Seit jener Nacht sind nun drei Wochen vergangen. Matthew hat weder seine Telefonnummer hinterlassen, noch habe ich seitdem nochmal etwas von ihm gehört. Colin sagt, ich solle mich damit abfinden, dass dieses Mal ich derjenige war, der abserviert wurde, doch ich kann es nicht.
Jeden Freitag und jeden Samstag schleppe ich meinen Mitbewohner ins ‚Spartakus', wo ich den Mann meiner Träume - ist mir egal, wenn das kitschig klingt, es ist so - getroffen habe, doch weder er noch seine zwei Begleiter sind dort.
Zwei der Abende enden tatsächlich mit einem ‚Code grün' für mich, was mich sehr für Colin freut, aber meinen Frust nicht verbessert.Bei den Celloproben bin ich launisch und gereizt und habe keine Geduld mit meinen Fingern. Meine Lehrerin, Miss Whitaker, fragt mich, ob alles in Ordnung ist und ich fauche sie nur an, dass es mir wunderprächtig geht.
Heute ist Freitag und ich bin es leid. Ich will heute Abend ins ‚Spartakus', ich will ihn wieder sehen, doch eine weitere Enttäuschung kann ich nicht ertragen. So langsam bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich ihn mir nicht vielleicht nur eingebildet habe.
„Wie wäre es mit Sport?" fragt mich Colin, als ich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf meinem Bett liege.
„Hä?" mache ich nur.
„Vielleicht solltest du Sport machen. Das lenkt ab und setzt Endorphine frei."
„Das erklärt, warum du so mies gelaunt bist," pampe ich zurück und er rollt mit den Augen.Colin tut mir fast ein bisschen leid, denn er war derjenige, der in den letzten Wochen am meisten unter meinen Launen gelitten hat. Dafür konnte er aber auch zweimal punkten, während ich die Nächte auf dem durchgesessenen Sofa im Gemeinschaftsraum verbringen durfte.
Seufzend stehe ich auf, ziehe mir ein schwarzes Muskelshirt und eine kurze Hose an und suche meine Laufschuhe aus meinem Schrank. „Du hast Recht, Alter," murre ich. „Ich geh' mal eine Runde laufen. Wenn-"
„Ja, ja, ja," winkt Colin genervt ab. Er startet gerade ein neues Ego Shooter Spiel auf seinem Computer und sagt: „Wenn ein Matthew sich meldet, rufe ich dich sofort an, bla bla."
Ich hole Luft, um ihm einen Spruch zu drücken, aber stoppe mich selbst. Er hat ja Recht. Ich klinge wie eine klettige Alte, die es nach einem One-Night-Stand nicht rafft, dass sie abserviert wurde.
Nur, dass es sich nicht so angefühlt hat..
Ich schüttele den Kopf, nehme meinen iPod und meine Kopfhörer und laufe los.Zu Beginn meines Studiums bin ich jeden Morgen vor den Vorlesungen gelaufen. Dieser gute Vorsatz hat etwa ein halbes Jahr angehalten, doch dann kamen Parties und allerhand anderes hinzu und ich habe es ganz schön schleifen lassen. Vielleicht wäre das jetzt die Gelegenheit, diese Gewohnheit wieder aufleben zu lassen. Immerhin ging es mir immer verdammt gut nach dem Laufen und meinem Äußeren hat es auch alles andere als geschadet.
Nach etwa drei Kilometern merke ich deutlich, dass meine Kondition mangels Trainingszeiten enorm abgebaut hat. Um ehrlich zu sein, schwitze ich höllisch und pumpe Luft wie ein Maikäfer. Vielleicht lasse ich es lieber langsam angehen. Den Weg zurück gehe ich lieber, damit ich nicht noch-
Aus dem Augenwinkel sehe ich schwarze, strubbelige Haare und ich drehe ruckartig meinen Kopf, um ganz sicher zu sein. Dort, auf der anderen Seite des Rasens, läuft er. Groß, wuschelig, atemberaubend und keine Einbildung von mir - es sei denn, mein Gehirn leidet nach drei Kilometern joggen schon unter drastischem Sauerstoffmangel und schenkt mir eine wunderschöne Halluzination.
Ohne Nachzudenken, renne ich quer über den Rasen. Ich weiß nicht, woher ich die Kräfte nehme, aber ich springe über Fahrradständer, Picknickdecken, knutschende Pärchen und sogar über eine gespannte Slackline. Er läuft schnell und fuck, ich bekomme keine Luft. Keuchend und prustend laufe ich ihm nach und habe doch keinerlei Chance.
An einer Bank bleibe ich stehen und befürchte, gleich zu kollabieren. Meine Lunge rasselt und meine Knie zittern und ich nehme vage wahr, wie einige Spaziergänger und Studenten mich anstarren. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich ihn nicht eingeholt habe, sonst hätte ich ihm wohl möglich vor die Füße gekotzt.
Ich setze mich schweißüberströmt neben die Bank auf den Rasen und bekomme noch immer kaum Luft. Meine Hände zittern und mir wird schwindelig. Oh, vielleicht war der Sprintversuch keine gute Idee. Unbeholfen lege ich mich neben die Bank und positioniere meine Füße auf der Sitzfläche, damit mein Kreislauf sich nicht vollkommen verabschiedet. Ich schließe meine Augen und versuche, ruhig zu atmen.
„Du solltest dringend etwas trinken, so rot wie dein Kopf ist," sagt eine vertraute Stimme plötzlich zu mir. Ich öffne die Augen und da steht er über mir. Verschwitzt, verwuschelt, wunderschön. „Weißt du, beim Laufen machen Anfänger meist den Fehler, dass sie anfangs zu schnell starten," plappert er weiter, während ich ihn einfach nur entsetzt anstarre.
Er muss eine Runde um den Campus gelaufen sein und ich habe mich vollkommen umsonst zum Volltrottel gemacht.
„Hier," lacht er mich an und reicht mir eine Wasserflasche. „Du kannst mein Wasser haben. Und beim nächsten Mal ruhig etwas langsamer anfangen, das Tempo kommt von ganz allein."
Ich nehme mit zittrigen Fingern die Flasche aus seiner Hand, bekomme sie jedoch nicht mal auf.Blitzschnell kniet er neben mir und nimmt sie mir erneut ab. „Komm, ich mach das," bietet er an und schraubt den Deckel mit seinen langen Fingern ab. Oh, seine Finger. Augenblicklich bin ich bei unserer Nacht und mir wird noch heißer.
Matthew scheint von meinem Starren nichts zu bemerken, er nimmt wie selbstverständlich meinen Nacken und hält mir die Flasche an die Lippen.„Hier, schön trinken, dann geht's dir gleich besser," murmelt er fürsorglich, während ich innerlich darüber ausflippe, dass seine Hand in meinem Nacken liegt, sein verschwitzter Schritt praktisch direkt neben meinem Kopf ist und mein Kreislauf genau jetzt nur auf Sparflamme läuft.
„Ich drehe hier morgens immer meine Runde, wenn du möchtest, zeig ich dir wie das mit dem Laufen besser klappt," bietet er an, als ich die Flasche ganz ausgetrunken habe. Ich kann nur starren und nicken. Ich will ihn fragen, wo er war, warum er sich nicht gemeldet hat, ob er mich heiraten will, doch ich bekomme kein Wort heraus.
„Du bleibst jetzt noch eine Viertelstunde liegen, dann gehst du langsam nach Hause und duschst erst lauwarm, dann kalt und dann wieder lauwarm. Und heute viel trinken. Gute Besserung!" ruft er mir noch zu und verschwindet dann aus meinem Blickfeld und zum zweiten Mal aus meinem Leben.
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Dreisamkeit | ✓
Teen FictionJoshua Keane studiert Musikwissenschaft und ist mit seinem Studentenleben mehr als zufrieden. Eines Abends begegnet er dem Mann seiner Träume und hofft, ihn bald darauf wieder zu sehen. Doch kann es sein, dass er doppelt sieht? ------------ ❝ Und a...