Kapitel 36

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„Du gehst auf keinen Fall alleine zu der Ruine!“, meinte Yannick erneut. Unsere Diskussion war in den letzten 20 Minuten sehr hitzig geworden und ich lief wieder quer durch das Zimmer. Yannick saß an der Kante der Couch, während Maybell gelassen in ihrem Sessel saß und das Schauspiel ruhig beobachtete. „Denn für mich riecht das nach einer Falle!“

„Yannick, du sagst das schon zum Dritten Mal! Wer soll denn mit? Maybell ist kurz davor in Pension zu gehen und du hast deine Magie nicht mehr. Was wäre also der Unterschied ob ich alleine oder mit einem von euch gehe!“

„Der Unterschied wäre, dass ich wüsste ob es dir gut geht oder nicht! Denn wenn ich hier rum sitze und warte, bis du wieder kommst, werde ich wahnsinnig!“

„Ich könnte mich aber nicht darauf konzentrieren Richard zu retten, wenn ich mir Gedanken darüber machen muss, ob du noch in meiner Nähe bist!“

„Du gehst da nicht alleine hin! Ende der Diskussion!“

„Ich...“, „Nein, Nim! Auch wenn du jetzt eine Hexe bist, ist nicht gesagt, dass du es alleine schaffen würdest! Verdammt noch mal, du bist doch vorhin schon fast zusammengebrochen!“

Kurz sah ich ihn an, bevor ich meine Arme vor der Brust verschränkte und eine Schnute zog.

„Und zieh jetzt keine Schnute! Du kannst deine Magie wie lange schon kontrollieren? Zwei Tage?“, ich zuckte mit den Schultern. „Da willst du es ernsthaft alleine gegen wen auch immer aufnehmen?“

Ich hielt dem Blick meines Bruders einen Moment stand und ließ die Worte auf mich wirken. Doch meine Wut vererbten durch sie noch lange nicht.

„Es geht hier um deinen besten...“, fing ich an, doch Maybell kam mir dazwischen. „Silenzium!“, meinte sie und schlagartig verstummten wir Beide. Wobei Yannick sich sofort an den Hals fasste und ich nur die Augen verdrehte. Kurz warf ich der Psychoomi einen "Ist das dein Ernst Blick" zu, bevor ich mich neben Yannick auf die Couch setzte. Ich beobachtete Maybell wie sie sich jetzt an meinen Platz stellte.

„Ich habe mir dieses sinnlose Hin und Her Geplängelt zwischen euch jetzt lang genug angehört! Wenn heute Nacht Vollmond wäre, hättet ihr Richard nicht mehr retten müssen! Aber ich muss Yannick recht geben, Nim. Du solltest nicht alleine hingehen. Dafür bist du viel zu wichtig! Also werde ich mit dir gehen. Ist das okay für dich, Yannick?“

Er nickte mit dem Kopf.

„Gut!", sie klatschte in die Hände. "Na das ging doch super, dann schließe ich die Sitzung und schicke euch ins Bett. Morgen wird schließlich eine anstrengende Nacht für dich, Nim!“

Später lag ich in meinem Bett und starrte an die Decke. Ich hasste es, nach einem Streit mit Yannick ins Bett zu gehen. Denn meist konnte ich nicht schlafen, da mir mein schlechtes Gewissen immer wieder in die Schulter piekste.

Doch heute prasselten auch all die Erlebnisse der letzten Wochen auf mich ein.

Die Hochzeit von Yannick, die Tatsache, dass ich eine Hexe war, Richard mit dem ich rumgeknutscht hatte und dann seine Entführung. Richard... Ob es ihm wohl gut ging? Ob er noch am Leben war? ...

Plötzlich fiel mir der Brief ein, der auf meinem Nachtkästen lag und jetzt „lies mich endlich“ flüsterte. Was konnte nur so schwierig sein, um es mir in einem Brief zu schreiben? Warum konnte er es mir nicht sagen?

Ich knabberte kurz auf meinem Daumennagel herum und betrachtete weiter den Brief. Dann setzte ich mich auf, schaltete das Licht ein und nahm den Umschlag in die Hand.

„Du schaffst das schon“, sagte ich laut, atmete einmal kräftig aus und öffnete das Kuvert.

„Meine süße Nim,

weißt du noch, als wir uns das erste Mal begegnet sind?

Es war auf der ersten Studentenfete, die dein Bruder in eurem Haus gefeiert hatte. Du warst nicht begeistert darüber, als du in deinem Einhornpyjama in der Küche aufgetaucht und dort von vier, leicht angetrunkenen, Kerlen angestarrt worden bist. Aber du bist nicht peinlich berührt zurück in dein Zimmer gelaufen, sondern hast dir dein Glas Wasser geholt und hast dich zu deinem Bruder auf die Couch gesetzt. Und das obwohl du erst 14 Jahre alt warst. Ich muss heute immer noch schmunzeln, wenn ich daran denke.

Damals hätte ich es nie für möglich gehalten, dass du mir eines Tages so wichtig sein würdest.

Dann gestehst du mir auf dem Friedhof auch noch deine Liebe, was mich meine schweren Verletzungen und die Schmerzen für einen Moment vergessen lässt.

Denn ich liebe dich auch, Nim!

Ich liebe deine unsichere Art und wie du dennoch nach außen hin stark sein möchtest. Ich liebe deinen Einhornpyjama. Ich liebe die Art, wie du auf deinem Haar herumkaust, wenn du nervös bist. Ich liebe den Klang deiner Stimme... kurz gesagt, ich liebe dich genau so wie du bist.

Dennoch kann ich die Tatsache, dass du eine Hexe bist, nicht einfach über diese wunderbaren Dinge stellen.

Aber dich einfach aus meinem Leben streichen kann ich auch nicht. Daher musst du eine Wahrheit über mich erfahren, die ich vor deinem Bruder und dir all die Jahre verschwiegen habe. Etwas, dass die Liebe zwischen uns verändern könnte. Sie sogar komplett verschwinden lassen kann.

Nim, ich bin ein Werwolf. Eine Kreatur des Vollmondes.

Allerdings bin ich nicht einer dieser Wölfe, die sich bei Vollmond verwandeln und dann halb Mensch, halb Wolf bleiben. Keiner der Menschen tötet.

Meist ziehe ich mich auf ein Grundstück auf der Deutsch/ Französischen Grenze zurück um meinem Wolf dort den Auslauf zu geben, den er braucht.

Ich finde es nur fair, dass du diese Wahrheit über mich weißt. Was du jetzt machst, bleibt deine Entscheidung. Aber egal, wie du dich entscheidest, du wirst mir immer wichtig sein.

Dein Richard“

Nachtwandler I - HexentanzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt