Kapitel 68.

62 8 0
                                    

Und kein Ast kann sie aufhalten. Während sie fällt, schreien sie, Avery und ich gleichzeitig. Ich stehe wie angewurzelt da. Sie kann sich nirgendwo festhalten und fliegt einfach nur. Wenn sie auf dem Boden auftreffen wird, wird sie sich verletzen. Ich will ihr helfen, doch meine Muskeln wollen sich einfach nicht bewegen, vor Schreck. Sie fällt. Und fällt. Und fällt.

Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Carter nach vorne hastet. Doch er ist zu weit von ihr entfernt. Gleich wird sie aufschlagen. Ich würde die Augen zukneifen, doch mein Körper ist wie gelähmt. Carter streckt seine Arme aus. Ihr Körper ist gerade davor, den Boden zu berühren, als Carter seine Hände unter sie schiebt und sie auffängt.

Durch die Wucht, die von ihr ausgeht, wird der auf den Boden geschleudert. Und gemeinsam fallen sie zu Boden. „Heather!“, schreie ich und mein Ruf vermischt sich mit Averys, als sie „Carter!“, ruft. Kaum sind sie gelandet, renne ich nach vorne und stoße dabei fast mit Avery zusammen. Ich knie mich auf den Boden, um zu sehen, ob sie verletzt sind. Keuchend liegt Heather verrenkt auf Carter. Sie braucht einen Moment, um sich zu sammeln. Sie zittert am ganzen Leib. Ihre Augen sind vor Schreck weit geöffnet und sie bewegt sich nicht. Ich sehe erleichtert, dass sie und Carter nicht verletzt sind. Zum Glück hat Carter sie im letzten Moment aufgefangen. Ich will mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie ohne Schutz auf dem harten Boden aufgekommen wäre.

Langsam und immer noch zitternd setzt sie sich auf. Das Erste, was sie sagt, ist: „Es tut mir Leid! Die Vogeleier...“

„Die sind doch jetzt völlig egal!“, unterbreche ich sie. Sie lächelt mich dankbar an und ich sehe, wie sie sich dazu überwinden muss. Heather beißt ihre Zähne vor Schmerzen fest zusammen. „Hast du dich verletzt?“

„Mein Rücken!“, stöhnt sie. „Aber es ist nicht schlimm!“, ruft sie, als sie meine mitleidige Miene sieht. Ihr Blick wandert langsam zu Carter, der ebenfalls stöhnend auf dem Boden liegt. Avery kniet neben ihm. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Heathers Augen zusammenkneifen, als sie bemerkt, wie sich Avery fürsorglich über Carter beugt. Sie möchte ebenfalls zu ihm hin krabbeln, doch ihr schmerzender Rücken hindert sie daran. Ihre Miene verfinstert sich. Ich bin mir nicht sicher … ist das etwa Eifersucht, die da in ihren Augen glitzert?

„Carter?“, frage ich. „Wie geht es dir?“

„Es ist nicht schlimm, nur mein Steißbein...“ Auch er beißt die Zähen so stark zusammen, dass die Kaumuskel heraustreten. Er setzt sich auf und für einen Moment schauen sich Heather und er tief in die Augen. Ich wage es nicht, den Blickkontakt zu stören.

„Wir sollten zurückgehen. Max wird die beiden behandeln können...“, schlägt Jayden vor. Wir nicken nur stumm als Antwort und helfen Heather und Carter, aufzustehen. Wir vergessen darüber einfach die Eier.

Ich sehe, dass es eine Qual für die beiden ist, zu laufen. Wir gehen deswegen langsam und es dauert eine Weile, bis wir ankommen. Max kümmert sich sofort um sie. Doch auch er kann nicht viel machen. Er sagt, dass es leichte Prellungen seien, die in den nächsten Tagen verschwinden sollten.

Wir sind eine der ersten, die ankommen, weswegen noch nicht viel Essen da ist. Jemand hat Pilze gebracht. Ich bin mir sicher, dass ich sie nicht essen werde. Ich erinnere mich nur zu gut an die seltsame Suppe vor ein paar Tagen. Doch ich ändere meine Meinung schnell, als mein Magen wie als Antwort laut knurrt. Jetzt würde ich alles essen – außer … Maden. Dazu würde mich keiner bringen.

Es dauert nicht lange, bis alle eingetroffen sind. Ein paar Männer von Jackson bringen sogar Beeren und es sind auch ein paar Eier dabei. Jemand legt Regenwürmer und einen Haufen toter Ameisen auf unsere Sammlung. Es ist mehr Essen, als ich je erwartet hätte.

Doch mir fällt auf, dass noch zwei Personen von uns fehlen. Es sind zwei aus Jacksons Team, deren Namen ich nicht kenne. Ich hoffe, dass ihnen nicht auch noch irgendetwas Schlimmes zugestoßen ist. Doch zur Abwechslung gibt es einmal gute Nachrichten.

Zwei Männer treten aus dem dichten Wald. Mir fällt sofort dieses dicke Bündel auf, das der eine in seinen Armen trägt. Was ist es? Vielleicht ist es ein Anzeichen auf Zivilisation in der Nähe... Doch auch wenn es nicht das ist, was ich gerne hätte, werde ich trotzdem nicht sehr enttäuscht. Es ist ein toter Fuchs, den er da trägt!

„Woher hast du den?“, ruft Oliver und ich kann fast hören, wie ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. „Hast du ihn getötet?“

„Nein. Es scheint, als hätte jemand auf ihn geschossen. Direkt ins Auge. Ein perfekter Schuss. Aber wer auch immer es war, er hat ihn einfach liegen gelassen. Aus welchem Grund auch immer...“

„Endlich gibt es mal richtiges Essen!“, freut sich Taylor, als der Mann das tote Tier zum Feuer trägt.

„Stopp!“, ruft Max. „Wir sollten aufpassen! Der Fuchs könnte Bakterien bei sich haben, die von der Kugel übertragen worden sind. Wir wissen nicht, wie lange er da schon lag, als ihr ihn gefunden habt!“

„Er ist vollkommen frisch. Als wir ihn fanden, war er noch warm!“ Dem Mann, der gesprochen hat, läuft das Wasser sichtlich im Mund zusammen, als er einen Blick auf den Fuchs wirft.

„Und die Bakterien?“, fragt Max, aber auch er scheint nicht mehr ganz dahinter zu stehen.

„Das ist doch egal! Ich werde ihn auf jeden Fall essen! Ich verhungere schon halb...“, sagt Taylor. Ich hätte erwartet, dass Max widerspricht, doch er seufzt nur. Wahrscheinlich hat er es genauso satt wie alle anderen, sich von kleinen Tieren und Früchten zu ernähren.

Ich frage mich, warum jemand ein Tier erschießt und dann einfach liegen lässt. Der Mann sagte, dass der Fuchs noch frisch war, als sie ihn gefunden haben. Das heißt, dass die Jäger noch in der Nähe sein müssen. Aber als ich einen Blick auf das Tier werfe, werde auch ich noch hungriger und vergesse darüber fast die Gedanken über den Jäger.

Oliver bereitet den Fuchs für das Feuer vor, während wir einen Stock suchen, um ihn später über den Flammen aufhängen können. Währenddessen sterbe ich fast vor Hunger und bedauere, dass ich nur wenig von den Fleisch abbekommen werde, wenn wir es für 15 Personen aufteilen müssen.

Es dauert eine Ewigkeit, bis ich meine Zähne endlich in das saftige, warme Fleisch schlagen kann. Und ich muss zugeben, dass es wirklich leckerer schmeckt, als ich je erwartet hätte. Auch wenn es ein wenig zäh ist, ist es das beste, was ich in den letzten Tagen gegessen habe. Doch leider bleibt viel zu wenig übrig und hinterlässt trotzdem ein großes Loch in meinem Magen. Wir teilen die gesammelten Vorräte in gerechte Portionen auf, sodass jeder gleichviel bekommt. Ich gebe mich mit ein paar Regenwürmern zufrieden und Jackson gibt mit als „Nachtisch“ noch ein paar Beeren. Danach teile ich mir noch einen Müsliriegel mit Jayden. Ich bin zwar immer noch nicht satt, und mich beschleicht das Gefühl, dass ich es erst mal auch nicht werde.

Für mich ist es ungewohnt, wenig zu essen zu haben. Zu Hause hatten wir nie Probleme damit. Ich bin nicht daran gewöhnt, Hunger zu haben.

Während wir dasitzen und Insekten essen, nimmt Logan alles mit der Videokamera auf. Wir bleiben nicht mehr lange am Feuer sitzen, auch wenn es uns wärmen würde. Ich mache es mir in meiner Hängematte gemütlich und sofort kriecht der Schmerz wieder zurück in meinen Rücken. Die ungewohnte gekrümmte Lage in der Hängematte macht mir Rückenschmerzen. Mein ganzer Körper tut weh. Meine Beine fühlen sich bleischwer an, wie an manchen Tagen, nachdem ich Joggen war. Nur noch schlimmer. Der Muskelkater schleicht sich langsam in meine Glieder und mit dem Gefühl, als würden meine Muskeln innerlich zerreißen, schlafe ich ein.

WoodkissWhere stories live. Discover now