Kapitel 51.

61 5 0
                                    

Ich lege wieder den Pfeil an und bin mir dieses Mal ganz sicher, die Scheibe zu treffen. „Ich weiß, dass du mir nicht glaubst.“ Ich erkenne diese Stimme sofort. Aber alles, was ich dagegen tue, ist, mich auf die Technik zu konzentrieren. Diesmal werde ich mich nicht ablenken lassen. Bogen anlegen, zielen, Sehne spannen, loslassen. Ich weiß genau, was ich tun muss. Aber wieso mache ich es dann nicht? Wieso lasse ich den Bogen wieder sinken? Genau, weil Daniel es immer wieder fertig bringt, exakt das zu sagen, was mich am meisten beschäftigt. Kann der Typ Gedanken lesen oder so?

„Woher willst du das wissen?“, blaffe ich ihn an.

„Das sieht jede gehirnamputierte Amöbe!“

„Dieser Spruch ist so was von lahm!“, spotte ich nur und bringe den Bogen wieder in Position. Fast alle anderen um uns herum sind schon so weit, dass sie bei den schwierigeren Schießbahnen üben können. Ich spanne die Sehne und ehe Daniel nur ein weiteres Wort sagen kann, lasse ich den Pfeil los.

„Wenn du auch nur die Scheibe triffst, Laura Wood, dann fresse ich meinen eigenen Pullover!“, raunt Daniel mir just in dem Moment zu, in dem ich den Pfeil loslasse.

Gespannt beobachte ich den Flug des Pfeiles und erwarte fast, dass er wieder einen Meter neben der Scheibe einschlägt. Doch zu unserer großen Überraschung treffe ich in den zweiten Ring von innen!

„Bereite dich schon Mal auf dein Festmahl vor!“, triumphiere ich grinsend und seine Augen verengen sich zu Schlitzen.

„Das war sehr gut, Laura!“, ruft James mir zu, während ich schon über die Absperrung klettere, um meinen Pfeil zu holen. „Du darfst nun auch zu den anderen gehen.“ Er deutet ungenau auf eine breite Holztür, die wahrscheinlich zu einer weiteren Halle führt. Der ganze Raum ist fast komplett leer, außer meiner Gruppe.

Als ich meinen Pfeil heraus ziehe, und mich danach umdrehe, ist Daniel verschwunden. Welch Überraschung! Immerhin habe ich jetzt etwas, mit dem ich ihn aufziehen kann und irgendwie gibt mir das ein bisschen mehr Selbstbewusstsein.

Ich durchquere den Raum und öffne die Türe, auf die James gezeigt hat. An vier Schießständen stehen die anderen in Gruppen und am letzten kann ich Daniel gerade noch so erkennen. Jetzt sind die Zielscheiben wesentlich weiter von der Absperrung entfernt als im Raum hinter mir. Ich schätze es auf etwa 15 Meter.

Ich stelle mich einfach an den Schießstand, an dem Daniel bereits steht und mache mich für meinen vierten Schuss fertig. Der Treffer hat mir Mut und Selbstvertrauen gegeben und außerdem Motivation, es diesmal besser zu machen. Und ich werde mich auch nicht mehr von Daniel ablenken lassen!

- - -

Den restlichen Tag verbringe ich damit, Pfeile in Zielscheiben zu versenken und mich zu freuen, wenn ich getroffen habe. Und das geschieht immer häufiger. Ich sehe mit Genugtuung Daniels verkrampftes Gesicht, wenn ich den zweiten Ring von innen treffe. Wenigstens hat er jetzt keine guten Sprüche mehr auf Lager, um mich abzulenken, was ihn anscheinend noch wütender macht.

Ein Pfeil nach dem anderen schlägt in der schwarzen Mitte ein und dann geschieht etwas, das ich am Morgen nie erwartet hätte: Es macht mir Spaß! Es macht mir tatsächlich Spaß, zu schießen, es so gut zu machen wie ich nur kann und dafür Lob einzuholen.

Nach langer Übungszeit erlaubt James es mir, mit ein paar anderen nach draußen zu gehen, wo wir an lebensgroßen Puppen von Tieren üben können. Wir sind nicht viele und ich bin das einzige Mädchen zwischen Logan, Daniel und Carter. Jayden ist nicht dabei. Dabei hätte ich so gerne einmal mit ihm gesprochen!

Es ist wesentlich schwieriger, die Tierpuppen zu treffen, weil sie viel kleiner sind als die Scheiben in der Halle. Aber es macht trotzdem Spaß.

Daniel versucht nicht mehr allzu heftig, mich zu provozieren, doch wir diskutieren zwischendurch über den Flugzeugabsturz, was allerdings nicht sehr viel bringt, da er mir nicht viele Informationen gibt. Doch einmal sagt er etwas, das mich aufhören lässt: „Du musst bedenken, dass ich derjenige war, dem ihr eigentlich die Rettung verdankt. Ich hatte glücklicherweise noch ein funktionierendes Handy, mit dem ich einen Suchtrupp organisieren konnte. Im Grund habe ich euch gerettet.“ Sein Geschwalle lässt Galle in meinem Hals aufsteigen. Eigentlich widerspricht er sich selbst ein wenig. Ganz am Anfang hat er mich gefragt, wie lange ich bewusstlos draußen lag und auf Rettung gewartet habe. Es hat geklungen wie eine Provokation. Und jetzt lobt er sich selbst damit, den Suchtrupp ausgerufen zu haben.

WoodkissWhere stories live. Discover now