Als ich den Ast entlang balancierte, rutschte ich aus und fiel beinahe die drei Meter hinunter zum Boden. Ich fand mein Gleichgewicht zum Glück wieder. Mein Körper zitterte und mein Herz klopfte laut in meiner Brust.
„Das war knapp", murmelte ich.
Ich schaffte es zum Stamm und lehnte mich einen Moment dagegen. Jetzt kam erst die Kletterpartie. Wenn meine Beine doch bloß aufhören würden so stark zu zittern! Es war fast, als bestünden sie aus Gummi und würden sich unter meinem Gewicht in unterschiedliche Richtungen biegen.
Vorsichtig tastete ich mit meinem Fuß auf einen stabilen Ast weiter unterhalb. Mit einer Hand hielt ich mich an dem Ast fest, auf dem ich vor Kurzem balanciert war.
Als mein Fuß wenige Zeit später endlich den Boden berührte, seufzte ich vor Erleichterung. Schnell sprang ich herunter und lief geduckt um mein Haus herum. Kurz blieb ich stehen, um mich zu vergewissern, dass auch wirklich niemand aus dem unteren Fenster sah.
Dann lief ich auf den Bürgersteig und die Straße entlang. Etwa fünf Minuten später erreichte ich die Holztreppen, die zum Strand hinunter führten. Die Sonne stand noch relativ hoch am Himmel, weshalb viele Leute auch noch unterwegs waren.
Auf meinem Weg zur Bucht achtete ich darauf, dass mich niemand beobachtete, während ich unter dem Rankenvorhang hindurch schlüpfte. Kurz darauf kam ich zur Bucht, die friedlich vor mir dalag.
Kleine Wellen platschten gegen das sandige Ufer und spülten ab und zu Muscheln an. Die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, was ein wunderschönes Schauspiel von Licht und Wasser ergab.
Aber im Moment hatte ich einfach keinen wirklichen Blick dafür übrig. Ich suchte nach Akira. Wo war sie? Hatte sie nicht gesagt, dass sie an der Bucht sein würde? Gab es noch eine andere Bucht von der ich nichts wusste? Vermutlich.
Ein paar Minuten verstrichen, aber weder Akira noch Yunus oder Rune tauchten auf. Vielleicht hatte sie ja morgen Nachmittag gemeint, nicht heute. Dann würde ich eben wieder nach Hause gehen. Das Klettern war wohl umsonst gewesen.
Gerade als ich wieder durch den Tunnel zurück gehen wollte, hörte ich ein Plätschern hinter mir. Es konnte nur eine Welle oder Möwe sein, aber vielleicht...
„Akira?"
Fragend drehte ich mich um und tatsächlich: Da stand sie mit nasser Jogginghose. Sie watete aus dem knietiefen Wasser und lief zu mir.
„Tut mir Leid für die Verspätung. Ich habe die Bucht erst nicht gefunden", entschuldigte Akira sich.
„Aber hast du sie nicht selbst vorgeschlagen?"
„Ja, aber nur weil Rune gesagt hat, dass das der einzige geschützte Ort in deiner Nähe ist. Ich habe mich bei den Riffen einmal verschwommen und dieses Felsenlabyrinth hier hat auch nicht gerade dazu beigetragen, dass ich die Bucht schneller finde."
Akira verdrehte die Augen und nahm eine Alge von ihrer Schulter. Sie schmiss sie ins Meer und drehte sich wieder zu mir um.
„Kommst du?", fragte sie.
„Wohin?"
„Zum südöstlich gelegenem Korallenriff", antwortete Akira.
Noch während ich überlegte, welches sie damit meinen könnte, war Akira auch schon zurück ins Wasser gegangen.
„Kommst du jetzt?"
„Ja, ja, bin schon neben dir", sagte ich schnell.
Akira hatte sich bereits verwandelt und schwamm gerade zwischen die Felsen, als ich in das Meer rannte. Wenn ich mich jetzt nicht beeilte, würde ich sie verlieren. Dann würde sie zwar wahrscheinlich zurück schwimmen, aber ich sollte mich trotzdem beeilen.

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Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...