Wie gebannt starrte ich auf die Stelle, wo Maybell bis vor einer Minuten noch gesessen hatte. Sie konnte sich doch nicht einfach so in Luft aufgelöst haben, oder etwa doch?
War sie am Ende eine dieser Möchtegernmagierinnen, die einen auf Copperfield machte und dann einfach so verschwand?
Das erneute Klingeln an der Tür ignorierend, ging ich zu dem Sessel hinüber. Ich fuhr einmal mit der Hand durch die Luft, weil ich mir durchaus vorstellen konnte, dass sie sich unsichtbar gemacht hatte. Aber ich stieß gegen keinen Widerstand.
War ich jetzt komplett übergeschnappt und hatte mir die Psychoomi etwa eingebildet? Das konnte doch nicht sein. Also ging ich auf die Knie, um unter dem Sessel nach ihr zu suchen, doch als mir bewusste wurde, dass ich zu Hälfte unter Tisch und Sessel hing und das, was ich da tat, total sinnlos war, hielt ich in der Bewegung inne. Anscheinend war ich wirklich verrückt geworden. Jetzt suchte ich schon unter einem Möbelstück nach einer ausgewachsenen alten Frau. Als wäre diese alte Schachtel so beweglich, um sich in die verstaubte Ritze unter meiner Couch zu quetschen.
„Nim, was machst du da?", hörte ich eine offensichtlich belustigte Stimme hinter mir und schreckte hoch, was meinen Hinterkopf Bekanntschaft mit dem massiven Couchtisch machen ließ. Autsch.
„Verdammter Mist!", fluchte ich, während meine Hand an die Stelle fasste, wo der Schmerz am Schlimmsten war. Obwohl, so einfach war das dann doch nicht auszumachen. Ich konnte spüren, wie es nass und warm wurde. Als ich die Hand vor mein Gesicht hielt, waren die Fingerkuppen rot gefärbt. In meinem Kopf startete ein Karussell und ich setze mich auf die Couch. Sofort war Richard bei mir.
„Lass mich mal sehen!", verlangte er und drückte meine Hand bestimmt von meinem Kopf weg.
Bei jeder Berührung durchzuckte mich Schmerz, der allerdings seltsamerweise von einem äußerst angenehmen Kribbeln in der Bauchregion gejagt wurde.Ich schielte verstohlen zu Richard hoch und merkte sofort, wie ich rot anlief.Ich musste an die Sache auf der Hochzeitsparty denken. Die letzten Nächte hatte mich der Beinahe-Kuss-mit-Richard in meinen Träumen heimgesucht und mich komplett zerstreut aus dem Schlaf gerissen. Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte.
„Das ist nur eine kleine Platzwunde, Nim", hörte ich Richard sagen. „Allerdings sollten wir ins Krankenhaus fahren."
Er klang nicht sehr besorgt, also weshalb sollte ich dann wertvolle Zeit verlieren, in der ich weiterhin nach Psychoomi suchen konnte?
Ich schüttelte den Kopf, was sich als keine gute Idee erwies. Mir wurde speiübel und schwindelig.
„Ach was, da hinten steht Yannicks Arzttasche", brachte ich nach einem kurzen Moment der Konzentration hervor, da ich mich sonst auf den Teppich übergeben hätte. Auch jetzt musste ich mich noch auf meine Atmung konzentrieren.
„Ich weiß. Aber damit es mir besser geht, würde ich dich gerne unter geeignerten Bedingungen behandeln", insistierte Richard aber und schaute mich eindringlich an. Diese Augen brachten mich immer wieder zum Schmelzen.
„Na schön", gab ich zurück, denn ich wusste, dass ich gegen einen Arzt nur verlieren konnte, besonders wenn es sich dabei um Richard handelte und außerdem war es mir im Grunde genommen auch egal.
„Was hast du eigentlich an deinem Auge gemacht?", wechselte er für einen Moment das Thema. Die Prellung war zwar schon so gut wie abgeheilt, allerdings sah man immer noch einen leichten, rosafarbenen Schimmer. „Hattest du die vor einer Woche auch schon?"
„Ja, hatte ich. Da hat mir Fiona am Vortag der Hochzeit eine Tür auf die Nase gehauen. Frag am Besten nicht weiter nach", entgegnete ich und stöhnte bei der Erinnerung an die unliebsame Begegnung schmerzhaft auf.
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Nachtwandler I - Hexentanz
FantasyDer erste Teil der Nachtwandler Triologie - Hexentanz - „Eine Hexe! Habt ihr schon gehört, Nim Bergstein ist eine Hexe. Lasst uns die Mistgabeln und Fackeln holen und sie dann auf dem Scheiterhaufen verbrennen!" Im Augenwinkel sah ich, wie Maybell s...