Gegen Silvan hatte der Waschbär überhaupt keine Chance. Nicht mal annähernd. Aber er hatte ihn noch gar nicht bemerkt, sondern war nur auf mich fokussiert.
Er umklammerte mein Bein, was mich daran erinnerte, was Ryan und ich vor Jahren immer bei unserem Vater gemacht hatten. Wir setzten uns auf seine Füße und ließen uns so durch das ganze Haus transportieren.
„Was zum -"
Silvan starrte den Waschbären an, als wäre dieser ein Alien und gerade aus einem Ufo gesprungen.
Ich schüttelte kräftig mein Bein, was dazu führte, dass der Waschbär durch die Luft flog, sich weiterhin an mich festklammernd. Mein Beinschütteln verstärkte sich noch, doch noch immer hing er daran. Nach ein paar Sekunden setzte ich meinen Fuß wieder auf den Boden. Plötzlich sah der Waschbär zu mir hinauf und fing an, an mir hoch zu klettern.
Bevor ich auch nur reagieren konnte, hatte Silvan das Tier am Nackenfell gepackt und zog es von mir weg. Zappelnd und quietschend beschwerte sich der Waschbär über diese „Unverschämtheit". Da Silvan ihn nicht verstand, reagierte er auch nicht auf die Drohungen, die der Waschbär kurz darauf ausstieß.
„Ich werde dich finden und dann wirst du das hier bereuen! Du wirst dir wünschen, dich nie mit mir angelegt zu haben! Ich werde dir dein Gesicht zerkratzen!", rief er.
„Verschwinde", sagte Silvan langsam, aber deutlich, und sah dem Wandler durchdringend in die Augen.
Auf einmal quiekte der Waschbär laut auf und verdeckte seine Augen mit den Pfoten. Verwirrt sah ich zu, wie Silvan ihn absetzte. Das Tier schoss davon, als hätte es einen eigenen Raketenantrieb.
„Der ist ja schnell", murmelte ich. „Vielen Dank, Silvan."
Ich lächelte ihn an.
„Kein Problem."
Er grinste und zwinkerte mir gleichzeitig zu. Verlegen wandte ich mich ab.
„Gehen wir zurück?"
„Ja, ich bringe dich nach Hause", beschloss er und lief los.
Als wir den Park verlassen hatten, dauerte es ein bisschen, bis wir ein Taxi fanden. Aber schließlich fuhren wir wieder auf der Straße. Nachdenklich sah ich aus dem Fenster. Warum war der Waschbär so schnell abgehauen? Was hatte ihn an Silvan so erschreckt? Oder mochte er es einfach nicht, wenn man ihm in die Augen sah?
Haus um Haus, Straße um Straße zogen an mir vorbei. Was, wenn Silvan ein Forestchanger war und der Waschbär ihn deswegen verstanden hatte? Wenn er wusste, dass ich ebenfalls ein Wandler war? Würde er dann nicht wissen, dass ich ihn anlog? Aber warum sagte er dann nichts? Die Fragen in meinem Kopf überschlugen sich und jagten sich gegenseitig. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder etwas Ordnung in meinen Schädel bekam.
Mein Blick schweifte zu Silvan neben mir, der entspannt aus dem Fenster sah. Seine grünen Augen schienen wie Smaragde zu leuchten, als hätten sie eine eigene kleine Lichtquelle. Wahrscheinlich war es nur das Sonnenlicht, das sich in ihnen spiegelte, aber für mich wirkte es trotzdem wunderschön.
Nein, er war kein Forestchanger oder überhaupt ein Tierwandler, bestimmt nicht. Sonst hätte er längst etwas gesagt.
Das Taxi hielt nicht weit entfernt von mir Zuhause. Wir stiegen aus und Silvan zahlte, was ich aber nur am Rande wahrnahm. Die anderen Wandler, waren sie noch hier? Hatten sie Ma und Ryan angegriffen? War irgendetwas Schlimmes passiert? Oder sorgte ich mich einfach zu viel?
„Ist etwas?"
Silvan legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mir eindringlich in die Augen. Ich öffnete den Mund. In diesem Moment hätte ich ihm alles erzählt. Von den Seachangern, den ganzen anderen Wandlern, die mich tot sehen wollten, meine bisherigen Abenteuer im Meer, einfach alles.
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Ruf des Meeres
FantasyBand 1 der Trilogie Nach einem Hai-Angriff auf ihren Bruder kümmert sich Serafina wo sie kann um ihn. Eines Morgens erzählt er seltsame Dinge. Da glaubt sie, er würde verrückt werden. Als auch noch ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und behaupt...