„Ryan, komm schon. Mach die Tür auf."
Unruhig lief ich vor dieser auf und ab. Als wir Zuhause angekommen waren, war Ryan direkt in sein Zimmer gegangen und hatte abgeschlossen. Ich versuchte nun schon seit geraumer Zeit, ihn davon zu überzeugen, mich hereinzulassen.
Momentan arbeiteten unsere Eltern noch, sie würden erst am Abend nach Hause kommen. Bis dahin sollte ich mich um ihn kümmern.
Das hast du ja toll hinbekommen, Serafina. Jetzt hat er sich in seinem Zimmer eingeschlossen und kommt weder heraus, noch lässt er jemanden hinein.„Ryan, bitte!"
„Nein!"
Er klang wie ein trotziges Kleinkind. Warum benahm er sich so? Wie konnte ich ihn dazu bringen, mich hereinzulassen? Vielleicht, wenn ich ihn bestach...
„Wenn du mich reinlässt, gebe ich dir einen Keks."
Kurzes Zögern hinter der Tür, dann ein langgezogenes „Nein".
„Und wie wär's mit einer ganzen Kekspackung?"
„Du hast doch eh keine Kekse", erwiderte Ryan.
„Doch, ich hol sie schnell."
In Rekordzeit rannte ich in mein Zimmer und holte aus meiner Schreibtischschublade eine Kekspackung. Im nächsten Moment stand ich auch schon wieder vor Ryans Tür.
„Hier sind sie", sagte ich und schüttelte die Kekspackung, sodass es raschelte.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, sonst passierte nichts.
„Ryan? Ich komm jetzt rein, ja?", erkundigte ich mich.
Ich bekam keine Antwort. Vorsichtig öffnete ich die Tür und lugte in den Raum. Ryan saß auf seinem Bett und hatte das Gesicht von mir abgewandt.
Die Kekspackung noch in der Hand, setzte ich mich neben ihn. Er sah nicht auf.„Ryan? Sieh mich an. Was ist passiert?"
Ich berührte ihn leicht an der Schulter, woraufhin er zusammenzuckte. Langsam hob er seinen Kopf und sah mich an. Was ich sah, verschlug mir die Sprache.
„Wer hat dir das angetan?"
Seine Lippe war aufgeplatzt und angeschwollen und er hatte ein blaues Auge. Wie hatte ich das vorhin nur übersehen können?
„Es ist nichts. Nur..."
Ich ließ ihn nicht ausreden.
„Das ist nichts, sagst du?! Wenn ich den Verantwortlichen finde, wird er bereuen, dich auch nur angesehen zu haben!"
Ryan ließ die Schultern hängen. Er wirkte betrübt und hoffungslos.
„Es bringt doch eh nichts. Egal wie häufig Xavier beim Direktor war, egal wie häufig er nachsitzen musste, er wird mich niemals in Ruhe lassen."
„Ich werde einen Weg finden, wie-"
„Verstehst du denn nicht, Fina? Es ist egal, was du versuchst. Er hasst mich so sehr, dass ihm jede Strafe nichts ausmacht, solange er mich immer noch ärgern kann", sagte Ryan und schaute niedergeschlagen auf den Boden.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deshalb öffnete ich die Kekspackung und hielt sie ihm hin.
„Keks?"
Ryan lächelte mich an und nahm sich einen Keks heraus. Solange er noch lächeln konnte, war es ja gut. Trotzdem würde Xavier irgendwann noch die Rechnung für seine Taten bekommen. Mir graute davor, was unsere Eltern sagen würden, wenn sie Ryan so sahen. Serafina, warum hast du nicht auf deinen Bruder aufgepasst. Willst du, dass ihm noch einmal so etwas geschieht, wie vor zwei Jahren? Ryan war ihr persönlicher Liebling. Sie achteten auf ihn, wo sie konnten. Und wenn unsere Eltern nicht da waren oder wir in der Schule, dann musste natürlich ich auf meinen Bruder achten. Das machte mir nichts aus, schließlich liebte ich ihn. Er war der beste Bruder, den man sich wünschen konnte, auch wenn er manchmal verrückte Dinge von sich gab.
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Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...