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Wütend knalle ich die Zimmertür hinter mir zu. „Fuck!" schreie ich und fahre mir entnervt durch meine Haare. Zum Glück ist Colin nicht da, ich hätte jetzt so keine Lust darauf zu erklären, warum ich schon wieder völlig fertig mit den Nerven bin.

Nachdem ich schon wieder geduscht habe, nehme ich mein Cello und übe. Ich muss nicht üben, aber gerade ist Musik das Einzige, was mir Trost bringen kann. Ich schließe meine Augen und lasse den Bogen zart über die Saiten streichen. Ich denke zurück an den Abend, als ich Matthew zum ersten Mal sah und daran als er plötzlich heute früh wieder auftauchte.

Sein Lachen, seine Augen, seine Hände.. Gott, wie ich mir wünsche, ihn wieder zu sehen. Ich verspreche mir selbst, beim nächsten Mal meine Hormone unter Kontrolle zu behalten, einmal meinen Verstand einzusetzen und ihn zuerst nach seiner Nummer zu fragen.

Heute Nachmittag hat er mich vollkommen überrumpelt. Eigentlich habe ich ihn überrumpelt, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Zu groß war die Angst, dass er gleich wieder verschwindet und es vielleicht meine letzte Gelegenheit sein könnte, ihm nahe zu sein.

„Wow," macht Colin beeindruckt und klatscht in die Hände. Verwirrt sehe ich auf und stelle fest, dass es draußen bereits dunkel wird. Das passiert mir oft. Mit meinem Cello verfliegt die Zeit wie im Flug und ich habe in meinem Leben schon so manche Nacht durchgespielt, ohne es zu bemerken.
Ich lächele verlegen und beschließe in diesem Moment, meinem Mitbewohner nichts von meiner Begegnung in der Bibliothek zu sagen.

„Spartakus?" fragt er mich grinsend und ich überlege kurz. Könnte ich tatsächlich dreimal an einem Tag das Glück haben, Matthew zu begegnen? Nun, das könnte auch dreimal Pech bedeuten, weil er gleich wieder verschwindet, aber ich bin bereit, es zu riskieren. Ich nicke und stelle mein Instrument zur Seite.

„Aber du ziehst ein anderes T-Shirt an," weise ich Colin an.
„Wieso? Was stimmt denn mit dem nicht?" fragt er verwirrt und blickt an sich herunter.
„Darauf ist ein Wolf, das stimmt nicht damit."
„Na und?"
„Und es leuchtet im Dunkeln."
„Das ist cool."
„Ist es nicht. Nicht mehr seit 1998. Zieh was Einfarbiges an oder ich kenne dich nicht."
Beschwichtigend hebt er die Hände. „Alles klar, Alter."

Eine Stunde später dränge ich mich wieder einmal durch die Massen im ‚Spartakus'. Ich habe mich heute für ein silbergraues Hemd entschieden, mit dem ich hoffentlich noch mehr auffalle als sonst und Colin schleicht in einem olivgrünen T-Shirt hinter mir her. Zumindest ist es einfarbig.

An der Bar ordere ich einen Gin Tonic und versuche, nicht allzu verzweifelt zu wirken, während ich die Menschen praktisch abscsanne.
Mein Blick bleibt an einem roten Haarschopf hängen und bei genauerem Hinsehen fällt mir auf, dass auch dieser Dean wieder dort steht. Augenblicklich erhöht sich mein Puls. Wenn Carolina und Dean hier sind, ist Matthew vielleicht auch dabei.
Ich überlege kurz, zu ihnen herüber zu gehen, möchte aber auch nicht wie ein Stalker wirken und beschließe darum, noch kurz an der Bar zu bleiben, sie jedoch nicht aus den Augen zu lassen.

Drei Gin Tonic später bin ich mehr als gut dabei, was meinen Pegel betrifft und das ist vor allem meiner Frustration zu verdanken, dass Carolina und Dean offenbar allein hier sind. Kein Matthew in Sicht, ich könnte heulen.
Frustriert gehe ich auf die Tanzfläche und versuche hier, meine schlechte Laune zu verbessern. Ich kreise meine Hüften zum Rhythmus der Musik und genieße die anerkennenden Blicke einiger anderer Studenten und Studentinnen.

Vielleicht gönne ich mir heute etwas zur Ablenkung, denn allmählich schwindet meine Hoffnung, Matthew jemals wieder zu sehen. Vielleicht will er das auch einfach gar nicht. Gerade reibt sich eine kleine Brünette an mir und ich überlege, ob mir wohl heute nach einer Frau ist, als ich hinter mir ein überraschtes „Joshua?" höre.

Ich drehe mich von der Kleinen weg, die glücklicherweise sofort von Colin angetanzt wird, und drehe mich um. Und wieder steht er einfach da. Wuschelige Haare, volle Lippen und blaue Augen, die mich überrascht mustern.
„Oh, Matthew," kichere ich. „Wie schön, dass du auch hier bist."
Huch, ich bin etwas betrunken.

Er nimmt meine Hand und sofort kribbelt mein ganzer Arm. „Joshua, es tut mir so leid," ruft er über die laute Musik und ich grinse noch immer.
Er fasst mich an, schon wieder, singt es in meinem Kopf. Ehe er mir wieder davon läuft, ziehe ich ihn an mich und lege meine Hand in seinen Nacken.
„Hast du gleich wieder vor, mir davon zu laufen?" flüstere ich in sein Ohr und er legt seinen Arm um meine Taille.
„Nein," antwortet er und seine Lippen an meinem Ohr lösen einen heißen Schauer bei mir aus. „Mein Bruder brauchte meine Hilfe, darum musste ich so schnell weg. Es tut mir leid, Joshua."

Ich nicke und sehe erwartungsvoll auf seine Lippen. Er scheint meinen stillen Wunsch zu verstehen und küsst mich innig, mitten hier zwischen all den tanzenden Menschen. Ich versinke vollkommen in ihm, er schmeckt so unfassbar gut und mir wird fast schwindelig vor Glück.
Liebevoll streicht er mir über die Wange und blickt mir tief in die Augen.
„Joshua," sagt er und ich grinse ihn einfach nur breit an. Warum ist er plötzlich wieder so ernst? Heute Nachmittag hat er nur gelächelt. Ist etwas Schlimmes mit seinem Bruder?

Matthew nimmt meine Hand und zieht mich zur Bar, wo Carolina und Dean stehen.
„Habt ihr Gabriel gesehen?" ruft Matthew ihnen zu und beide zucken mit den Schultern. Er dreht sich wieder zu mir und nimmt mein Gesicht in seine Hände.
„Ich bin gleich zurück," sagt er und ich sehe ihn erschrocken an. „Ich gehe nicht wieder weg, versprochen! Bitte warte hier auf mich, ich muss dir jemanden vorstellen."
Ich ahne, dass es wohl dieser Gabriel sein muss, den er sucht und nicke resigniert über die Tatsache, dass er allen Ernstes schon wieder verschwinden will.

„Leute, ihr haltet Joshua fest, okay? Ich suche Gabriel und bin gleich wieder da," weist Matthew seine Freunde an, gibt mir einen liebevollen Kuss auf meine Lippen und verschwindet in der Menge.
Rotschopf und Blondie grinsen mich mit leuchtenden Augen an und ich frage mich, ob mit ihnen wohl alles okay ist.
Mir selbst scheint der Gin kombiniert mit der stickigen Luft und der Tatsache, dass Matthew mir einfach den Atem raubt, nicht zu bekommen, denn mir ist noch immer schwindelig.

Kurz darauf steht mein Gott wieder vor mir und starrt mich an. Offenbar hat er diesen Gabriel nicht finden können, denn er ist allein.
„Was machst du hier?" fragt er mich und strahlt mich förmlich an. Da ist ja wieder das hübsche Lächeln. Hatte er vorhin nicht ein dunkelblaues Hemd an? Ich kichere und tätschele seine Wange. „Auf dich warten, was sonst?"
Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Du bist wirklich unglaublich," lacht er und nimmt meine Hand.
„Ach, da bist du ja," höre ich ihn plötzlich sagen und wundere mich, wie er das macht, ohne seine Lippen zu bewegen.

Und auf einmal geht alles ganz schnell. Ich glaube, doppelt zu sehen und schüttele verwirrt meinen Kopf. „Ich glaube, ich bin betrunken," lalle ich und schließe meine Augen.
„Joshua, ist alles okay?" höre ich Matthew.
„Warte, ihr kennt euch?" höre ich ihn erneut.
Was ist hier los?
Ich öffne meine Augen und blicke zweimal in das gleiche Paar blaue Augen. Beide sehen mich fragend und besorgt an und beide rufen überrascht: „Joshua!" als um mich herum alles schwarz wird und ich beginne zu fallen.

Dreisamkeit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt