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Ich stehe mühsam auf und Gabriel sieht mich noch immer verwirrt an.
„Sorry," murmele ich und suche meine Boxershorts.
„Hä?" macht Gabriel verwundert. „Bist du so schnell abgelenkt?"
Ich zucke mit den Schultern, während ich mich anziehe. Mir ist die Lust vergangen. „Vielleicht hab ich doch zu viel gegessen. Mir geht's nicht so gut," lüge ich.
„Willst du dich erst mal hinlegen?" bietet Gabriel an und ich schüttele den Kopf.
„Ich denke, ich gehe lieber nach Hause."
„Was? Aber du hast doch einen ‚Code grün'."
Shit, shit, shit. Colin und Julia. Noch eine Nacht im Gemeinschaftsraum ertrage ich nicht.

„Komm," sagt Gabriel liebevoll. „Leg' dich ins Gästezimmer. Ich hole dir einen Eimer und etwas Wasser. Du bist wirklich ganz schön blass, Joshua."
Ohne mich wirklich wehren zu können, lasse ich mich von ihm ins Gästezimmer begleiten. Mir fällt sofort auf, dass das ausziehbare Sofa zwar ordentlich gemacht, aber die Bettwäsche noch meine vom letzten Mal ist.
„Brauchst du ein T-Shirt zum Schlafen?" bietet Gabriel an und ich nicke zögerlich. Er verschwindet wieder und kommt mit einem T-Shirt zurück, das ich dankend nehme, und stellt einen Eimer und eine Wasserflasche neben das Sofa.

Gabriel streichelt meine Wange und sagt: „Wenn was ist, rufst du, okay? Matt und ich sind direkt nebenan." Ich lächele schwach und nicke, als er leise die Tür schließt. Langsam ziehe ich das T-Shirt an und setze mich auf das Sofa. Ich blicke an mir herab und sehe, dass das T-Shirt, das Gabriel mir gebracht hat, das von Matthew ist, welches ich beim letzten Mal schon zum Schlafen tragen durfte.

Meine Unterlippe zittert und ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Fuck. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber ich habe alles versaut. Gabriel hat keine Ahnung und ich weiß nicht, ob Matthew es ihm sagen wird oder ob er das von mir erwartet. Oder vielleicht erwartet er auch von mir, dass ich einfach verschwinde. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Ich kneife meine Augen zusammen und versuche verzweifelt, einen Weg aus diesem Schlamassel zu finden. Doch der einzige Weg ist, dass ich gehe. Schon jetzt ist der Gedanke daran unfassbar schmerzhaft, denn ich habe beide in dieser kurzen Zeit schon so sehr in mein Herz geschlossen, aber das beruht ganz offensichtlich nicht bei allen Beteiligten auf Gegenseitigkeit.

Irgendwann schlafe ich unruhig ein, doch werde immer wieder wach, weil ich mich ständig frage, was ich getan habe, dass Matthew mich nicht mehr ertragen kann. Als ich wieder aufwache, ist es tiefdunkel und vermutlich mitten in der Nacht. Ich schleiche leise ins Badezimmer und erleichtere mich. Auf dem Rückweg will ich in die Küche, bis mir einfällt, dass ich ja von Gabriel eine Flasche Wasser im Gästezimmer habe.

Gerade will ich zurück dorthin, als ich bemerke, dass jemand auf dem Sessel im Wohnzimmer sitzt. Es kann nur einer der Zwillinge sein und mein Bauchgefühl verrät mir sofort, dass es nicht Gabriel ist. Ich bleibe kurz stehen, hin und hergerissen, ob ich ihn zur Rede stellen oder einfach gehen soll. Er sagt nichts und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt gesehen oder wahrgenommen hat. Warum sitzt er überhaupt hier?

Mein innerer Kampf lässt mich nicht los und schließlich flüstere ich: „Matt?" Ich weiß nicht, warum ich ihn plötzlich so nenne wie alle anderen. Ich habe das Gefühl, es steht mir nicht zu, ihn bei seinem vollen Namen zu nennen und er scheint es ohnehin nicht zu mögen.
„Seit wann nennst du mich so?" fragt er aus der Dunkelheit. Oh, es ist ihm aufgefallen?
Ich schlucke und versuche, das Zittern meines Kinns und meiner Hände mit meinen Gedanken zu kontrollieren.

„Ich.. ich wollte nur sagen, dass ich gleich morgen früh weg bin," sage ich und ignoriere somit seine Frage.
„Warum?" fragt er nun. „Magst du uns nicht mehr?"
Gott, warum muss er mich so quälen? Ob ich sie nicht mehr mag? Darum geht es hier doch gar nicht.
Ich atme tief durch. „Doch, aber darum geht es nicht."
„Sondern? Hast du dich bereits entschieden?"
Entsetzt sehe ich in die Richtung, in der er sitzt, aber kann ihn nicht erkennen, weil es zu dunkel ist. Ich sehe nur seine Silhouette.

„Ich nicht," murmele ich kaum hörbar. „Aber jemand anderes wohl schon. Gute Nacht." Schnell gehe ich zurück ins Gästezimmer und schließe die Tür hinter mir. Meine Lippe zittert nun unkontrolliert und eine verräterische Träne rollt über meine Wange. Fuck! Warum habe ich mich nur darauf eingelassen?

In dieser Nacht mache ich kein Auge mehr zu. Als mein Handydisplay sechs Uhr morgens anzeigt, ziehe ich meine Sachen von gestern Abend an und mache das Sofa ordentlich. Ich habe es nicht gehört, aber irgendwann muss Matthew ins Bett gegangen sein, denn das Wohnzimmer ist leer in der Dämmerung und ich verlasse still und leise die Wohnung.

Die kühle Morgenluft fühlt sich gut auf meinem Gesicht an und ich sitze bestimmt eine Stunde auf der Bank vor dem Wohnheim, bevor ich Colin eine Nachricht schreibe, dass ich wirklich mal wieder eine Nacht in meinem eigenen Bett brauche.

Ich will gerade ins Wohnheim gehen, als ich von weitem jemanden auf mich zulaufen sehe. Fuck, Gabriel. Kurz überlege ich, die Flucht zu ergreifen, aber das wäre ihm gegenüber nicht fair. Atemlos bleibt er vor mir stehen und sieht mich verwirrt an. „Warum haust du einfach ab, Joshua?" fragt er.
Stimmt, er ist der Direktere von ihnen.
Ich sehe beschämt auf den Boden und überlege, wie ich es am besten sage.
„Ich denke, es funktioniert nicht, Gabriel."
„Was? Warum nicht? Habe ich irgendwas gemacht?"
„Nein, hast du nicht. Ich.. es liegt an mir, okay? Es war dumm von mir anzunehmen, ich könne mich zwischen euch entscheiden oder dass das Ganze auf irgendeine andere Art funktionieren könnte. Es tut mir leid," seufze ich.

„Das heißt, du machst Schluss? Mit mir?" fragt er entsetzt. Ich zucke beschämt die Schultern und kann ihn noch immer nicht ansehen. Ich kann ihm nicht sagen, dass er nichts falsch gemacht hat, dass ich nicht weiß, was ich falsch gemacht habe, aber seinen Bruder verärgert hat und mich jetzt hassen lässt. Ich weiß es doch selbst alles nicht. Schließlich schaue ich doch vorsichtig auf und er blickt mich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut an.
„Das kannst du Matt aber schön selbst sagen," faucht er und dreht sich um.
Ehe ich etwas antworten kann, sehe ich nur noch wie er über den Campus aus meinem Blickfeld rennt.

Dreisamkeit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt