16. Ich bleibe bei einem Fast-Fremden statt bei meiner Familie, was seltsam ist

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Als ich die Augen öffnete, sah ich direkt in ein Paar smaragdgrüne. Die kleinen goldenen Sprenkel in ihnen schienen zu leuchten. Ich blinzelte und plötzlich verschwanden die Augen aus meinem Blickfeld. Verwundert setzte ich mich auf. Silvan saß auf meiner Bettkante und fuhr sich verlegen durch die Haare. Er war rot angelaufen. Hatte er die ganze Zeit dort gesessen und mich beobachtet? War er also doch ein Stalker?

„Ich", begann er zögernd, „wollte dich wecken. Es gibt Frühstück."

Ruckartig stand Silvan auf und verließ fluchtartig das Zimmer.

„Warte!", rief ich ihm hinterher, doch er war schon in der Küche verschwunden.

Seufzend stand ich auf und rieb mir die Augen. Ich könnte glatt weiterschlafen. So gut wie heute hatte ich schon länger nicht geschlafen. Mit schlurfenden Schritten verließ ich das Zimmer und gähnte ausgiebig, bevor ich mich auf den Weg zum Frühstückstisch machte.

Erst als ich Silvan sah, der beim Teemachen innehielt, als ich eintrat, wurde mir bewusst, dass ich nur sein weites T-Shirt und Unterwäsche trug. Die Röte stieg mir in die Wange und ich wollte schon umdrehen, aber er hielt mich zurück:

„Wie viele Toast möchtest du?"

„Äh zwei, bitte", antwortete ich leicht stotternd.

Mit gesenktem Blick setzte ich mich an den Tisch und fummelte an der Tischdecke, um nicht Silvan ansehen zu müssen. Stille breitete sich aus, die nur vom leisen Gluckern des sich erwärmenden Wassers durchbrochen wurde. Wieso konnte ich nicht einfach im Boden versinken?

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich das Geräusch des herausspringenden Toasts vernahm. Sofort ärgerte ich mich darüber und runzelte die Stirn, woraufhin Silvan leise lachte, was mich noch mehr verärgerte. Wieso erschrak ich jedes Mal dabei, wenn ein Toast heraussprang? Ich konnte doch nicht die einzige sein!

„Hier bitte", sagte Silvan und reichte mir einen Teller mit den beiden Toast.

Dankend nahm ich ihn entgegen.

„Willst du einen Kamillentee? Oder lieber Pfefferminz- oder Früchtetee?"

„Früchtetee wäre schön", antwortete ich.

Als er die gefüllte Tasse vor mir abstellte, hielt ich meinen Kopf gesenkt. Ein gedämpftes Geräusch ertönte, während Silvan den Stuhl zurückschob und sich darauf niederließ.

„Guten Appetit", wünschte er und begann zu essen.

„Guten Appetit", murmelte ich.

Ich bestrich meinen Toast mit einer dicken Schicht Erdbeermarmelade und biss hinein. Obwohl ich mich gestern gefühlt vollgestopft hatte, war ich jetzt wieder hungrig.

„Wie viel Uhr ist es eigentlich?"

Suchend sah ich mich um, aber ich sah keine Wanduhr in dem großen Raum. Es gab nur ein paar Regale, einen Kühlschrank, eine Spülmaschine und noch ein paar andere Dinge, die es in jeder Küche gibt. Nur keine Uhr.

Wieso hatte ich bloß mein Handy zu Hause gelassen? Vermutlich hätte ich nicht einfach so herausstürmen dürfen.

„Es ist fast halb zehn", sagte Silvan mit einem Blick auf seinen Arm.

Dort befand sich eine Armbanduhr. So eine sollte ich mir auch zulegen. Die hatte man immer dabei und wenn ich dann noch eine gute Wasserdichte fand, wäre es perfekt für mich. Oder wie funktionierte das, wenn ich ein Hai war? War sie dann weg?

*

Nachdem wir gefrühstückt hatten, half ich Silvan beim Tischabräumen. Als der letzte Teller in der Spülmaschine verschwand und er sie anschaltete, seufzte er und lehnte sich an die Theke.

Ruf des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt