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Verblüfft sehe ich in seine blauen Augen und versuche, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
„Matt," sage ich leise und er lässt seine Hand sinken.
„Warum nennst du mich auf einmal so?" fragt er wie schon beim letzten Mal.
Ich sehe auf den Boden und würde am liebsten weglaufen. „So nennen dich doch alle."
„Aber nicht du."
„Was willst du, Matt?" frage ich stattdessen. Ich habe keine Lust über seinen Namen zu reden. Er sieht mich lange an, ich spüre seinen Blick auf meinem Gesicht, und dann fragt er: „Was hast du zu Gabriel gesagt?"

Ich runzele die Stirn. „Hat er es dir nicht erzählt?"
„Nein, er redet kaum noch mit mir und immer wenn ich frage, sagt er, dass ich dich fragen soll."
Ich seufze. Genau das wollte ich nicht. Ich wollte nicht ihre Beziehung zueinander gefährden, geschweige denn zerstören.
„Ich habe ihm gesagt, dass es nicht funktioniert," erkläre ich leise. „Dass es dumm von mir war zu glauben, das Ganze könnte irgendwie funktionieren."

Matthew schweigt lange und sieht mich einfach nur an und ich beiße mir auf die Lippe, damit er nicht sieht, wie sie zittert.
„Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?" will er schließlich wissen.
Ich spüre heiße Wut in meinem Bauch. Warum sollte ich ihm irgendwas sagen? Er ist doch genervt von mir. Er ist doch froh, dass ich gegangen bin. Ich hebe meinen Kopf und funkele ihn an.
„Ich sah keinen Grund dazu," presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Augen weiten sich überrascht und dann wirkt sein Blick auf einmal verletzt. Seine Zunge fährt nervös über seine Lippen und er tritt einen Schritt zurück.

„Wenn das so ist," stammelt er. „Ich.." Seine Hand fährt zittrig durch seine Haare und wühlt dann in seinem Rucksack. „Ich wollte dir nur die hier geben. Du kannst sie auch wegwerfen. Wie du willst."
Er drückt mir einen Umschlag in die Hand und an der Festigkeit kann ich erkennen, dass sich wohl Bilder darin befinden. Wie betäubt umfassen meine Finger den Umschlag.

Matthew geht einen weiteren Schritt zurück und sieht so aus, als wollte er gleich flüchten. „Hör zu," sagt er leise. „Gabriel kann nichts dafür, okay? Es geht ihm nicht gut und wenn es nur wegen mir ist, dass du dich plötzlich nicht mehr meldest, dann lasse ich dich in Ruhe."
„Ist das dein Ernst?" rufe ich nun aufgebracht. „Genau das wollte ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber es tut mir leid. Ich wollte nie einen Keil zwischen euch treiben. Und darum gehe ich. Das wolltest du doch!" Meine letzten Worte schmecken bitter auf meiner Zunge und ich kann ihn nicht länger ansehen, also starre ich auf einen schmutzigen Fleck auf dem Teppich im Flur.

Auch Matthew scheint nichts mehr zu sagen zu haben, sondern dreht sich um und entfernt sich mit langen Schritten von meinem Zimmer. Wütend knalle ich die Tür zu, aus einem anderen Zimmer hört man einen empörten Schrei der Beschwerde, und knalle den verdammten Umschlag, den ich noch immer in der Hand halte, auf den Boden.

Meine Vermutung, dass es sich um Fotos handelt, war richtig, denn diese rutschen nun alle aus dem Umschlag und verteilen sich auf dem Boden. Jedes Bild ist von mir und ich starre entsetzt darauf. Es sind ausschließlich Aufnahmen in schwarz-weiß und sie zeigen mich in allen möglichen Variationen.
Beim Cellospielen auf der Bühne. Beim Nippen an einer Kaffeetasse. Lachend am Frühstückstisch mit Gabriel. Konzentriert, während ich Fotos an der Wand in ihrem Wohnzimmer betrachte. Schlafend mit einem Lächeln auf den Lippen. Die meisten Bilder zeigen mich bei meinem Auftritt und schlafend und ich bin überrascht, dass ich mich an alle Momente erinnern kann, aber nicht daran, dass Matthew mich dabei fotografiert hat.

Was mich jedoch am meisten bewegt, ist die Tatsache, dass die Bilder einen Menschen zeigen, der dem Fotografen offenbar sehr am Herzen liegen muss. Die Details sind unverkennbar und ich spüre wie mir Tränen in die Augen steigen.
Du kannst sie auch wegwerfen, hat er gesagt. Wie könnte ich das tun? Und warum gibt er sie mir?

Ich stehe auf und laufe nach draußen. Ohne nachzudenken wähle ich die Richtung, in der ihre Wohnung liegt und nach ein paar Blocks sehe ich ihn die Straße entlanggehen. Atemlos hole ich ihn ein und packe seinen Arm. Matthew dreht sich überrascht um und sieht mich an.
„Warum?" keuche ich, noch immer um Luft ringend.
„Warum was?"
„Warum kannst du mich nicht mehr ertragen?"
Verblüfft sieht er mich an. „Warum denkst du das?"
„Ich habe es gespürt, Matthew," erkläre ich. „Dein Augenrollen, dein abweisender Blick. Du musstest gar nichts sagen. Ich will nur wissen, was ich getan habe."

Er sieht beschämt auf den Boden. „Es war nicht wegen dir."
„Was?"
„Es ist nicht so, dass ich dich nicht ertrage," erklärt er leise. „Ich ertrage es nur nicht, dich mit Gabriel zu sehen."
Mein Mund steht vor Erstaunen offen und ich bin vollkommen sprachlos.

„Und da ich euch nicht stören wollte, habe ich mich eben zurückgezogen."
„Du hast es vorgeschlagen," flüstere ich entsetzt.
„Ich weiß," seufzt er und fährt sich mit den Händen durch seine Haare. „Und anfangs hielt ich es auch für eine gute Idee. Fuck, es war heiß und aufregend und lustig."
Ich kann nur nicken, denn ich habe exakt das Selbe empfunden.
„Aber als du mit ihm in sein Zimmer gegangen bist.. ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Am liebsten wäre ich in Gabriels Zimmer gestürmt und hätte ihm gesagt, dass ich dich zuerst hatte," gibt er betreten zu. „Doch das wäre falsch. Du gehörst niemandem und es ist egoistisch von mir, so zu denken."

„Du bist eifersüchtig," stelle ich fest.
Er zuckt mit den Schultern.
„Das ist nicht egoistisch, das ist normal."
„Nicht für mich. Nicht für uns. Gabriel und ich haben immer alles geteilt, beziehungsweise uns nie um etwas gestritten. Und er ist so glücklich mit dieser.. Vereinbarung. Wie könnte ich ihm das kaputtmachen?"
„Aber du bist unglücklich damit."
Er seufzt und setzt sich auf eine der Treppenstufen des Hauseingangs, vor dem wir stehen. „Ich wollte es nur beschleunigen."
„Was?"
„Deine Entscheidung. Für ihn."
Ich runzele die Stirn. „Du wolltest meine Entscheidung beschleunigen?"
Matthew nickt nur. Und da ist sie wieder meine Wut und meine Verzweiflung, die er in mir auslöst.

„Und du warst dir vorher schon sicher, dass ich mich für ihn entscheide. Danke, dass du mir das abgenommen hast," sage ich bitter und drehe mich um.
„Joshua, warte," ruft er mir nach.
„Was ist noch?" fauche ich. „Du hast doch alles entschieden!"
„Sagst du es Gabriel?"
Fassungslos starre ich ihn an. Ist er wirklich so dumm?
„Ja," sage ich tonlos. „Ich rede mit ihm."

Dreisamkeit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt