¹¹ / ᴡᴇʟᴛᴜɴᴛᴇʀɢᴀɴɢ

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𝚃𝚒𝚖𝚜 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝


Einige Tage sind vergangen, ich habe sie alle mit Emilia verbracht, was mich aber nicht davon abhalten lassen hat, an Jan zu denken. Seit unserem Streit ist er mein einziger Gedankengang.
Immerzu denke ich daran, was ich ihm alles an den Kopf geworfen habe. Ich kann es nicht fassen, ich hätte nicht so mit ihm reden dürfen, er ist - oder war - mein bester Freund und gleichzeitig viel zu sensibel für solche Konversationen. Schon nachdem ich die Sätze zu Ende gebracht habe, habe ich jedes einzelne Wort bereut.

Am liebsten würde ich alles rückgängig machen, von dem, was ich behauptet habe, ich habe einfach gesprochen, ohne über die Auswirkungen nachzudenken.
Noch nie habe ich einen so verletzten Gesichtsausdruck bei ihm gesehen. Nicht einmal als er aufgrund von Gisela beschimpft und beleidigt wurde. Noch nie. Wie sich die Wut in seinen Augen in Sekundenschnelle in unglaubliche Trauer verwandelt hat. Wie sein ganzer Körper eingesackt ist. Wie sich kleine Tränen in seinen Augen gebildet haben, die er aber versucht hat, zurückzuhalten.

Vielleicht war es auch der schlimmste Moment in meinem Leben. Ich weiß nicht, was es mit mir gemacht hat, aber irgendwas in mir hat sich verändert.

Ich kann mir gut vorstellen, dass er den ganzen Weg nach Hause geweint hat. Und ich bin Schuld. Ich will gar nicht darüber nachdenken, ob ihm irgendwas passiert ist. Ich hätte ihn nach Hause fahren sollen, es hat schließlich gewittert. Wahrscheinlich ist er nass bis auf die Knochen bei ihm angekommen. Früher hätte ich ihn sogar gefragt, ob er nicht bei mir schlafen will. Doch das ist wohl vorbei.

Um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht damit gerechnet, dass Jan sich wirklich nicht mehr bei mir melden würde. Und das tut weh. Sehr.
Aber eigentlich ist es doch das, was ich wollte. Warum bin ich denn jetzt nicht zufrieden? Er wollte schließlich meine Beziehung zerstören. Ich müsste der glücklichste Mensch der Welt sein. Aber ich bin einer der niedergeschlagensten.

Ich kann mich jetzt aber auch nicht einfach wieder bei ihm melden, nachdem er meinte, ich sollte nicht wieder angeschissen kommen, als wäre alles gut, als wäre nichts gewesen.

Nie hätte ich gedacht, dass unser erster Streit auch der letzte sein wird, dass unsere Freundschaft keinen Streit übersteht.

Aber hat er recht gehabt, mit dem, was er gesagt hat? Habe ich ihn vernachlässigt? Eigentlich nicht, zumindest nicht absichtlich. Ist sowas in einer Beziehung nicht normal? Dass der Beziehungspartner an erster Stelle steht? Liebe ist doch schließlich alles, was einem am Ende bleibt.

Vielleicht will ich auch einfach nicht wahrhaben, dass Jan die Wahrheit gesagt hat, will nicht wahrhaben, dass Emilia nicht so ist, wie ich denke.
Die ganze Zeit schwirren nur noch Jans Worte in meinem Kopf.

𝙹𝚊𝚗𝚜 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝


Die folgenden Tage sind wirklich die schlimmsten meines Lebens.
Ich bin lustlos, weine die meiste Zeit, nehme meine Medikamente unregelmäßig, Gisela gibt fast keinen Mucks mehr von sich, bin nur noch in meiner Wohnung, habe beinahe jeden Tag eine Panikattacke, es regnet Tag und Nacht.

Ehrlicherweise dachte ich, die Schlimmsten waren die, an denen ich aufgrund eines epileptischen Anfalls fast gestorben wäre. Aber diese Distanz zu Tim ist so viel schlimmer.
Wenn Liebeskummer nur ansatzweise so schlimm ist, will ich nie verliebt sein. Dieser Schmerz ist nicht auszuhalten.
Ich war immer der Meinung, physische Schmerzen wären die härtesten, aber psychische fühlen sich an, als wären sie unüberlebbar. Sie gehen direkt ins Herz. Es ist, als würde dir jemand die Luft abschnüren, als würde sich etwas durch den großen Hohlmuskel bohren.

Ich kann nicht glauben, dass Tim sich wirklich nicht mehr bei mir meldet. Aber warum sollte er auch, er hat das bekommen, was er wollte. Er kann jetzt ein wundervolles Leben mit Emilia führen. Und ohne mich.
Hätte ich ihn vielleicht doch nicht so angreifen dürfen? Hätte ich nicht mit ihm reden wollen, hätte ich nicht so unfreundlich mit ihm geredet, dann wäre es nicht so ausgeartet. Natürlich würde er mich weiterhin nicht beachten, aber wenigstens wären wir noch in irgendeiner Weise befreundet, nicht im Streit.

Ich will einfach nicht verstehen, dass es jetzt mit unserer Freundschaft den Bach herunter gegangen ist. All die Jahre, all die Ereignisse, alles, was wir durchgemacht haben, einfach alles weggeworfen. Für eine Frau. Eine Frau, die Tim anscheinend nur ausnutzt. Eine Frau, die falscher nicht sein kann.
Eine Frau, die ihn mit ihren roten Haaren um den Finger gewickelt hat.

Der dunkelste Tag von allen war aber der, an dem ich ihn und Emilia zusammen im Park gesehen habe. Nach einem Termin bei meiner Neurologin dachte ich mir, ich könnte etwas spazieren, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Hat leider nicht funktioniert, eher hat mich dieses Aufeinandertreffen wieder vollkommen aufgewühlt.
Gedankenverloren ging ich den Weg entlang, welcher mit Bäumen umrandet ist. Kaum habe ich auf meine Umgebung geachtet, eher auf dem Himmel, der für eine Stunde mal kein Wasser abgegeben hat, aber dennoch die Sonne nicht freigeben wollte. Bis ich ein schrilles Lachen gehört habe, welches ich sofort Emilia zugeordnet habe. Und ich hatte Recht, sie und Tim kamen mir händchenhaltend und lachend entgegen. Am liebsten wäre ich sofort umgedreht, wollte die beiden nicht so glücklich sehen, während ich seit Tagen nur am Verzweifeln war.
Tims wundervolles Lachen hingegen verstummte, als er mich entdeckte, auf der Stelle. Ich konnte seinen stechenden musternden Blick auf mir spüren. Ich habe versucht, ihn so gut es geht, zu ignorieren, aber es gelang mir kein Stück. Ich musste ihn einfach angucken, von oben bis unten, von links nach rechts, wer weiß, wann wir uns das nächste Mal begegnen.
Als ich an seinen Augen angekommen war, stockte mir der Atem. War unser Blick jemals so intensiv gewesen? Es fühlte sich an, als könnte er ganz tief in mich hineinschauen. Als könnte er sehen, wie schlecht es mir ging, denn sein Blick wurde mitfühlend.
Es kam mir vor, als wäre dieser Moment in Zeitlupe vergangen, wenn nicht noch langsamer. Es war eine Qual.

Seit diesem Tag muss ich ununterbrochen an ihn denken. Kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.

𝔽𝕣𝕦̈𝕙𝕝𝕚𝕟𝕘𝕤𝕖𝕣𝕨𝕒𝕔𝕙𝕖𝕟 | Gewitter im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt