Kapitel 45.

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Die Untersuchungen dauern nicht lange.

Jayden bringt mich danach zu meiner Gastfamilie. Er sagt noch, dass wir für zwei Nächte dort schlafen werden. Ich werde mit Heather in einer Familie mit dem Namen „Edmonton“ eingeteilt. Der erste Eindruck ist eigentlich ganz okay, aber dafür ist das Haus umso gruseliger. Der Mann ist anscheinend Jäger, denn überall hängen irgendwelche Geweihe herum oder es stehen in Vitrinen ausgestopfte Tiere. Im Gegensatz zu unserem Haus auf Staten Island ist dieses Gebäude hier stockdunkel. Es hat kaum Fenster, durch die Tageslicht einfallen kann. Außerdem ist es so groß wie ein Schloss, in dem man sich leicht verlaufen kann. Der Garten ist wunderschön gepflegt und man könnte denken, man wäre auf dem Hof von Königin Elisabeth persönlich, als ein Butler kommt und mir und Heather die wenigen Dinge abnimmt, die uns noch geblieben sind.

Heather ist heute mit dem Videotagebuch an der Reihe, weshalb sie viele Szenen von dem Haus aufnimmt und dazu kommentiert, was sie denkt.

Ich muss mir ein Zimmer mit ihr teilen, das mindestens doppelt so groß ist wie meines zu Hause. Vielleicht kommt es mir auch nur so riesig vor, weil es so spärlich eingerichtet ist. Alles was sich darin befindet, ist ein großes Doppelbett, das aussieht, als wäre es aus dem letzten Jahrhundert und ein großer Kleiderschrank in demselben Stil. Neben der Türe steht noch eine Kommode und in der Ecke befindet sich ein Schminktisch mit Hocker. Das Einzige, was in diesem Raum einigermaßen modern ist, ist der Fernseher. Der Boden ist mit einem rot-schwarz kariertem Teppich ausgelegt und die Vorhänge sind dazu modisch abgestimmt. Insgesamt hat der Raum noch eine Decke, die etwa zwei Meter über mir schwebt. Dadurch komme ich mir noch kleiner vor.

Erschöpft sinke ich auf das Bett und lasse meinen Blick auf der Decke ruhen. Sie hat ein altmodisches Muster mit vielen Schnörkeln. Heather tut dasselbe. Ohne es wirklich zu wollen, muss ich immer und immer wieder an das denken, was Jayden erzählt hat. Vor allem die Sache mit der Polizei und dass sie mich erst so spät gefunden haben, bereitet mir Sorgen. Ich bekomme davon Kopfschmerzen und muss mich daran erinnern, was der Arzt zu mir gesagt hat: Ich soll mich nicht aufregen und mich nicht zu sehr auf ein Thema konzentrieren.

Lange Zeit passiert nichts. Niemand sagt etwas. Wir genießen einfach nur die Stille, die uns umgibt. Ich bin kurz davor, einzuschlafen, doch plötzlich reißt mich Heathers Stimme aus dem Halbschlaf: „Es tut mir Leid.“

Ich drehe meinen Kopf langsam zu ihr. Ihr Blick ist immer noch starr zur Decke gerichtet, aber sie merkt wohl, dass ich sie anschaue, denn sie spricht weiter: „Ich meine das, als ich bei der Sache mit den Platten nicht zu dir gehalten habe. Das hätte nicht sein sollen! Ich war eine schlechte Freundin. Ich hätte Daniel nicht glauben sollen. Ich hätte dir vertrauen sollen!“ Jetzt schaut sie mir in die Augen.

Ich nicke nur. Ich bin froh darüber, dass sie sich entschuldigt hat. Und ich verzeihe ihr. Auch wenn es mich verletzt hat, als sie mir nicht glaubte, obwohl ich ihr meine Gefühle anvertraut habe. Jetzt möchte ich einfach nicht mehr auf sie sauer sein. Weil ich sie brauche.

„Wir sollten vorausschauen und nicht in der Vergangenheit hängen. Ich verzeihe dir“, sage ich und umarme sie, als sie sich ebenfalls hinsetzt.

Jetzt lächelt sie auch und fragt dann ganz plötzlich: „Zwischen dir und Jayden läuft was. Ich weiß es!“ sie stößt leicht mit ihrem Ellbogen neckend gegen meinen.

Ich muss grinsen und wende meinen Blick ab. „Glaubst du?“ Bei ihren Worten macht mein Herz einen Hüpfer. Doch sofort meldet sich wieder eine dunkle Stimme in meinem Kopf, dass es nicht sein darf. Ich bin mir immer noch sicher, dass ich nie wieder jemanden lieben kann. Nicht, nachdem Liam mich so verletzt hat.

„Oh ja!“, sagt sie grinsend. Ich lächle plötzlich nicht mehr. Ich weiß nämlich selbst nicht, wie meine Gefühle zu ihm stehen. Ich erinnere mich an das Kribbeln in meinem Bauch, immer wenn er auftaucht. Aber das ist mein Körper, nicht mein Kopf, der das Kribbeln verursacht. Mein Kopf hängt immer noch Liam hinterher. Ob ich es will oder nicht, er tut es. Und dass Jayden ihm so ähnlich sieht, macht es nicht gerade einfacher.

Deshalb ist das einzige, was mein Kopf will, sich nicht zu verlieben. Obwohl mein Bauch und mein Herz etwas anderes wollen. Ich fühle mich, als wäre mein Körper in zwei Hälften gespalten. Ich möchte nicht, dass wieder so etwas wie mit Liam geschieht! Oder ist es schon zu spät? Ich erinnere mich daran, wie ich Jaydens Kuss erwidern wollte. Aber das war mein Herz, nicht mein Verstand. Es ist schwierig, jemanden zu vergessen, den man fünf Jahre lang in- und auswendig gekannt hat.

Und dann erkenne ich die Wahrheit in dem Spruch: 'Man sagt, Zeit heilt alle Wunden. Doch eigentlich gewöhnt man sich nur an den Schmerz!' Früher dachte ich, diese Wunde würde nie verheilen und ich würde mich auch nie an den Schmerz gewöhnen. Doch jetzt weiß ich es besser: Ich habe mich sehr wohl an den Schmerz gewöhnt. Und ich habe gelernt, trotzdem weiter zu leben.

Liam und ich waren wie zwei Puzzleteile, die nur komplett waren, wenn sie gemeinsam waren. Aber jetzt ist alles anders. Und es wird schwierig sein, ihn zu vergessen.

WoodkissWhere stories live. Discover now