𝔽𝕣𝕦̈𝕙𝕝𝕚𝕟𝕘𝕤𝕖𝕣𝕨𝕒𝕔𝕙𝕖𝕟 | Gewitter im Kopf

³ / ᴘɪɴᴋ- ᴜɴᴅ ʟɪʟᴀᴛᴏ̈ɴᴇ

𝙹𝚊𝚗𝚜 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝

„He, der Tim ist taub geworden. Tim, hörst du mir überhaupt zu?", frage ich schon etwas genervt. Ich habe ihm soeben den nächsten bzw. ersten Schritt des Lasagnerezepts vorgelesen, nachdem es schon ein paar Minuten vor seiner Nase lag, er aber keine Reaktion gezeigt hat, es sich durchzulesen, aber auch jetzt hat er sich kein Stück gerührt. Er macht nicht einmal den Anschein, als wäre er geistig anwesend. Er starrt einfach nur verträumt Richtung Kamera und lächelt leicht.

Nebeneinander sitzen wir an dem allseits bekannten weißen Tisch, der schon viele Flecken zählt und drehen ein „Tourette kocht" Video, in welchem wir heute Lasagne zubereiten wollen. Wir drehen bestimmt schon 15 Minuten lang, sind bisher aber nicht weit gekommen, eigentlich haben wir noch nichts anderes gemacht, als alle Zutaten hingestellt, was diesmal tatsächlich nicht an Gisela liegt, diese ist bis jetzt nämlich verdächtig ruhig, sondern an dem an-Emilia-denkenden Tim.

Er erwacht aus seiner Starre und fragt verwirrt: „Hä, was? Sorry, ich war grad nicht ganz bei der Sache."

„Schon gut", versuche ich, verständnisvoll zu ihm zu sagen, was leider nur semi-gut funktioniert. Es ist lange nicht mehr vorgekommen, dass Tim ein so großes Interesse an einer Frau hegt, es ist quasi Neuland für mich.
Ich weiß aber eins: wenn er Interesse hat, dann hat er auch wirklich Interesse und tut alles dafür, dass die Person glücklich ist, sich wohlfühlt, dass alles perfekt ist, er steigert sich sehr in die Sache rein. Umso härter wird der Schlag, wenn es zwischen den beiden nicht funktioniert.

Ich hab also die Wahl zwischen einem immer-an-Emilia-denkenden Tim und einem ich-verkrieche-mich-erstmal-für-ein-paar-Wochen-und-rede-auch-mit-niemandem-um-mit-dem-Schmerz-klarzukommenden Tim. Beides nicht empfehlenswert.

Den ganzen Dreh über schweigen wir uns größtenteils an. Außer ein paar Kommentare von Gisela, die aber auch nicht oft vorkommen und den leichten Regentropfen, die ununterbrochen gegen das Küchenfenster prasseln, ist nichts zu hören.

Am liebsten würde ich ihm sagen, dass ich mich ernsthaft für ihn freue, dass er endlich mal wieder eine Beziehung eingeht, dass Emilia bestimmt eine tolle Frau ist, dass er auch keine Rücksicht auf mich nehmen muss, damit es wirklich lange hält, aber ich bringe es nicht über meine Lippen. Ich bin zu feige.
Oder ich will einfach nicht lügen.

𝚃𝚒𝚖𝚜 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝

Nachdem die Lasagne endlich im Ofen ist und wir noch bisschen aufgeräumt haben, sitzen wir nun in Jans Wohnzimmer auf dem Sofa. Jan auf dem rechten Ende und ich auf dem linken. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir hier jemals so weit auseinander saßen.
Wir sind beide vertieft in unsere Handys und auch Gisela gibt Ruhe. Es ist mucksmäuschenstill, was für unsere Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich ist. Als wäre in diesem Moment ein Band zwischen uns, sodass niemand sich traut, etwas zu sagen. Umso mehr erschrecken wir uns, als die Eieruhr nach ein paar Minuten klingelt.

Wir beide schauen uns verstört an. Jans Blick ist so lustig, dass ich mein Lachen nicht mehr unterdrücken kann. Auch seine Mundwinkel ziehen sich langsam nach oben, was in einem echten Lachen endet. Es klingt wundervoll.
Ich hoffe, das hat die ganze Stimmung etwas gelockert. Ich halte es nicht aus, wenn wir uns anschweigen, obwohl wir beide am liebsten was sagen würden.

Nachdem wir die Lasagne, die irgendwie viel zu salzig ist, vor der Kamera probiert haben, setzen wir uns wieder aufs Sofa und entscheiden uns noch dazu, irgendeinen Film auf Netflix zu schauen, bevor ich wieder nach Hause fahre.
Ich merke, wie Jan sich wieder in die rechte Ecke setzen will, möglichst weit weg von mir, doch Gisela hat andere Pläne.

Mit einem „Ja, jetzt geht's zu Sache!", setzt sie sich ganz dicht an mich heran, fast schon auf meinen Schoß, quetscht mich richtig in die Ecke, sodass ich einen Arm um Jans Schulter auf die Lehne legen muss, bevor er sich auf meine Hand setzt. Ich lache, Jan schaut mich beschämend an, macht aber keine Anstalten, sich von mir zu entfernen.

Mir fällt erst jetzt auf, dass Gisela auch den gesamten Dreh über sehr ruhig war, ich habe nicht einmal etwas in den Haaren oder an meinen Klamotten. Ist das schon einmal vorgekommen?

„Ist alles okay? Gisela ist so ruhig bis jetzt gewesen." Ich schaue ihn von der Seite an.

Meine Beine habe ich auf dem Sofa ausgestreckt, was mir Jan nun gleich macht, wodurch seine Waden sacht meine streifen. Sofort wird diese Stelle wärmer als mein ganzer Körper.

„Ja, mir geht's gut, keine Ahnung, was mit der los war", antwortet er mit einem leeren Blick, der auf unsere Beine gerichtet ist.

Draußen ist die Sonne schon fast untergegangen, was man perfekt aus seinem Wohnzimmerfenster beobachten kann. Von einem Schlag auf den anderen ist der Regen vorbeigezogen und die Sonne ist wieder hervorgekommen. Der Himmel ist in eine warme Mischung aus Pink- und Lilatönen getaucht, die Sonne scheint noch etwas ins Zimmer.
Der ganze Raum ist nun golden angehaucht und ich glaube, Jans Augen waren noch nie schöner, strahlender als in diesem Moment.

Fast könnte man denken, diese Situation wäre romantisch, aber da hat man die Rechnung ohne Gisela gemacht, denn diese versucht nun ständig, mich im Gesicht abzulecken. Hätte ich mal nicht nach ihr gefragt.

„Bah, Gisela!", rufe ich empört mit einem Lachen und halte meine Hände vors Gesicht. „Warum immer ich?"

„Ich markiere mein Revier!" Jan schaut mich nach dem Tic nur mit einem unglaublich süßen, entschuldigenden Blick an und widmet seine Aufmerksamkeit wieder dem Film.

So könnte das ruhig öfter sein. Ich fühle mich in Jans Gegenwart einfach nur geborgen, sicher, als könnte ich alles schaffen.
Er ist die Person, mit der ich über alles reden kann, der ich vertraue, bei der ich mich vor nichts schämen muss.

Ich bin so dankbar, ihn als meinen besten Freund zu haben.