.

Seufzend machte ich mich mit ihnen auf den Weg nach Hause.

*

Ich hatte den Strand betreten und suchte ihn gerade nach Silvan ab. Wieso war ich gekommen? Ich musste verrückt geworden sein. Obwohl ich eigentlich nur hergekommen war, um nicht ständig die Begeisterungsrufe meines Bruders und seines Freundes hören zu müssen. Meine Augen blieben an einer Gestalt hängen, die auf mich zu kam. Es war Silvan.

Ruf des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt