Kapitel 35

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Seit zehn Minuten saßen wir nun schon Arm in Arm auf dem Bett. Ich hörte Yannicks Herz an meinem Ohr, während die Tränen in seinem Pullover verschwanden.

„Ich werde dich niemals alleine lassen! Das habe ich Papa versprochen“, flüsterte er mir zu und ich drückte mich noch fester an seine Brust. „Für immer und ewig!“

„Für immer und ewig“, schluchzte ich, bevor ich mich von ihm löste und er mir die Taschentücher von meinem Nachtkästchen reichte. „Danke!“

Er nickte kurz und sah mich einen Moment an. „Was ist?“

„Ich sollte eigentlich noch warten, aber ich denke es ist Zeit!“

„Was?“

Doch er stand auf, ging aus meinem Zimmer und ich sah ihm verdutzt nach. Was war denn jetzt passiert? Gerade hatte ich noch schluchzend an seiner Schulter gehängt uns jetzt war er verschwunden?

Einen Moment später kam er mit einer schwarzen, leicht ramponierte Schachtel in den Händen zurück. Sie kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht woher. Yannick setzte sich neben mich und strich kurz über den Deckel, bevor er ihn öffnete. Zum Vorschein kamen Bücher.

„Tagebücher?“, fragte ich, bevor ich nach einem Griff und es herausholte.

„Das sind die Tagebücher von Papa und Mama!“, sagte er, was mir vor Schreck das Buch aus den Händen fallen ließ. „Du musst es deshalb aber nicht fallen lassen, Nim.“

Er hob es auf und legte es zu den anderen zurück.

„Es war an unserem letzten gemeinsamen Weihnachten, als Beide in der Nacht zu mir ins Zimmer kamen. Sie erzählten mir von einem magischem Zirkel dem sie angehörten und das besonderes Blut durch uns Beide fließen würde. Sie hätten in diesen Tagebüchern alles aufgeschrieben, was sie über die Magie wussten. Um uns später den Weg in dieser Welt zu erleichtern.

Ich sollte und durfte sie nicht lesen, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war. Ich habe sie gefragt, wann er denn wäre. Aber Papa sagte nur, dass ich das schon merken würde.“

Ich lauschte ihm gespannt, merkte aber auch den Kloß in seinem Hals. Deshalb legte ich ihm meine Hand auf seinen Unterarm. „Yannick...“

„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen", meinte Yannick und sah zu mir. "Ich weiß, dass ich damals egoistisch gehandelt habe als ich Maybell gebeten hatte, meine Magie zu verschließen. Aber du warst mir einfach wichtiger. Ich hatte dich gerade erst zu mir zurück geholt, als diese alte Frau vor unserer Tür stand und mir etwas von dem Zirkel erzählte, in dem unsere Eltern Mitgliedern waren. Sie sagte mir, dass nun meine Zeit gekommen wäre. Ich sollte der Nachfolger werden. Doch ich wollte das wir von nun an nie wieder getrennt werden, denn ich hätte fort gehen müssen um an einem anderen Ort ausgebildet zu werden...", "Im Raum der Zeit!", "Genau! Aber dass du damit die letzte Hoffnung der Familie werden würdest konnte ich damals nicht wissen. Ich wollte doch nur das du ein ganz normales Leben führst.“

Er sah mich mit so viel Leid in den Augen an, dass es mir beinahe das Herz zerriss. „Es tut mir leid, Nim! So verdammt leid!“

Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Daher drückte ich einfach nur seine Hand, während die Tränen immer weiter an meinen Wangen hinab liefen. Yannick hatte so viele für mich aufgegeben. "Du bist der beste Bruder, den sich ein kleines Mädchen nur wünschen kann."

Dieser emotionsgeladene Moment wurde allerdings, wie sollte es auch anders sein, von Maybell unterbrochen. Mit  stolz geschwellter Brust kam sie ins Zimmer und grinste breit.

„Das Essen wäre fertig!“, als sie jedoch in mein verheultes und in Yannicks wehmütiges Gesicht blickte, verschwand der Stolz schlagartig.

„Ist hier alles in Ordnung?“

Yannick und ich tauschten einen kurzen Blick, lächelten uns an und sagten aus einem Munde „Ja, es ist alles in Ordnung!“

Sie musterte uns noch einmal kurz. "Na wenn das so ist! Beeilt euch, sonst wird alles kalt!"

Dann verließ sie mit zuckenden Schultern das Zimmer.

Wir Beide sahen ihr lächelnd nach und Yannick schloss die Schachtel, bevor er sie mir hin hielt. „Lies sie dir durch und hoffentlich können sie dir für die Zukunft von nutzen sein!“

„Danke!“, sagte ich, bevor ich sie entgegennahm und sie hinter mich auf das Bett stellte. „Aber jetzt lass uns was Essen gehen! Durch dieses rumgeschnulze hier habe ich richtigen Hunger bekommen.“

Ich stand auf. „Hey, was heißt hier rumgeschnulze? Wir hatten halt sehr emotionsgeladene fünf Minuten!“

„Maybell, ich muss sagen, dass war total lecker!“, lobte Yannick die alte Hexe und diese fing breit an zu Grinsen.

„Vielen Dank!“

„Hast du das alles selbst gemacht, oder ist da auch etwas Magie im Spiel?“, zerriss ich Yannicks Lob in der Luft, was mir von Beiden einen bösen Blick bescherte. „Ja, entschuldigt bitte! Aber hier gibt es schließlich zwei Hexen im Haus. Da ist diese Frage doch nicht ganz unberechtigt oder?“

„Da hat Nim jetzt aber auch wieder recht, Maybell.“

„Dankeschön, Bruderherz!“

„Na Hauptsache ihr Bergstein-Sprösslinge seit euch einig!“, entgegnete Maybell und nippte beleidigt an ihrem Glas Rotwein, während Yannick und ich das Lachen anfingen.

„Ja, sehr witzig.“

„Ach komm schon, Maybell! Jetzt sei doch nicht beleidigt. Das Essen ist dir wirklich gut gelungen, ganz egal ob mit oder ohne Magie“, versuchte ich die Situation zu retten. „Gibt es noch einen Nachtisch?“

Damit schien ich sie etwas zu besänftigen, denn sie schmunzelte.

Nachdem wir das Essen beendet hatten, wanderten wir ins Wohnzimmer. Maybell hatte das Chaos beseitigt und es erstrahlte in altem Glanz. Mit zwei Gläsern Rotwein und einem Glas Cola machten wir es uns bequem. Allerdings nicht, um den Abend ruhig und entspannt ausklingen zu lassen, vielmehr legten wir uns einen Plan für morgen Nacht zurecht.

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