Immer wieder spannt sich meine Hand auf Jaydens Oberschenkel wie von selbst an, bevor ich mich dazu zwinge, sie locker zu lassen. Noch einmal erwäge ich kurz, zum Piloten zu gehen und zu sagen, dass er wieder landen soll. Ich habe keine Ahnung, wie ich diesen Flug überstehen soll. Aber jetzt ist sowieso alles zu spät. Wir sitzen in einem Flugzeug, das schon in der Luft ist und sicher nicht wieder landen wird. Ich atme tief aus.
„Du hast auch Angst!“, stellt Jayden plötzlich fest. Ich schaue ihn betreten an. Vor lauter Aufregung antworte ich ihm nichts.
Das Flugzeug macht einen Ruck und ich rutsche kurz in meinem Sitz nach rechts, aber es stabilisiert sich gleich wieder. Dabei graben sich meine Finger in Jaydens Oberschenkel. Schnell ziehe ich sie weg, als ich bemerke, dass er vor Schmerzen zusammengezuckt ist. „Tut mir Leid“, murmle ich peinlich berührt.
„Macht nichts!“, antwortet er und ich frage mich, wie er es schafft, dass seine Stimme so ruhig und gelassen klingt, obwohl er wahrscheinlich genauso viel Angst vor dem Flugzeug hat wie ich. Er quält sich sogar zu einem Lächeln! Ich kann nicht anders und muss automatisch zurück lächeln, obwohl es wahrscheinlich eher nach einer Grimasse aussieht.
Da meine Hand sich jetzt etwas anderes zum Hineinkrallen gesucht hat, durchfährt mich bei jeder, auch noch so winzigen unregelmäßigen Bewegung des Flugzeugs, ein brennender Schmerz von meinem eigenen Oberschenkel aus. Immer wieder versuche ich, mich durch einen Blick durch das Fenster neben mir abzulenken und zu beruhigen. Ich konzentriere mich nur auf die Landschaft, auf die blauen Flüsse und der grüne Kontrast an den Ufern. Es ist so wunderschön!
Das beruhigt mich ein wenig.
Doch das ist kurz darauf auch schon wieder verflogen, weil das Flugzeug plötzlich um ein oder zwei Meter absinkt. Ich und Jayden werfen uns gegenseitig angstvolle Blicke zu. Irgendwie bin ich froh darüber, dass ich nicht die Einzige hier bin, die Angst vor dem Fliegen hat.
Einen Moment später knackt ein Lautsprecher über uns und teilt mit: „Das Flugzeug hat mit starken Windböen zu kämpfen. Ich habe das Flugzeug aber im Griff! Machen sie sich deswegen keine Gedanken!“, der Pilot klingt konzentriert und angestrengt. Mir kommt das ein wenig seltsam vor, denn ich habe zwar, als wir noch auf sicherem Boden standen, keinen Luftzug gespürt, auch nicht auf dem Flugplatz, aber das muss ja nichts heißen. Das Wetter kann sich schnell ändern...
Aber kaum habe ich zu Ende gedacht, senkt sich das Flugzeug ein weiteres mal ein paar Meter ab. Meine Finger verkrampfen sich und jemand anderes hier drin – ich glaube es ist Kim – stößt sogar einen spitzen Schrei aus, der aber schnell wieder unterdrückt wird. Auf einmal wird die angespannte Stille, die nach Kims Schrei eingetreten ist, von einem anderen Geräusch zerrissen: Es hört sich an wie eine Alarmanlage. Ich schaue panisch Jayden an, aber in seinem Blick liegt auch nicht gerade irgendetwas Beruhigendes. Wieder fällt das Flugzeug. Ich bin gelähmt vor Schreck. Und dann ertönt wieder die Stimme des Pilot: „Machen sie sich keine Sorgen, der Alarm wurde durch einen technischen Defekt ausgelöst, es wird gleich wieder von allein ausgehen. Setzten sie sich und-“ Eine andere, mechanische Stimme unterbricht ihn: „Treibstofftank leer – bitte Notlandung machen.“
Notlandung? Wo denn? Wir sind umgeben von Bäumen! Ich muss meine Zähne zusammenbeißen, um nicht gleich laut loszuschreien. Jayden sieht fast genauso aus. Sein Blick ist voller Panik und auch die anderen scheinen sich bewusst zu sein, was gleich passieren wird – wenn wir keinen Treibstoff mehr haben wird das Flugzeug abstürzen – und an harten Baumstämmen in tausend Stücke zerschellen -
Noch eine Stimme unterbricht meine Gedanken: „Wir werden es bis zum Flughafen von Fort Hope schaffen. Ich schalte den Alarm aus. Beruhigen sie sich!“, versucht der Pilot uns zu besänftigen und er klingt dabei selbst nicht gerade entspannt, aber es ist zu spät: die Panik ist schon ausgebrochen. Auch ich beruhige mich keineswegs. Der Alarm wird immer schriller und die Computerstimme wiederholt sich ununterbrochen. Aber anstatt zu verstummen, wird der Alarm nur noch lauter. Ich halte mir unwillkürlich die Ohren zu und springe auf, weil ich es nicht mehr aushalte zu sitzen. Wahrscheinlich ist das genau die falsche Reaktion, aber die anderen machen es genauso.
Wieder senkt sich das Flugzeug ab und diesmal schreie ich auch. Meine Augen wandern kurz zu dem Fenster und ich sehe, dass sie Baumwipfel nicht mehr allzu weit weg sind. Mein Gehirn malt sich die allerschlimmsten Dinge aus.
Ich zucke zusammen, als eine Hand nach meinem Oberarm greift. Es ist Jayden. Sein Blick ist voller Panik. Ich würde ihn am liebsten irgendwie beruhigen, aber das schaffe ich ja nicht einmal bei mir selbst.
Wieder senkt sich das Flugzeug schlagartig um ein paar Meter ab. Ich kneife meine Augen fest zu. Klammere mich an Jayden fest. Das Flugzeug bewegt sich wild und schleudert uns mit sich. Ich knalle gegen den Sitz vor mir. Der Schlag mitten in den Bauch lässt mich würgen. „Setzt euch hin!“, höre ich jemanden rufen. Ich fange mein Gleichgewicht wieder und lasse mich langsam auf den Sitz sinken. Für einen Moment ist das Flugzeug ruhiger, obwohl die Schreie der anderen nicht verstummen. Mir wird schlecht und ich habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
Der Pilot hat das Flugzeug jetzt nicht mehr unter Kontrolle. Wir rasen jetzt auf den mit Baumwipfeln übersäten Boden zu. Immer schneller... Wir werden alle sterben – wir werden gegen Baumstämme prallen und das Flugzeug wird jämmerlich zerschellen. Ich springe auf und versuche, mich seelisch auf meinen Tod vorzubereiten. Ich verabschiede mich in Gedanken von meiner Familie. Die Bäume sind jetzt nicht mehr allzu weit entfernt. Gleich ist es soweit. Ich greife nach Jayden, umklammere ihn, denke an meine Eltern, an Lisa. Ich halte mich an ihm fest und er sich an mir.
Wieder macht das Flugzeug eine ruckartige Bewegung nach rechts. Und dann geschieht alles gleichzeitig: Mein Kopf knallt hart gegen die Wand neben mir. Schmerz durchfährt meinen ganzen Körper. Meine Augen sind geschlossen. Dann höre ich einen ohrenbetäubenden Krach. Als würde etwas quer durch den Flugzeuginnenraum geworfen werden. Und dann trifft mich etwas am Hinterkopf. Es kommt so wuchtig und schnell geflogen, dass es meinen Kopf nach vorne schleudert. Wieder pralle ich auf dem Vordersitz auf. Vor Schreck reiße ich die Augen weit auf. Ich spüre eine Berührung am Oberarm. Wahrscheinlich ist es Jayden. Ich sehe das blaue Sitzpolster, über dem ich lehne. Ich höre die Schreie um mich herum. Sie sind überall. Ab und zu werden die Schreie von einem Krachen unterbrochen. Plötzlich wird meine Sicht von schwarzen Flecken getrübt. Sie vermehren sich schnell – bis ich schließlich gar nichts mehr sehe. Ich spüre, wie ich würgen muss, weil der Sitz vor mir, mir direkt in den Magen drückt. Die Schreie vermischen sich mit einem Brummen. Das Krachen ist laut, aber es wird immer leiser, bis es schließlich ganz in meinen Ohren verstummt. Meine Beine knicken ein und ich spüre nur noch, wie jemand versucht, mich aufrecht zu halten, jedoch ohne Erfolg. Und plötzlich entspannen sich meine Muskeln und nun ist auch das letzte Geräusch verschwunden. Und so schlafe ich ein, in den ewigen Tod, der unten auf mich lauert.
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Woodkiss
AdventureDu hattest du schon immer mal den Traum, zwei Monate ganz alleine und ohne deine Eltern mit sieben anderen Jugendlichen Nordamerika zu reisen? Und das in einem alten VW-Bus? Genau diese Chance hat die siebzehnjährige Laura Wood, einmal von der Schul...