Kapitel 43.

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Ich sitze auf einem harten Stuhl in einem menschenleeren Flur eines winzigen Krankenhauses. Ich fühle mich einsam, denn ich bin nun schon seit mehreren Stunden hier und kann nichts weiter tun, als auf meine Operation zu warten. Und das mit einem Kopf voller Fragen. Jayden hat mir immer noch nicht alles über den Streit erzählen können. Im Flugzeug hat er gesagt, dass es einen heftigen Streit gegeben hatte. Allerdings hat er nicht erwähnt, zwischen wem und was passiert ist. Dazu hatten wir zu wenig Zeit. Und auch nach der Landung konnten wir gerade einmal ein paar Worte wechseln, bevor Männer vom Flughafen Fort Hopes ihn weggezogen haben. Als wäre er ein Schwerverbrecher! Ich sehe die Bilder immer wieder vor meinem inneren Auge vorbeiziehen, als sie ihn unter die Schultern gegriffen haben und weggezogen haben. Und dann diese hämmernde Frage in meinem Kopf: Wieso?

Von den anderen Teilnehmern habe ich noch niemanden gesehen. Auch das beunruhigt mich. Nicht einmal Daisy oder Andrew haben sich blicken lassen! Sie haben zwar gesagt, dass sie nicht mitkommen werden. Aber vielleicht haben sie nach dem Absturz beschlossen, nachzufliegen. Ich mache mir Sorgen. Mein Kopf brummt voller Fragen und sehnt sich nach Antworten, die wahrscheinlich noch eine Weile warten müssen. Am liebsten würde ich jetzt meine Eltern anrufen, aber niemand hat sich die Mühe gemacht, mir nach der Landung oder jetzt, vor der Operation ein Telefon in die Hand zu drücken. Das Handy, welches wir von dem Fernsehsender bekommen hatten, ist wohl bei dem Absturz zu Bruch gegangen. Jedenfalls habe ich es nicht wieder gesehen. Und hier, in diesem menschenleeren Krankenhaus, kommt auch nie jemand an mir vorbei. Ab und zu höre ich, wie eine Türe zuschlägt oder ein kurzes Gespräch. Aber sonst ist alles still.

Die Langeweile zwingt mich fast dazu, an den Absturz und die wenigen Informationen, die Jayden mir danach gegeben hat, zu denken. Er hat noch Daniel erwähnt und ich erinnere mich auch an den Hass in seiner Stimme, als er es mir erzählte. Was ist geschehen?

Eine tiefe Stimme unterbricht meinen Gedankenfluss: „Mrs Wood?“ Ich drehe meinen Kopf nach links und sehe den Doktor in seinem weißen Kittel, der im Türrahmen steht. Seufzend erhebe ich mich aus dem Stuhl und muss mich bemühen, nicht vor Schmerzen laut aufzustöhnen. Während ich in den Operationssaal gehe, werfe ich noch einen kurzen Blick durch ein schmutziges Fenster nach draußen, wo es schon langsam dämmert. Dann trete ich über die Türschwelle in einen dunklen Raum.

Nur ein paar Lichter sind an und an der Wand hängt ein Röntgenbild von meinem rechten Unterarm, an dem jemand die hilfsbedürftige Schiene und die Mullbinden befestigt hatte. Das Bild zeigt meine gebrochene Speiche. Der Arzt hat gesagt, dass ich viel Glück beim Absturz hatte. Genauso wie die meisten anderen von uns. Die Bäume haben den Sturz sehr abgebremst und glücklicherweise sind wir nicht besonders hoch geflogen. Beim Aufprall bin ich ungünstig aufgekommen und nachdem ich Jayden geholfen habe, ist der Knochen noch ein bisschen mehr abgesplittert. Und diese Knochenreste müssen sie jetzt operieren. Außerdem habe ich eine Gehirnerschütterung, die noch verheilen muss. Der Arzt hat mit mitgeteilt, dass sie nicht besonders schlimm ist. Es sollte höchstens ein paar Tage dauern, bis sie vollständig verschwunden ist.

Es ist zum Glück nur eine kleine Operation, bei der nicht sonderlich viel passieren könnte, aber trotzdem wünsche ich mir jetzt eine Person, die mich tröstet und in den Arm nimmt, jetzt, wo so viel passiert ist. Ich spüre, wie ein Kloß in meinem Hals aufsteigt. Ich versuche zwar, ihn wieder herunterzuschlucken, aber es will nicht so recht funktionieren. Ich habe Heimweh! Und das versuche ich mit aller Kraft zu verbergen. Ich will nicht, dass dieser Moderator von dem Fernsehsender Recht hat! Das darf nicht sein! Also schlucke ich nochmal fest, bevor ich mich auf den Operationstisch lege. Ich beiße meine Zähne zusammen und bemühe mich, nicht an meine Familie zu denken oder – Jayden.

Der Doktor und seine Gehilfen bereiten alles vor. Ich schaue ihn gar nicht richtig zu. In meinem Kopf brummt nur alles und ich werde überströmt mit tausend Gefühlen gleichzeitig: ein wenig Angst vor der Operation ist dabei, genauso wie die Liebe, die ich für meine Familie empfinde. Neugier vermischt sich mit Trauer. Frust mit Wut. Alles gerät durcheinander.

Doch eine unvorbereitete Spritze setzt allen Fragen und Gefühlen ein Ende. Wieder sinke ich in den altbekannten Schlaf der Bewusstlosigkeit.

WoodkissWhere stories live. Discover now