sechsundzwanzig

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"Mach die Augen zu." befehle ich Magnus, nachdem wir die Bibliothek betreten haben. Mit laut klopfendem Herzen schiebe ich ihn um die Regale herum, an die Stelle, wo ich ihn vor einigen Wochen hilflos vorgefunden habe. "Bereit?" flüstere ich in sein Ohr und als er nickt, atme ich tief ein und aus. "Du darfst gucken." sage ich.

Er öffnet seine Augen und sagt kein Wort. Stumm sieht er auf das Szenario, was sich ihm bietet und in seinem Gesicht kann ich keine Regung erkennen. Panik macht sich in mir breit und verstärkt sich nur, als ich in seinen Augen Tränen schimmern sehe. Schnell knie ich mich neben ihn.

"Oh Gott, Magnus. Das wollte ich nicht. Ich wollte dir eine Freude bereiten. Es ist zu viel oder?" Er sieht mich an. "Nein, ganz und gar nicht. Es ist großartig." flüstert er und skeptisch beäuge ich ihn. "Aber du siehst aus, als wolltest du weinen." erwidere ich und er lächelt. "Das liegt doch nur daran, dass ich gerührt bin. Sowas hat noch nie jemand für mich gemacht." Jetzt kehrt auch mein Lächeln zurück. "Darf ich also bitten?" frage ich und als er nickt, hebe ich ihn aus seinem Stuhl und setze ihn dann vorsichtig auf dem Boden ab.

"Ein Picknick mitten in der Bibliothek. Darauf muss man erstmal kommen." sagt er und ich zucke mit den Schultern. Ich habe mehrere Decken ausgebreitet, einige Kerzen aufgestellt und aus dem Radio spielt leise Musik. "Ist mal was anderes oder? Wenn, dann will ich dich mit etwas Besonderem überraschen. Weniger hast du nicht verdient."

Warum zum Geier sage ich denn sowas? Ich meine es genau so, aber will ich nicht verstehen, dass er nicht auf mich steht oder kann ich es nicht? "Alexander?" Er schnippt vor meinem Gesicht herum und ich realisiere, dass ich wohl abwesend war. "Entschuldige. Was hast du gesagt?" Er lächelt. "Ich habe etwas gefragt. Warum du das alles machst?"

Ich zucke mit den Schultern. "Sagte ich doch. Du hast es verdient." Er runzelt die Stirn. "Okay. Du, können wir über was reden, bevor wir essen?" Ich bekomme ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. "Warum hast du mir nicht gesagt, dass du auch auf Männer stehst?" platze ich heraus und er sieht mich mit offenem Mund an.

"Das kam unerwartet." sagt er und ich haue mir die Hand vor den Kopf. "Entschuldige, es geht mich nichts an, ich weiß." murmel ich und er greift nach meiner Hand. "Natürlich geht es dich was an. Eigentlich wollte ich es dir schon mehrmals sagen, aber du hast immer so vehement abgestritten, dass da etwas zwischen uns ist. Mal Hü und mal Hott. Einmal sagst du, du findest mich attraktiv und bekommst sogar eine Erektion und dann bestehst du wieder darauf, dass wir nur Freunde sind. Ich bin verwirrt." platzt er heraus.

"Ich...wir....also. Ich weiß nicht, was ich sagen soll." stotter ich. Er nickt. "Okay, du magst es, wenn man ehrlich das sagt, was man denkt oder?" Stumm nicke ich. "Alexander, ich mag dich sehr gerne und ja, ich sehe das hier als ein Date. Mein Herz rast nämlich in deiner Gegenwart und ich wäre am liebsten den ganzen Tag mit dir zusammen. Du bist fröhlich, liebenswert und absolut einzigartig. Du hast mein Leben total auf den Kopf gestellt, dich quasi in mein Herz geschlichen. Du siehst göttlich aus und immerzu möchte ich dich berühren und ich hab mir deine Lippen schon hunderte Male auf meinen vorgestellt und......."

Ich unterbreche seinen Redeschwall, in dem ich ganz sanft meinen Mund auf seinen lege. Wir sind beide bewegungslos, spüren den anderen und genießen das Gefühl. Erst nach einigen Sekunden beginne ich ihn langsam zu küssen und ich kann mein Glück gar nicht fassen, als er tatsächlich erwidert. Dieser Kuss ist unschuldig aber dennoch der schönste in meinem bisherigen Leben. Seine Lippen sind weich und voll, so süß und sanft zu meinen, dass ich unwillkürlich leise seufze.

Als wir uns voneinander lösen, lege ich meine Stirn an seine. "Und ich dachte, du magst mich nicht." flüstere ich. Leise lacht er. "Ich mag dich wahrscheinlich mehr, als du mich." haucht er. "Das glaube ich kaum." erwidere ich. "Ich mag dich so, so gerne aber ich hatte Angst, du weist mich ab." Er kichert.
"Dafür hättest du mich mal zu Wort kommen lassen müssen. Immer wenn es ernst wurde, bist du abgehauen." Ich nicke. "Da hast du Recht. Heißt das, ich hätte dich schon viel eher küssen können?" Er streicht mir kurz über die Wange. "Ich denke, der Zeitpunkt war perfekt."

Nach dem Essen, legen wir uns nebeneinander auf die Decke und halten uns an den Händen. "Warum?" fragt er plötzlich leise und ich setze mich auf. "Warum was?" will ich wissen. "Warum ich? Du könntest jeden haben? Was willst du mit einem Krüppel?" Ich beuge mich über ihn. "Nenn dich nicht so. Warum du, fragst du? Gegenfrage, warum ich? Ich bin mittellos, habe keine Ausbildung und lebe von der Hand in den Mund. Ohne Cat säße ich noch immer in der Baracke von Aldertree und würde vermutlich bald erfrieren. Meine Sachen passen in eine kleine Tasche und meine teuerste Anschaffung in den letzten Jahren war wahrscheinlich mein Wasserkocher für zehn Dollar. Was also willst du ausgerechnet mit mir?"

Er blinzelt heftig. "Heißt, zwei Katastrophen haben sich gefunden?" flüstert er und ich grinse. "Sieht so aus." Ich streiche ihm sanft über die Nase. "Darf ich nochmal?" frage ich und er nickt. "Ich bitte darum." sagt er heiser und erneut liegen meine Lippen auf seinen. Er schiebt eine Hand in meinen Nacken und zieht mich noch mehr an sich.

Mutig lasse ich meine Zunge über seine Unterlippe streifen und bin im Himmel, als er tatsächlich seine Lippen öffnet und seine Zunge mich empfängt. Sanft küssen wir uns, lernen den anderen kennen und genießen unseren Kuss. Synchron seufzen wir beide leise auf. Ich kann kaum genug von ihm bekommen und liebkose seinen Mund. "Hey." brummt er, als ich mich schließlich zurück ziehe. "Weiter machen." Lächelnd beuge ich mich wieder vor.

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