Chapter 33

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No act of kindness, no matter
how small, is ever wasted.
– aesop

Christina

Das Wartezimmer ist brechend voll, als wir ein paar Minuten später die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses betreten und ich stöhne auf, als ich die ewige Schlange bei der Anmeldung sehe. Alleine der Weg vom Auto hierher war der Horror und mein Herz zieht sich zusammen wenn ich sehe, wie Luca bei jedem Schritt zusammenzuckt. Seine Hand ist mittlerweile dunkelblau angelaufen und ganz schön geschwollen und es ist nicht zu übersehen, dass er furchtbare Schmerzen hat. Da aber weder das eine noch das andere lebensgefährlich ist, stellen wir uns gezwungenermaßen hinter einen Mann mit zwei Krücken, um zu warten bis wir drankommen. Ungeduldig beobachte ich, wie die Dame an der Anmeldung ein Formular nach dem anderen ausfüllt. Wir warten und warten, aber irgendwie bewegt sich die Schlange keinen Meter. Ich wäge gerade ab, ob es funktionieren würde die Leute vor uns mit Lets Dance-Karten zu bestechen, als eine Schwester hinter der Theke hervortritt und direkt auf uns zusteuert. „Entschuldigen Sie? Sie können mit mir mitkommen, ich bringe sie zu einer anderen Anmeldung." Verwirrt blicke ich die junge Frau an, aber die lächelt mich nur freundlich an. Ohne länger zu überlegen greife ich nach Lucas gesunder Hand und wir folgen der Schwester zu einer zweiten Theke am anderen Ende der Notaufnahme. Wenn das hier einer Verwechslung geschuldet ist, wovon ich stark ausgehe, will ich lieber nicht riskieren, dass sie auffällt. „Sie können einfach hier Platz nehmen, meine Kollegin kommt gleich und hilft Ihnen bei der Anmeldung", informiert die Schwester uns, bevor sie in einem der Behandlungszimmer verschwindet. "Das ist wohl der Promibonus", versucht Luca zu scherzen, während er probiert sich auf den Stuhl zu setzen, ohne die Hand zu bewegen. Zum Glück lockert das die Stimmung etwas auf und ich grinse ihn an. "Bild dir bloß nichts darauf ein, Mr. Superstar. Die kennen dich hier wahrscheinlich nicht mal, schließlich sind wir nicht in der Schweiz." Luca blickt mich empört an. "Ey, nicht frech werden, Fräulein. Ich hab auch in Deutschland sehr viele Fans!" Er rutscht das Eispack auf seiner Hand zurecht und fügt ein bisschen ernster hinzu: "Außerdem, wieso sollten die uns sonst durchlassen?" Schulterzuckend blicke ich mich um. Ehrlich gesagt hab ich auch keinen blassen Schimmer, aber an Luca wird es wohl nicht gelegen haben. Er mag zwar ganz bekannt sein, aber so bekannt dann auch wieder nicht. Wir versinken in einvernehmlichem Schweigen, nur noch der typische Lärm der Notaufnahme ist zu hören, aber es fällt mir schwer ruhig auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Am liebsten wäre ich auf und ab gelaufen oder hätte mich sonst irgendwie bewegt aber da tanzen in der Notaufnahme etwas blöd rüberkommt und ich Luca damit auch nicht helfen würde, lasse ich es lieber bleiben. Als hätte er meine Unruhe bemerkt, höre ich Lucas Stuhl über den Boden kratzen, als er ein Stück näher zu mir rutscht. "Hey, das wird schon wieder. Ist doch halb so schlimm", versucht Luca mich zu beruhigen und legt behutsam seine gesunde Hand auf meinen Oberschenkel. Sein Daumen fährt sanft über den Stoff dort und obwohl ich eine Jeans trage, kann ich die Wärme seines Körpers bis auf die Haut spüren. "Halb so schlimm ist gut", murmle ich und werfe einen schnellen Blick auf seine verletzte Hand. Mittlerweile ist die so sehr angeschwollen, dass er weder den Zeige- noch den Mittelfinger bewegen kann. "Deine Finger sehen aus wie ziemlich übel angemalte Würstchen. Was ist, wenn was gebrochen ist? Du hast Auftritte, du musst doch Gitarre spielen können!" Verzweifelt werfe ich die Hände in die Luft. Vor lauter Aufregung stehen mir schon wieder die Tränen in den Augen. "Christina, beruhig dich", meint Luca nachdrücklich, aber mit einem amüsierten Unterton in der Stimme. "Dann singe ich eben einfach so. Ich hab ne super Band und ob dus glaubst oder nicht, die können auch Gitarre spielen", meint er zwinkernd, bevor er wieder ernst wird. "Das ist nicht deine Schuld, das weißt du oder? Dass ich Evgeny eine verpasst habe - was übrigens ziemlich cool war - war ganz allein meine Entscheidung und außerdem längst überfällig." Er wirft einen wehleidigen Blick auf seine Hand. "Konnte ja auch keiner ahnen, dass es so weh tut, jemandem die Nase zu brechen." Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich schlagen oder küssen soll für seine Aktion Evgeny eine runterzuhauen, wissen wir beide, dass er es jederzeit wieder machen würde. Also spare ich mir den Vortrag und lege stattdessen meine Hand auf seine und drücke leicht zu. "Danke", flüstere ich leise und Luca wirft mir einen Blick zu, der mein Herz aussetzen lässt. "Immer." Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, öffnet sich eine Tür und endlich kommt eine Mitarbeiterin auf uns zu. Ich stutze, als die ältere Dame sich uns gegenüber hinter der Theke niederlässt und uns freundlich anlächelt. Auch Luca neben mir wirkt ein wenig aus der Bahn geworfen, was nicht nur mit dem Alter unseres Gegenübers zusammenhängt sondern vor allem mit dem Fakt, dass ich mir zu hundert Prozent sicher bin, dass ich die Frau schon mal irgendwo getroffen habe. Angestrengt versuche ich das Gesicht irgendeinem Namen zuzuordnen aber ich komme einfach nicht darauf. "Ist viel angenehmer hier zu warten, als in der Schlange zu stehen, finden Sie nicht?", sagt sie, während sie auf einen Knopf an ihrem Computer drückt, vermutlich um ihn hochzufahren. Luca und ich nicken synchron, weil wir nicht genau wissen was wir sonst antworten sollen. Der Blick der Dame fällt auf das Eispack in Lucas Hand, das mittlerweile bestimmt nicht mehr kalt ist und sie macht ein mitleidiges Gesicht. „Zeigen Sie mal her Schätzchen. Ich bin zwar kein Arzt aber mein Manfred hat auch gerne dem aufmüpfigen Franz von nebenan gezeigt, dass er seine Gelüste im Zaum halten soll." Ohne auf Lucas Antwort zu warten greift sie über die Tischplatte nach seiner Hand und betrachtet sie mit kritischem Blick. Dann schüttelt sie den Kopf, als wäre sie von dem Anblick enttäuscht. „Sie sollten wirklich lieber beim Tanzen bleiben mein Lieber, denn im Schläge verteilen haben Sie offensichtlich kein Talent." Auf einmal fällt auch bei mir der Groschen. "Oh mein Gott, sie sind die Dame aus dem Park!", rufe ich, bevor ich mich stoppen kann und entlocke ihr damit ein kratziges aber von Herzen kommendes Lachen. "Nenn mich doch Else, Kindchen." Jetzt nehme ich sie erst richtig wahr. Die weißen Haare, der etwas gebrechliche Gang, das liebevolle Lächeln. Klar, das ist die Dame mit der Luca vor ein paar Monaten im Park getanzt hat. "Aber...was machen Sie hier?" Sie sind doch viel zu alt, um..." Verlegen breche ich ab aber Else lacht nur. "Was, zu alt um zu arbeiten meinst du? Herzchen, ich bin 80 aber nicht tot. Und mit ein paar Möchtegern-Schlägern komme ich doch noch sehr gut klar", belehrt sie mich mit einem Seitenblick auf Luca, der beschämt den Kopf senkt, sich ein Grinsen aber nicht verkneifen kann. Dann beugt sie sich über den Tresen zu uns herüber und flüstert, als wäre es ein großes Geheimnis: "Und außerdem lerne ich hier eine Menge sehr attraktiver Witwer kennen." Wir sehen sie einen Moment lang fassungslos an. Gleich darauf brechen wir alle drei in Gelächter aus. 

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