Chapter 2

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Something about you 
made me feel a Little 
more alive and far less lost
-The better man project

Christina

Am Nachmittag fahre ich zu Christian ins Tanzstudio, um mit ihm für die Profichallenge zu trainieren. Die Choreo, die wir uns vorgenommen haben, ist nicht gerade einfach aber durchaus zu schaffen. Vorausgesetzt ich würde mich endlich ein bisschen zusammenreißen und mich anständig von Christian führen lassen. Aber es ist einfach merkwürdig, nicht mehr mit Luca zu tanzen. Mittlerweile bin ich so auf seine Bewegungsabläufe eingestimmt, dass es mir unglaublich schwer fällt mich auf Christian einzulassen. Wenn ich mit Luca getanzt habe, kannte ich jede seiner Bewegungen im Voraus. Ich kannte seine Schwächen, seine Stärken, jeden Millimeter seines Körpers. Aber Christian ist mir völlig fremd, wir haben noch nie zusammen getanzt. Außerdem ist er größer und drahtiger gebaut als Luca und ich lande mehr als ein Mal auf dem Hintern, als wir die Figuren versuchen. Gerade üben wir einen Tango-Teil, bei dem ich mich seitlich in Christians Arme fallen lassen soll. Allerdings misslingt uns das Experiment schon beim ersten Versuch, denn seine Hände finden keinen Halt an meinem Körper und ich plumpse wie ein nasser Sack zu Boden, wobei ich ungünstig auf der Seite lande. Sofort schießt ein stechender Schmerz durch meine Hüfte und ich beiß mir so fest auf die Lippe, dass ich Blut schmecke. Fuck. Christian, der sofort neben mir in die Hocke geht, legt mir besorgt eine Hand auf den Arm. "Alles okay? Das sah ziemlich übel aus", fragt er mit gefurchter STirn und lässt den Blick über meinen Körper wandern. Zittrig atme ich aus. Weil mir der Aufprall ein wenig die Luft aus den Lungen gepresst hat, nicke ich bloß benommen und reibe mir die schmerzende Stelle. Zum Glück lässt der Schmerz schon langsam wieder nach. Es tut zwar ziemlich weh, aber es ist nicht unerträglich. "Tut mir leid, ich kann dich einfach nicht halten wenn du dich erst so spät fallen lässt", meint Christian gerade entschuldigend aber ich winke ab. "Schon gut, das war nicht deine Schuld. Ich bin heute einfach nicht ganz bei der Sache. Nächstes Mal mach ichs besser. Probieren wir es gleich nochmal?", schlage ich vor und sehe meinen Tanzpartner erwartungsvoll an. "Mir geht's gut, wirklich. Das wird ein blauer Fleck, nichts weiter", schiebe ich schnell hinterher, als ich Christians immer noch recht skeptischen Blick auffange. Wirklich überzeugt wirkt er zwar nicht, hilft mir dann aber seufzend auf die Beine und begibt sich wieder in die Ausgangsposition. Beim nächsten Versuch klappt es mit dem Fallen tatsächlich schon besser,  allerdings gebe ich ihm diesmal aus Reflex den falschen Arm und verpatze so die Drehung. Zwar schaffe ich es, den Fauxpas gut zu überspielen aber spätestens als dann auch noch das Summen meines Handys durch den Saal klingt, ist es endgültig vorbei mit meiner Konzentration. Mehr schlecht als recht tanze ich die Schritte durch, aber ich merke selbst wie unsauber meine Bewegungen sind. Zwar versuche ich wirklich, den eingehenden Anruf zu ignorieren aber als das Klingeln auch nach einer Minute noch nicht verstummt, werfe ich doch unauffällig einen Blick zum Telefon. Zumindest dachte ich, dass es unauffällig wäre. "Okay, so geht das nicht weiter." Mitten in der Figur löst Christian sich auf einmal von mir, was mich in meiner Unachtsamkeit so überrascht, dass ich ein paar Schritte zur Seite stolpere, weil mir plötzlich der Halt fehlt. Verdutzt blicke ich zu Christian hoch, aber der schüttelt nur lachend den Kopf. "Jetzt hau schon ab und meld dich bei Luca, das ist ja nicht mehr auszuhalten." Mein Zögern dauert nur ein paar Sekunden, dann habe ich mir schon mein Handy geschnappt und bin aus dem Studio verschwunden. Draußen wähle ich sofort Lucas Nummer und warte ungeduldig, bis er endlich abnimmt. Ich will ihn gerade fröhlich begrüßen, als das Handy einen dumpfen Ton von sich gibt, der mir unsanft mitteilt, das Luca mich aus der Leitung geworfen hat. Völlig verdattert starre ich den schwarzen Bildschirm an. Was zum Teufel...? Während ich noch darüber nachdenke, was das soll, meldet sich mein Handy wieder zu Wort, diesmal mit einem eingehenden Videoanruf. Erleichtert stelle ich fest, dass Luca mich wohl doch nicht einfach so weggedrückt hat und wische schnell über den Touchscreen, um abzuheben. Keine zwei Sekunden später macht mein Herz einen Satz, als Lucas Gesicht den Bildschirm füllt. "Christina!", begrüßt er mich in seinem süßen Dialekt und strahlt mich so herzlich an, dass mir sofort warm wird. Gott, was ich dafür geben würde ihm jetzt in die Arme springen zu können. Aber weil das nun mal gerade nicht drin ist, muss ein einfaches "Hey" ausreichen. "Ich dachte schon du willst nicht mehr mit mir reden, weil du einfach aufgelegt hast", meine ich gespielt vorwurfsvoll und Luca verzieht entschuldigend das Gesicht. "Tut mir leid, aber ich musste einfach mal wieder dein Gesicht sehen." Er grinst schief. "Auch wenn du grade aussiehst als hätte man dich durch den Fleischwolf gedreht." 
"Na vielen Dank auch, Mr. Gentleman. Das will man als Frau doch hören", entgegne ich sarkastisch, werfe aber trotzdem einen Blick zur Eingangstür, in deren Glasscheibe sich meine Silhouette spiegelt. Erschrocken stelle ich fest, dass ich tatsächlich ziemlich schlimm aussehe. Meine Haare kleben mir verschwitzt an der Stirn, der Pferdeschwanz, den ich mir vor dem Training gemacht habe, hält auch nur noch aus Gefälligkeit und ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Gesicht vor Anstrengung aussieht wie ein Streuselkuchen. Entnervt stöhne ich auf und versuche mit einer Hand meine Haare zumindest so hinzurichten, dass ich nicht mehr einer Vogelscheuche ähnle. "Harter Trainingstag?", fragt Luca mitfühlend und ich nicke seufzend. "Irgendwie klappt das alles nicht so richtig. Die Choreo ist der Wahnsinn, aber so wie ich momentan tanze gewinnen wir bei der Challenge keinen Blumentopf." 
"So ein Stuss." Überzeugt schüttelt Luca den Kopf. "Du hast eben einfach mal einen schlechten Tag, das heißt doch nicht, dass du das nicht hinkriegst." 
"Du hast ja recht. Es ist nur gerade alles etwas frustrierend", erkläre ich und schiebe schmollend die Unterlippe nach vorne. "Ich wäre viel lieber bei dir in der Schweiz. Aber nein, stattdessen darf ich mir jetzt in einem stickigen Tanzsaal die Trainingsstunden um die Ohren schlagen und für was? Das Ganze klappt ja nicht mal." Luca lacht leise. "Christina Luft völlig verzweifelt und das ausnahmsweise mal nicht wegen mir. Dass ich das nochmal erleben darf." 
"Ja ja, lach du nur. Du blamierst dich am Freitag ja auch nicht vor einem Millionenpublikum, weil du irgendeinen Mist tanzt." Bei meinen Worten runzelt Luca die Stirn. "Sag mal, was soll denn das auf einmal? Wo ist denn meine knallharte Trainerin hin, die mich bis ins Finale gepeitscht hat? Aufgeben ist nicht drin, schon vergessen?", erinnert er mich an das Mantra, das ich ihm immer eingebläut habe, wenn er schlapp machen wollte. "Bis Freitag habt ihr das bestimmt drauf, ich kenn doch meine Christina." Obwohl das Thema mir eigentlich wirklich schwer im Magen liegt, kann ich nicht anders als zu lächeln. Fragt mich nicht wie er das hinbekommt, aber irgendwie schafft Luca es jedes Mal aufs Neue mich wieder aufzumuntern. "Schaust du mir am Freitag zu?", frage ich jetzt gespannt, aber Luca schüttelt bedauernd den Kopf. "Ich befürchte nicht. Ich versuche es auf jeden Fall aber mein Auftritt hat sich ein wenig nach hinten verschoben und ich trete genau dann auf, wenn du dran bist." Sofort bekommt mein Lächeln einen kleinen Knacks. "Schade." 
"Aber ich schau es mir gleich an, wenn ich von der Bühne runter bin", verspricht er mir. Im Hintergrund ertönt eine Stimme, vermutlich die seines Bruders und er dreht kurz den Kopf zur Seite, um ihm etwas zuzurufen, bevor er mich wieder ansieht. "Sorry, aber ich muss weiter. Cyril reißt mir sonst den Kopf ab." Gespielt genervt verdreht er die Augen, was mich schon wieder zum Lachen bringt. "Na das wollen wir natürlich nicht, ohne Kopf bist du nur noch halb so attraktiv", entgegne ich keck und Luca presst sich theatralisch die Hand aufs Herz. "Und ich dachte du würdest mich so mögen wie ich bin." Ich schnaube bloß. "Du bist ein Spinner, weißt du das?" 
"Aber ich bin dein Spinner." 
"Okay, ich glaube du musst jetzt wirklich los. Und halt dich ein bisschen von der Sonne fern, ich befürchte die schlägt schon ein bisschen aufs Hirn. Sonst mutierst du noch zum Schnulzensänger", rate ich ihm lachend. "Alles klar, Frau Trainerin." Er macht eine Geste, als würde er salutieren und grinst mich nochmal an, bevor ich kopfschüttelnd auflege. Das Lächeln verlässt allerdings nicht mein Gesicht. So kitschig das klingt, insgeheim bin ich wirklich froh, dass er mein Spinner ist. 

Als ich zurück in den Tanzsaal komme, sitzt Christian an einem der Tische und kritzelt etwas auf den Notizblock, auf dem wir unsere Choreo aufgeschrieben haben. Beim Klang der sich schließenden Türe hebt er den Kopf und lächelt mich an. "Na, bist du jetzt besser drauf?" Zwar strecke ich ihm zur Antwort nur die Zunge raus, aber insgeheim weiß ich, dass er Recht hat. Das Telefonat mit Luca hat mich tatsächlich wieder ein bisschen beruhigt und ich fühle mich schon viel entspannter als noch vor ein paar Minuten. "Ich nehm das mal als ja", lacht Christian und rutscht ein Stück zur Seite, sodass ich mich neben ihm auf die Bank quetschen und einen Blick auf den Block werfen kann. Interessiert lese ich mir die Anmerkungen durch, die er beim letzten Teil unserer Choreo an den Rand geschrieben hat. "Ich dachte wir könnten das Ende ein wenig verändern. Vorausgesetzt es macht dir nichts aus, wenn die Schlusspose etwas intimer ausfällt als zu Anfang geplant. Mir kam die Idee vorhin als du raus bist und ich dachte sie passt besser zu der Message, die der Tanz rüberbringt", erklärt Christian, als ich den Blick wieder von der Choreo nehme. Er zeigt auf eine kleine - und ziemlich miserable - Zeichnung von zwei Strichmännchen, was wohl die Schlusspose darstellen soll. Obwohl ich mir die größte Mühe gebe, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Ich hab echt nichts gegen eine erotischere Schlusspose, aber ich fürchte du musst mir das live vorführen. Weil das da..." Ich tippe mit dem Zeigefinger auf die Zeichnung. "...sieht eher aus wie ein Wirrwarr aus Strichmännchen-Gliedmaßen als wie eine Tanzfigur." Zum Glück nimmt mir Christian meine Aussage nicht übel, stattdessen lacht er laut auf und betrachtet mit schiefgelegtem Kopf sein Werk. "Da hast du wohl Recht", stimmt er mir zu, bevor er mich von der Bank und auf die Tanzfläche schiebt, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Diesmal klappen die einzelnen Figuren viel besser und wir tanzen die Choreo bis zum Ende fast komplett fehlerfrei durch. Zum Schluss sitze ich schließlich auf dem Boden, die Hände hinter mir abgestützt und das Gesicht zur Decke gerichtet. Christian kniet neben mir und beugt sich über mich, seine Lippen nur Millimeter von meinen entfernt, während seine Hand sündhaft langsam an meinem Körper entlangfährt. Obwohl das eine der intimsten Schlussposen ist, mit der ich jemals eine Choreo abgeschlossen habe, ist mir die Position völlig gleichgültig. Denn während ich mit Luca wahrscheinlich schon längst die Fassung verloren hätte, ist es bei Christian eine Nähe, die rein der Situation geschuldet ist. Trotzdem kann ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als wir uns wieder voneinander lösen. Vielleicht ist es doch besser, dass Luca uns am Freitag nicht zusieht. 



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