*Update* Kapitel 7

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Es war eine alte Frau, die mir knapp unters Kinn reichte. Um ihren Hals hingen dutzende Ketten mit kleinen und großen Perlen, welche das Mütterchen funkeln ließen wie ein Christbaum zu Weihnachten. Der riesige Hut und der dunkle Umhang verliehen ihrem Outfit etwas geheimnisvolles, allerdings nicht den benötigten Schliff. Auch die Zigarette in ihrer Hand machte es keinen Deut besser.

Ich wusste nicht, ob ich ernst bleiben oder mich prustend auf den Boden werfen sollte. Doch bevor ich eine Entscheidung fällen konnte, wurde mir eine gehörige Ladung Mentholzigarettenrauch ins Gesicht geblasen. Ich spürte förmlich, wie meine Augen rot wurden und meine Lunge anfing zu brennen. Wie jemand mit geschätzten 100 Jahren auf dem Buckel noch rauchen konnte, war mir ein Rätsel.

„Entschuldigung, aber wenn Sie von den Zeugen Jehovas oder eine Staubsaugervertreterin sind, muss ich Sie enttäuschen. Ich kaufe nichts und habe meinen eigenen Glauben!", brachte ich mit rauer Stimme hervor. Bevor ich die Tür allerdings schließen konnte, quetschte sich die alte Dame an mir vorbei.

„Hallo? Ich kann mich nicht erinnern Sie ins Haus gebeten zu haben!", rief ich ihr nach, während ich ihr ins Wohnzimmer folgte. „Bitte verlassen Sie auf der Stelle..."

„Silenzium!", unterbrach mich die kratzige Stimme der Frau, was mich sofort verstummen ließ. Es war wie bei einem Keukarpfen, der nach Futter bettelte. Mein Mund ging zwar auf es kam aber kein Ton heraus.

„Keine Sorge! Du bekommst deine Stimme wieder, sobald ich mit dir fertig bin", meinte sie, während der Umhang den Platz auf dem Sessel fand. Wo er bald Gesellschaft von dem Hut bekam.

„Ich werde dabei nur vollkommene Ruhe brauchen!"

Na super! Ich war in einer Freakshow gelandet. Denn anders konnte ich mir das was hier gerade ablief nicht erklären. Warum musste diese Psychoomi, die wahrscheinlich aus irgendeinem Irrenhaus geflohen war, ausgerechnet vor meiner Tür auftauchen? Hätte sie nicht bei den Lichtensteins nebenan klingen können.

„Weißt du, es war nicht leicht dich zu finden", meinte sie plötzlich, doch damit stieg mein Unbehagen nur noch mehr. Wie lange hatte sie schon nach mir gesucht? Wieso hatte sie überhaupt nach mir gesucht?

Ich musste hier weg und Hilfe holen. Langsam drehte ich mich um, wo ich dann schnellen Schrittes in Richtung Eingangstür gehen wollte.

„Pone!", reif Psychoomi hinter mir, was mich sofort kehrt machen ließ. Ich schien keine Kontrolle mehr über meine Beine zu haben, denn sie gingen in Richtung Couch. Dort angekommen setzte ich mich hin und erstarrte zu einer Salzsäule. Okay, jetzt mal langsam. Zuerst brachte sie mich mit nur einem Wort zum Schweigen und jetzt schaffte sie es die Kontrolle über meinen Körper zu bekommen. Wer war sie und was wollte sie von mir?

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, setzte sie sich mir gegenüber in den Sessel und sah mich an.

„Nun, ich sollte mich dir vielleicht erst einmal vorstellen. Schließlich tauche ich einfach so auf und begehe auch noch Hausfriedensbruch. Ach ja, nicht zu vergessen, dass ich dir auch noch deine Stimme und die Kontrolle über deinen Körper genommen habe."

Innerlich wippte mein Kopf, wie bei einem Wackeldackel auf einer rasanten Autofahrt, auf und ab. Das war wirklich das Mindeste, was sie tun konnte. Aber ich war jetzt auch neugierig, welche Geschichte sie mir auftischen würde.

„Mein Name ist Maybell Akazie Wallace. Ich wurde vom großen Rat zu dir geschickt, damit du in nächster Zeit die richtige Hilfe bekommst..", fing sie an, doch ich merkte wie meine Gedanken abschweiften.

'Nicht ich bin diejenige, die Hilfe braucht! Nein, das bist definitiv du, Akazie!... Akazie, wer nennt seine Tochter mit zweitem Namen Akazie? Wohl während der Schwangerschaft zu viel Honig genascht!', dachte ich und lachte mich innerlich schlapp darüber, nach außen glich ich einer aus Stein gemeißelten Statue.

„Nim! Sag mal hörst du mir überhaupt zu, Schätzchen?", riss mich das Schnipsen von Maybells Fingern, vor meiner Nase, aus meiner One-Woman-Comedy-Show.

Doch ihr muss in diesem Moment wieder eingefallen sein, dass ich mich weder bewegen noch reden konnte. Denn sie schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn, bevor sie mit einer geschmeidigen Bewegung ihres Handgelenks, was das Laientheater meiner Meinung nach perfekt machte, sagte „Liberum!"

Sofort merkte ich, dass die Blockade von meinem Körper abfiel und ich mich wieder bewegen konnte.

„Also, ist dir in letzter Zeit etwas Merkwürdiges passiert?", wiederholte Maybell ihre Frage, die sie mir wohl gerade schon gestellt hatte. Mir fiel natürlich sofort die Sache mit dem Wolf vor einer Woche ein, doch so einfach würde ich es dieser Psychoomi nicht machen. Der würde ich jetzt erst mal ordentlich die Leviten lesen.

„Ja, mir ist da wirklich etwas Merkwürdiges passiert", fing ich an, während ich von der Couch aufstand. „Seit ungefähr 15 Minuten werde ich von irgendeiner, mir vollkommen fremden, alten Frau in meinem Haus festgehalten, die mir noch dazu eine Geschichte auftischt, die sie sich in ihrem kranken Hirn zusammengesetzt hat wie ein Puzzle", ich hatte ruhig angefangen, doch den letzten Satz schrie ich ihr entgegen. Maybell zuckte nicht zusammen, so wie es ein normaler Mensch getan hätte. Nein, sie fing an zu grinsen.

„Fühlst du dich jetzt besser, Nim? Ist gut, wenn man die angestaute Wut raus lassen kann. Davon bekommt man nur Magengeschwüre", meinte sie, was den Vulkan in mir nun zum Ausbruch brachte.

„Was fällt Ihnen eigentlich ein! Verlassen Sie sofort mein Haus, sonst hole ich die Polizei", erwiderte ich, bevor ich in die Richtung der Tür zeigte. Allerdings machte sie keinerlei Anstalten zu gehen. „Verstehen Sie meine Sprache plötzlich nicht mehr?"

Maybell sah mich weiterhin nur mit ihrem schiefen Lächeln an, was meinen Geduldsfaden endgültig reißen ließ.

„Schön, wie Sie wollen", rief ich und stürmte aus dem Zimmer oder besser gesagt, ich wollte. Denn es schien, als würde ich gegen eine unsichtbare Tür laufen. Es war wie in den Filmen, in denen Vampire erst noch in das Haus gebeten werden mussten.

„Hören Sie endlich auf mit diesen Spielchen", rief ich, während ich mich zu ihr umdrehte. „Was wollen Sie eigentlich von mir? Welcher Rat hat sie zu mir geschickt? Wieso haben Sie so lange nach mir gesucht? Weshalb sind Sie hier in meinem Haus?"

„Immer mit der Ruhe, Kleines! Setz dich am Besten erst mal wieder hin. Du bist weiß wie die Wand hinter dir", meinte Maybell. Ich zögerte kurz, doch als ich merkte wie meine Knie weich wurden, setzte ich mich zurück auf die Couch.

„Ich kann dir nicht alle deine Fragen auf Anhieb beantworten, da du selbst verstehen sollst. Aber die Frage, weshalb ich in deinem Haus bin, kann ich dir beantworten. Ich bin deshalb hier, weil du bereit bist", anstatt mir Antworten zu geben, warf sie nur noch mehr Fragen auf.

„Ich weiß wie seltsam dir das Alles vorkommen muss. Bei mir war es damals nicht anders. Aber am Ende wirst du mich verstehen. Nim, du bist...", doch sie wurde von der Türklingel unterbrochen. Kurz darauf hörten wir eine Stimme.

„Nim, ich bin's Richard! Bist du da?"

„Ich sollte aufmachen", flüsterte ich, während ich aufstand. Ich wandte mich noch einmal kurz zu Maybell um.

„Es wäre... Was?", doch die alte Frau war verschwunden.

Nachtwandler I - HexentanzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt