Rune führte mich zielsicher durch das Wasser. Wir bewegten uns tiefer hinab und kamen an mehreren kleinen Korallenriffen vorbei. Sie waren wunderschön. Ich sah einen Schwarm blauer Fische mit gelben Flossen und musste sofort an den Film Findet Dorie denken. Wenn ich mich nicht täuschte waren das Paletten-Doktorfische.
Plötzlich verdeckte ein Schatten das Licht, das durch die Wasseroberfläche brach. Alarmiert hob ich den Kopf, aber es gab nichts zu befürchten. Zwei Mantarochen, schwarz-weiß gestreift, schwammen über meinen Kopf hinweg. Es wirkte fast, als würden sie fliegen. Fasziniert beobachtete ich sie, bis meine Augen an einem anderen Meeresbewohner hängenblieben.
Ein Gemeiner Delfin. Seine Färbung war unverkennbar: Der Bauch weiß, der Rücken schwarz und an den Seiten hatte er gelbliche Streifen. Begeistert sah ich ihm zu, wie er durch das Wasser schoss, Klicklaute von sich gebend. Das einzig Merkwürdige war, dass ich die verschiedenen Tiere riechen konnte. Mein Geruchssinn war jetzt bei Weitem besser.
Aus einer gelben Koralle lugte ein winziger blauer Fisch mit einer orangenen Flosse. Kurz darauf tauchten fünf weitere neben dem ersten auf. Vermutlich Riffbarsche.
„Die sind ja so klein" sagte ich hingerissen.
„Auf die Größe kommt es nicht an. Jeder ist einzigartig, so klein und unbedeutend er auch erscheinen mag."
Etwas sprachlos starrte ich Rune an. Seine Worte würde ich mir merken, sie waren schön. Woher er sie wohl hatte? Oder hatte er sie gerade instinktiv gesagt?
„Komm wir müssen weiter", sagte er und schwamm wieder los.
Schweren Herzens folgte ich ihm. Kurz sah ich noch eine schwarze Krabbe in ihrer Höhle verschwinden, als ein Papageifisch an ihr vobeischwamm, bevor wir die Korallenriffe hinter uns ließen. Belustigt - jedenfalls interpretierte ich dieses Haifischlächeln so - wandte sich Rune mir zu.
„Keine Sorge. Du wirst sicher noch oft zurückkommen."
„Hoffentlich", seufzte ich.
Rune - ich glaubte, er war ein Schwarzhai - führte mich zum Ende des flachen Gewässers. Vor uns tat sich nur Wasser auf und unter uns war ein Abgrund. Waren es jetzt nur vielleicht etwa fünfzehn Meter Tiefe, so änderte sich dies nun.
Ohne Zögern schwamm Rune zum Abgrund und hinab in die Dunkelheit. Aufgrund seiner dunklen Färbung war er kaum auszumachen. Um ihn nicht zu verlieren, beeilte ich mich ihn einzuholen. Glücklicherweise hatte er nach wenigen Metern auf mich gewartet.
„Wohin -"
„Still!", unterbrach mich Rune.
Warum wirkte er so angespannt? Plötzlich ertönte ein weinendes und gleichzeitig singendes Geräusch. Es war beruhigend, doch zugleich auch einschüchternd. Neugierig und etwas besorgt sah ich nach oben. Meine Augen weiteten sich überrascht.
Drei gigantische Kreaturen schwammen über uns hinweg. Eine der drei war etwas kleiner, nur wenig größer als ich. Wieder ertönte das Geräusch, diesmal erwidert von den anderen. Dort waren Wale - Buckelwale. Sie von Nahem zu sehen war unglaublich. Ein berauschendes Gefühl durchströmte mich. Das hier war besser, als jedes Buch und als jeder Film. Denn das hier war real.
Die kleine Walfamilie zog vorüber und ließ mich lächelnd zurück. Ich war der glücklichste Mensch - ich meine Hai - auf der Welt. Das war definitiv der beste Tag in meinem Leben, was noch nicht sehr lang war, da ich erst sechzehn war. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, etwas Schöneres als in den letzten paar Minuten zu erleben.
„Wenn dich das hier schon begeistert hat, dann warte erst, bis wir an unserem Ziel ankommen. Das wird dich aus den Flossen hauen", behauptete Rune.
DU LIEST GERADE
Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...