Chapter 12

1.2K 37 17
                                    

I came. I saw. I made it awkward.

Christina

Während der Fahrt nach Thun, einer kleinen Stadt in der Nähe von Bern, steht mein Mund fast durchgehend offen. Dass die Schweiz wunderschön ist, weiß ich schon seit wir das erste Mal hier trainiert haben aber das ist noch mal eine ganz andere Liga. Das Haus liegt etwas außerhalb des Orts, auf einer kleinen Anhöhe, von der man einen wahnsinnigen Blick auf die schier unendlichen Wiesen und Felder drum herum hat. Die Luft, die ins Auto weht, ist frisch und riecht nach Land und Heu und ich strecke den Kopf noch weiter aus dem Fenster, um tief einzuatmen. Es ist einfach toll. Ich bin so mit Staunen beschäftigt, dass ich gar nicht bemerke wie der Wagen anhält. Erst als Luca aussteigt und mir die Tür öffnet, realisiere ich, dass wir schon da sind. Schnell schnalle ich mich ab und rutsche aus dem Auto. Wir stehen auf einem großen Vorplatz, der an einen riesigen Garten grenzt und von lauter bunten Blumenbeeten umsäumt ist. Aber nicht nur der Außenbereich ist riesig, auch das Haus das darauf steht, übertrifft meine Erwartungen. Es hat zwei Stockwerke und soweit ich das von hier aus erkennen kann, einen großen Balkon, der sich über die gesamte Südseite des Hauses erstreckt. Darunter führt eine kleine Treppe auf eine hübsche Terrasse aus hellem Holz, auf der eine kleine Sitzecke und ein Sonnenschirm stehen. Zusammen mit den blühenden Büschen, die das Grundstück umsäumen und den bunten Blumenkästen vor den Fenstern könnte das Ganze genauso gut aus einem Werbespot stammen. „Komm", meint Luca, der mittlerweile die Geschenkbox aus dem Kofferraum geholt hat, und greift nach meiner Hand. Zusammen mit Luca folge ich seinen Eltern zur Haustür. Als ich über die Türschwelle trete, umhüllt mich sofort ein warmer Geruch, der mich auf merkwürdige Weise an Zuhause erinnert. Es riecht nach frischen Blumen aber auch ein bisschen nach Luca und ich fühle mich augenblicklich wohl. Das Gefühl verschwindet allerdings so schnell wieder wie es gekommen ist und wird stattdessen von einer durchdringenden Übelkeit ersetzt. Noch bevor die Haustür hinter uns ins Schloss fällt, tritt eine junge Frau in mein Blickfeld. Ohne zweimal hinschauen zu müssen, weiß ich, dass das Lucas Schwester Annina sein muss. Obwohl sie jünger ist als Luca und ihre Haare schwarz und nicht braun sind, sieht man sofort, dass die beiden verwandt sind. Sie sieht ein wenig aus wie Lucas weibliches Ebenbild: dieselben braunen Augen, dieselben vollen Lippen, dieselbe scharfe Kieferpartie. Ich bin so nervös, dass ich mein Herz in meiner Brust hämmern spüre und meine Hände eiskalt sind. "Hi", bringe ich hervor und strecke Lucas Schwester mit zitternden Fingern die Hand entgegen. "Ich bin Christina." Schnell wird mir ein Unterschied zwischen Luca und Annina klar. Während seine Augen eine unglaubliche Wärme ausstrahlen, sind Anninas Augen eiskalt. Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, der mir das Herz in die Hose rutschen lässt und wendet mir dann demonstrativ die Schulter zu, wobei sie meine ausgestreckte Hand gekonnt ignoriert.  "Annina", zischt Luca neben mir und nickt auffordernd in meine Richtung, aber sie starrt nur stur zurück, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Obwohl sich mein Magen bei der Reaktion seiner Schwester verknotet, lege ich ihm eine Hand auf den Arm und zwinge mich zu einem lockeren Lächeln. „Schon gut, Luca, lass sie." Einen Moment lang scheint er zu überlegen, lässt das Thema aber dann glücklicherweise fallen. Stattdessen greift er nach meiner Hand und zieht mich weiter ins Wohnzimmer, allerdings nicht ohne seiner Schwester nochmal einen enttäuschten Blick zuzuwerfen. Im nächsten Moment bleibt er so ruckartig stehen, dass ich prompt mit voller Wucht in ihn hineinlaufe und mich an seinem Arm festklammern muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. "Luca, was...", setze ich an, doch die Frage erübrigt sich schnell, als ich an ihm vorbeischaue. Mir dreht sich der Magen um, als mein Blick auf die blonde Frau fällt, die uns mit großen Augen anschaut. Scheinbar war sie gerade dabei den Tisch zu decken, denn in den Händen hält sie immer noch zwei Teller, die sie jetzt langsam abstellt. Das kann doch echt nicht wahr sein. "Michéle." Scheinbar wusste Luca genauso wenig wie ich, dass seine Exfreundin hier sein würde, denn er klingt genauso überrascht wie ich mich fühle. "Nichts für ungut, aber was machst du hier?", dringt Lucas Stimme zu mir durch. Michéle öffnet den Mund, aber Annina, die uns ins Wohnzimmer gefolgt ist, kommt ihr zuvor. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck tritt sie neben das blonde Mädchen und hakt sich demonstrativ bei ihr unter. "Michéle ist hier, weil sie zur Familie gehört." Der Blick, den sie mir als nächstes zuwirft, lässt keinen Zweifel daran offen, dass das in ihren Augen auf mich nicht zutrifft. Ich spüre, wie Luca sich neben mir verspannt. Er will etwas erwidern, das spüre ich, aber ehe er auch nur ein Wort herausbringt, poltern Lucas Eltern mit unseren Koffern im Schlepptau herein. Ohne die angespannte Stimmung überhaupt zu bemerken, ziehen sie unser Gepäck ins Wohnzimmer und Marianne beginnt zu strahlen, als sie den unerwarteten Gast entdeckt. "Michéle! Wie schön, mit dir hab ich ja überhaupt nicht gerechnet!", begrüßt sie Lucas Exfreundin und zieht sie prompt in eine Umarmung. Dann dreht sie sich zu mir herum, greift wieder nach meinem Koffer und blickt mich auffordernd an. "Komm Christina, ich zeig dir mal dein Zimmer", schlägt sie vor und ich nicke hastig. Alles ist mir lieber als noch länger hier im Wohnzimmer bleiben zu müssen. Also lasse ich Lucas Hand los und folge seiner Mutter so schnell wie möglich aus dem Raum und in einen kleinen Flur, von dem mehrere Türen und eine breite Holztreppe abgehen. Für einen Moment vergesse ich sogar Michéle und Annina, so gefesselt bin ich von meiner Umgebung. Das Haus ist von innen genauso schön wie von außen und ich schaue mich staunend um, während Lucas Mutter mich durch einen kleinen Flur führt. Das ganze Haus ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet und überall kann ich kleine Andenken an Luca und seine Schwester finden. Als Marianne bemerkt, dass ich mitten auf der Treppe stehen geblieben bin und die Bilder an den Wänden betrachte, dreht sie sich um und kommt sie zu mir zurück, um ebenfalls einen Blick auf das Foto zu werfen. Es zeigt einen kleinen Jungen, von dem ich mal ausgehe, dass es Luca ist, der stolz an einem glänzenden Schlagzeug sitzt und breit in die Kamera grinst. Seine Mutter streicht mit dem Daumen vorsichtig über das Glas und lächelt belustigt, als sie sich an den Tag zurückerinnert. „Da war er 5 und hat gerade angefangen Schlagzeug zu spielen", erzählt sie mir mit einem breiten Lächeln, das dem von Luca so ähnlich ist, das mir kurz der Atemstockt. "Die Nachbarn sind schier verrückt geworden und irgendwann haben sie angefangen ihm jeden Tag ein paar Franken zu geben, damit er nicht bei offenem Fenster übt. Damit hat er sich ne ganze Weile lang sein Taschengeld verdient." Bei ihrer Erzählung kann ich nicht anders als leise aufzulachen. Luca war wohl schon damals ein ganz schöner Frechdachs gewesen. Nachdem mir seine Mutter noch ein paar andere lustige Geschichten erzählt hat, bringt sie mich in den ersten Stock und zeigt mir ein hübsches Gästezimmer am Ende eines langen Flurs. Begeistert sehe ich mich um. Durch die große Fensterfront fällt helles Sonnenlicht in den Raum und ich bin sofort gefesselt von dem unglaublichen Ausblick, den man auf die Berge hat. Aber auch der Raum selbst ist schön eingerichtet. Man kann deutlich sehen, dass Lucas Eltern sich große Mühe gemacht haben, das Zimmer für ihre Gäste herzurichten. Auf dem Nachttisch steht eine Vase mit frischen Blumen und auf dem frisch bezogenen, breiten Bett liegen sogar ein paar kleine Süßigkeiten. "Hier kannst du schlafen. Oder auch nur deine Sachen abstellen, wie du magst", sagt Marianne, während sie meinen Koffer abstellt und sich zu mir umdreht. "Lucas Zimmer ist direkt gegenüber auf der anderen Seite des Gangs. Ich bezweifle nämlich, dass du viel Zeit in diesem Bett verbringen wirst", bemerkt sie und zwinkert mir zu, was mir sofort die Hitze in die Wangen treibt. Oh Gott, das ist glaub ich das unangenehmste Gespräch, das man mit der Mutter seines Freundes führen kann. „Ich lass dich mal alleine, dann kannst du in Ruhe auspacken." Mit einem letzten Lächeln macht sie kehrt und kurz darauf bin ich alleine. Stöhnend richte ich den Blick zur Decke und lasse mich rücklings auf das Bett fallen. Das Peinlichkeitslevel dieses Besuchs ist gerade sprunghaft angestiegen und in Anbetracht der anwesenden Personen in diesem Haushalt befürchte ich, dass das nicht die letzte unangenehme Situation gewesen ist. 

Magnetic SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt