⁹ / ᴇʀsᴛᴇ ʙʟɪᴛᴢᴇ

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𝙹𝚊𝚗𝚜 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝


Mit einem tränennassen Gesicht liege ich zur Decke starrend in meinem Bett. Ich rühre mich schon seit unzähligen Minuten nicht mehr, die Angst, wieder in Panik zu verfallen, ist zu groß. Schlafen kann ich auch nicht. Meine Gedanken driften immer wieder zu Tim, wie glücklich er heute wohl gewesen sein muss, ohne mich. Wie glücklich er in letzter Zeit immer ist, ohne mich. Wie er mich vergisst.
Auch dieses Gespräch von Emilia und der mir unbekannten Person geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Seit dem Tag denke ich fast ununterbrochen daran. Was ist, wenn es wirklich genauso gemeint ist, wie ich es verstanden habe? Wenn sie es wirklich nicht Ernst mit ihm meint? Und mit wem hat sie an jenem Nachmittag telefoniert? Immer wieder hallen ihre Sätze in meinem Kopf wieder. Ich versuche, jedes einzelne Wort zu analysieren, komme aber auf kein Ergebnis.

Ich muss unbedingt mit Tim reden. Schneller als mein Gehirn arbeiten kann, habe ich schon seinen Kontakt aufgerufen und auf den grünen Hörer geklickt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Nach einigen Malen es Klingelns geht er ran.

„Jan! Danke, dass du anrufst, ich muss dringend an jemandem meine Freude auslassen, bevor ich anfange, zu kreischen. Das Kennenlernen zwischen Emilia und meinen Eltern ist einfach unfassbar gut verlaufen. Sie haben sich direkt gegenseitig ins Herz geschlossen. Es gab nicht einmal eine peinliche Situation oder so. Ich bin so glücklich wie schon lange nicht mehr, das kannst du dir nicht vorstellen!"

Ich kann ihm gar nicht wirklich zuhören, möchte nicht zuhören, will nicht hören, wie toll sein Leben läuft, ohne mich. Früher waren es immer nur wir beide. Tim und Jan. Jetzt ist davon rein gar nichts mehr zu merken.

„Tim", bringe ich unter Tränen hervor. „Kannst du bitte zu mir kommen? Ich hatte eine Panikattacke, i-ich brauche dich." Den letzten Satz flüstere ich nur noch.

Seine Antwort dauert etwas, ich höre nur seinen Atem.
„Jan, ich - es tut mir leid, aber Emilia ist noch bei mir."
Warum habe ich mir das schon gedacht?
„Aber sie ist doch sowieso schonwieder vorbei, oder? Versuch einfach, zu schlafen."
Wenn du wüsstest, dass ich das bereits seit drei Stunden versuche.

„Tim warte, i-ich halte das nicht mehr aus, können wir uns morgen bitte treffen und mal in Ruhe miteinander reden? Alleine?" Woher habe ich plötzlich diesen Mut? Vor einigen Minuten wollte ich es noch für mich behalten, um Tims Glück zu schützen.

„Ja okay, aber über was willst du reden? Ist bei uns nicht alles gut?"

„Über Emilia."

„Okay?", antwortet er nur verwirrt. „Dann bis morgen." Nach diesem Satz legt er auf.

Die gesamte Nacht fällt es mir ziemlich schwer, zu schlafen, die immer mal wieder auftretenden Blitze vor meinem Fenster machen das Ganze auch nicht besser. Meine Angst, hier und jetzt, ganz alleine einen epileptischen Anfall zu bekommen, nimmt zu. Wäre Tim jetzt hier, wüsste ich, ich wäre in Sicherheit, er wüsste, was zu tun ist, kann mir helfen. Krampfhaft versuche ich, meine Augen geschlossen zu halten und nicht aus dem Fenster zu schauen.
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Am nächsten Morgen werde ich von einem klingelnden Handy geweckt. Tim Lehmann.

„Hey, Jan. Ich weiß, wir wollten uns heute eigentlich treffen, aber Emilia geht es echt beschissen, in ihrer Familie geht's momentan drunter und drüber, ich muss bei ihr bleiben. Das verstehst du doch bestimmt, oder?"

Ich fass' es nicht. Tim versetzt mich erneut. Weil es ihr nicht gut geht? Vielleicht geht es mir auch nicht gut? Hat er mir gestern nicht zugehört, als ich ihm erzählt hab, dass ich eine Panikattacke hatte?
Aber das scheint ihn ja nicht zu interessieren.

Er ruft mich nur noch an, um sich mit mir zu Videodrehs zu treffen, die er am Ende meist doch wieder absagt und wenn nicht, ist Emilia immer dabei, oder, um mir zu erzählen, wie toll es mit ihr läuft. Nach meinen Gefühlen fragt er schon seit Langem nicht mehr, scheinen nicht mehr wichtig für ihn zu sein.

„Weißt du was, Tim? Mir geht das Ganze so dermaßen gegen den Strich, meld' dich einfach, wenn du mal wieder wirklich Zeit für deinen besten Freund hast... falls ich das überhaupt noch bin", sage ich sauer zum Abschluss, bevor ich einfach auflege. Ich glaube, in diesem Ton habe ich ohne Einwirkung von Gisela noch nie mit ihm, mit überhaupt irgendeiner Person, gesprochen. Eigentlich ist das nicht meine Art.

Nach etwa fünf Minuten ruft er jedoch erneut an. Verwundert nehme ich ab.

„Hör zu Jan, ich habe keine Ahnung, warum du plötzlich so patzig zu mir bist, ich habe dir nichts getan, aber heute Abend ab 21 Uhr hätte ich doch Zeit, da können wir uns noch kurz treffen", begrüßt er mich ebenfalls in einem patzigen Ton.

Ich würde ihn gerne fragen, woher der schnelle Sinneswandel kommt, lasse es aber lieber, sonst wird er wirklich wütend, obwohl er eigentlich kein Recht dazu hat, wütend auf mich zu sein.

„Komm dann einfach zu mir", schiebt er noch hinterher, bevor er wieder auflegt, mich nicht zu Wort kommen lässt.

𝔽𝕣𝕦̈𝕙𝕝𝕚𝕟𝕘𝕤𝕖𝕣𝕨𝕒𝕔𝕙𝕖𝕟 | Gewitter im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt