Chapter 7

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You are my most 
beautiful someone 
– s.s.

Christina 

Nach knappen fünf Stunden Zugfahrt in einem Abteil mit nicht funktionierender Klimaanlage bin ich völlig fertig und hätte am liebsten den Boden geküsst, als wir in Berlin endlich aus dem Zug steigen. Mittlerweile ist es fast Mittag und auf dem Bahnsteig tummeln sich genauso viele Leute wie ich erwartet habe. Brav stehen sie alle nebeneinander, die Gesichter hinter bunten Masken versteckt und warten auf ihre Züge. Trotzdem dauert es nicht lange, bis wir Indias schwarze Lockenmähne zwischen den wartenden Menschen ausmachen. Das liegt wohl auch daran, dass sie laut aufquietscht als sie uns entdeckt und sie fröhlich auf uns zu gelaufen kommt. "Da seit ihr ja endlich!", begrüßt sie uns sobald sie uns erreicht hat und zieht erst mich, dann Luca in eine enge Umarmung. "Ich dachte schon, ich müsste euch einen Kopf kürzer machen." Beim Gedanken an unseren chaosreichen Vormittag verziehe ich das Gesicht. "Das wäre auch beinahe nötig gewesen. Wir haben nämlich nicht nur total verschlafen, sondern unser lieber Luca hier kann auch offensichtlich keine Zahlen lesen und hat uns erstmal in den falschen Zug gelotst. Beinahe wären wir nach Prag und nicht nach Berlin gefahren", erzähle ich ihr und stupse Luca scherzhaft mit der Schulter an. "Hey, dir ist es auch erst aufgefallen, als wir schon drinnen waren", empört er sich, sodass India schnell lachend dazwischen geht. "Okay ihr Zwei, jetzt seit ihr ja da." Sie klatscht motiviert in die Hände. "Was haltet ihr davon, wenn wir erstmal was Essen gehen?" Ich glaube ich brauche nicht zu erwähnen, dass Luca von der Idee hellauf begeistert ist. Aber zu seiner Verteidigung: Wir haben auch den ganzen Vormittag nichts gegessen, schließlich hatten wir heute morgen nicht mal mehr Zeit einen Kaffee zu besorgen, geschweige denn etwas zu frühstücken. 

Eine halbe Stunde später haben wir also unser Gepäck in Indias Auto verstaut und sitzen zusammen mit Cyril, Lucas Bruder, und den vier restlichen Teammitgliedern in einem hübschen Restaurant mitten in Berlin. Weil das Wetter so schön sonnig ist, haben wir uns einen Tisch direkt an der großen Fensterfront besorgt, wo wir jetzt auf unser Essen warten. Die Umgebung ist wirklich wundervoll hier. Obwohl Berlin nicht unbedingt für seine Natur bekannt ist, hat man von unserem Platz aus einen schönen Ausblick auf einen kleinen Park, in dem es sogar einen kleinen See gibt. Das Innere des Restaurants ist in einem rustikalen Stil gehalten, mit grob gearbeiteten Holztischen, Geweihen an den Wänden und hübscher Blumendeko auf den Tischen und ich fühle mich sofort wohl dort. Während ich immer noch begeistert umsehe, lehnt India sich über den Tisch zu mir und zupft lächelnd an meinen Haaren. "Deine neue Frisur sieht wirklich toll aus," sagt sie. Cyril, der mir direkt gegenüber sitzt, nickt bestätigend. "Find ich auch. Die kurzen Haare stehen dir." Gerührt von dem netten Kompliment bedanke ich mich und senke den Kopf, als ich merke, dass meine Wangen warm werden. Normalerweise bin ich nicht so schüchtern, aber die Anwesenheit von Lucas Bruder macht mich nervös. Dass er so ungezwungen und nett mit mir umgeht, rührt mich zwar, vertreibt aber nicht das dumpfe Gefühl des schlechten Gewissens in meinem Magen. Als ich nach einer Weile wieder aufschaue begegne ich Lucas Blick. Er hat seinen Kopf zu mir gedreht und ein liebevolles Lächeln ist auf seinem Gesicht zu erkennen. "Du siehst wirklich toll aus", sagt er leise und streicht mir sanft mit der Hand eine - jetzt kurze - Haarsträhne hinters Ohr, was mir augenblicklich wieder die Wärme durch den Körper schickt. Gerade als er sich zu mir beugen will, unterbricht uns ein leises "Aww" von India. Die hat bei unserem Anblick das Kinn in die Hand gestützt und lächelt uns verträumt an. "Ihr zwei seit so süß", schwärmt sie. Cyril neben ihr lacht leise. "Also normalerweise bin ich ja nicht so der Romantiker, aber da kann ich India nur zustimmen. Ich meine, am Anfang war ich mir ja echt unsicher, aber wenn ich euch jetzt so sehe, kann ich schon nachvollziehen, wieso du Michéle in die Wüste geschickt hast." Ich zucke zusammen. Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie Luca seinem Bruder einen bösen Blick zuwirft, aber das kriege ich gar nicht richtig mit. Auf einmal kommt mir der Raum viel zu klein vor und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. "Sorry, ich glaub ich muss mal kurz an die frische Luft", entschuldige ich mich hastig und stehe so schwungvoll auf, dass mein Stuhl gefährlich nach hinten kippt. Eilig stürzte ich auf die Tür zu. Erst als ich draußen vor dem Restaurant im Schatten stehe, schaffe ich es, wieder tief durchzuatmen. Lange bin ich allerdings nicht alleine, des es dauert keine fünf Minuten bis ich leise Schritte hinter mir vernehme und ein paar Sekunden später spüre ich Lucas Anwesenheit hinter mir. "Hey, ist alles okay bei dir?", fragt er leise, während er sanft seine Arme um meine Mitte schlingt. Seufzend lasse ich mich mit dem Rücken gegen seine Brust sinken und atme tief seinen typischen Luca-Geruch ein. Sofort beruhigt sich mein Herz wieder ein bisschen. "Ich...ich weiß nicht", antworte ich reichlich spät. "Es waren mir einfach grade zu viele Leute da drinnen." Ich werfe einen kurzen Blick zum Fenster, durch das ich die anderen am Tisch sitzen sehen kann. Cyril scheint gerade einen Witz gerissen zu haben, denn India und die anderen lachen herzlich über etwas. "Ist es wegen Cyril?", fragt Luca langsam und trifft damit mehr oder weniger den Nagel auf den Kopf. Seufzend drehe ich mich zu ihm um. "Meinst du es ist okay für deinen Bruder, wenn wir so..." Ich suche nach den richtigen Worten. "...vertraut sind?" Luca runzelt die Stirn. "Wieso sollte es denn nicht okay sein?" Hilflos zucke ich die Schultern. "Naja, ich mein ja nur. Du hast dich schließlich gerade erst getrennt. Ich fühle mich einfach ein bisschen schlecht, dass ich dich ihr weggenommen habe." Eine kurze Stille entsteht und ich kann mir gut vorstellen, wie Luca hinter mir die Stirn runzelt. "Wie kommst du denn darauf?" Unbehaglich beiße ich mir auf die Lippe, sage aber nichts. Das war jetzt eigentlich auch nicht das Gespräch, das ich für unseren Berlin-Aufenthalt geplant hatte. "Ist es wegen dem was Michéle damals zur dir gesagt hat? Oder weil Cyril meinte, dass ich sie durch dich ersetzt habe?", fragt Luca jetzt und ich kann nicht verhindern, dass ich leicht zusammenzucke. Luca seufzt leise. "Christina..."
"Vielleicht", gestehe ich schließlich. "Ich will mich einfach nicht in dein Leben drängen. Das hier ist dein Team. Das sind deine Freunde und deine Familie." Hilflos zucke ich die Schultern und blicke zu Boden. "Ich komme mir einfach ein bisschen wie ein Eindringling vor." Luca zieht leicht an meinem Oberteil, bis ich mich schließlich zögernd in seinen Armen herumdrehe. Den Blick halte ich allerdings weiter auf meine weißen Chucks gerichtet. Ich brauche dringend wieder neue Schuhe, bevor meine alten auseinanderfallen. Lucas Haut auf meiner reißt mich zurück in die Gegenwart. "Hey, sieh mich an", bittet er mich leise. Er legt seinen Finger unter mein Kinn und drückt es sanft nach oben, sodass ich gezwungen bin ihm in die Augen zu sehen. Ohne ein weiteres Wort umfasst er mein Gesicht mit seinen Händen und zieht mich zu sich, bis sein Mund federleicht über meinem schwebt. Er streicht mit seinen Lippen ganz leicht über meine, eine kaum spürbare Berührung, bevor er mich behutsam küsst. Viel zu schnell löst er sich wieder von mir und schiebt mich ein Stück von sich, sodass er mich richtig anschauen kann. "Jetzt hör mir mal gut zu, okay? Ich will dich hier haben. Ja, die Trennung von Michéle ist noch nicht lang her, aber das geht weder meinen Bruder noch irgendwen sonst etwas an. Und mal ganz davon abgesehen mag Cyril dich." Ein zaghaftes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. "Meinst du?" "Aber hallo. Falls sein Kompliment nicht offensichtlich genug war: Er hat freiwillig die Grissini mit dir geteilt und das heißt in der Familie Hänni wirklich was. Normalerweise kriegt da nämlich sonst niemand was davon ab." Trotz des unangenehmen Gesprächsthemas kann ich nicht anders als kurz aufzulachen. Da mag was dran sein. Luca greift feierlich nach meiner Hand. "Und jetzt komm, lass uns wieder reingehen, okay? Sonst verpassen wir noch unser Essen!" Kopfschüttelnd lasse ich mich von ihm zurück zum Restaurant ziehen. Schließlich will ich auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, dass Luca mir verhungert. Außerdem wird das Training nachher nicht angenehm, wenn unser Herr Hänni nicht satt und zufrieden ist und daran will ich noch weniger Schuld sein. 






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